© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/18 / 29. Juni 2018

Die falsche Hautfarbe
Sexuelle Übergriffe: Die massenhafte Klage über das Fehlverhalten mächtiger weißer Männer wird in einem Klima politisch korrekter Heuchelei erhoben / Die MeToo-Kampagne hat einen blinden Fleck
Siegfried Gerlich

Die uralte männliche Erfahrung, daß Frauen aus nahezu allem eine Szene machen können, ist längst als sexistisches Vorurteil entlarvt. Dennoch läßt sich kaum an der psychoanalytischen Entdeckung weiblicher „Als-ob-Persönlichkeiten“ rütteln, denen es zuweilen gelingt, aus der Not ihrer Ich-Schwäche die Tugend der Charakterdarstellung zu machen. Und freilich handelt es sich im Unterschied zu dem, was sich in privaten Szenen einer Ehe eher formlos abspielt, bei professionellem Schauspiel allemal um eine ästhetisch kultivierte Form von Hysterie.

Jedenfalls dürfte es gerade ihrer schillernden Profession geschuldet sein, daß einige der Schönen und Reichen Hollywoods über ein halbes Jahr mediale Schauprozesse abhielten, die noch den leisesten Zweifel, ob sich hinter so manchem männlichen Machtmißbrauch nicht vielmehr der anthropologisch bewährte weibliche Einsatz sexueller Dienstleistungen zu Zwecken ökonomischer Daseinsvorsorge verbirgt, der Komplizenschaft mit einer omnipräsenten „Rape culture“ überführten.

Gewiß läßt sich jenem vor Gier und Geilheit triefenden Bild von „Hollywood Babylon“, welches der Filmemacher und Buchautor Kenneth Anger noch 1965 gezeichnet hatte, keine ungebrochene Aktualität mehr attestieren. Gleichwohl ist der Argwohn der bodenständigen Schauspielerin Nina Proll, daß es schlicht Prostitution gewesen sei, was sich auf der Besetzungscouch des US-Filmproduzenten Harvey Weinstein (66) in mehr als fünf Akten abgespielt haben dürfte, gerade durch die Schilderungen seiner mutmaßlichen Opfer selbst geweckt worden. Und bevor auch nur eine einzige Klage gegen den einst mächtigen Filmmogul vor Gericht verhandelt worden ist, plant Brad Pitt bereits die Verfilmung des Falls.

Harte Sanktionierung von läppischen Vorkommnissen

Wer darum aber die mittlerweile viral gewordene MeToo-Kampagne schlichtweg hysterisch nennen wollte, dem würde gewiß die feministische Lektion erteilt, weibliche Hysterie rühre einzig daher, daß die Frauen lange genug weder eine eigene Sexualität noch eine eigene Stimme gehabt hätten, weshalb sie heute um so lauter die ganze Wahrheit über die konstitutionell penetrative und insofern von Natur aus „sexistische“ Sexualität der Männer herausschreien müßten. Und fraglos dürfte bei schweren Übergriffen tatsächlich jene notorisch reklamierte Scham der Opfer die jahrzehntelange Latenzphase erklären, die ihrem Coming-out vorausging. Aber auch das feministische Opfernarrativ brauchte Jahrzehnte, um im Juste milieu anzukommen, und das wiederum ermöglichte die harte Sanktionierung noch von läppischen Vorkommnissen, die juristisch nicht einmal als Bagatelldelikte beeindrucken können.

Nicht von ungefähr feiert diese feministische Viktimisierungspolitik, welche die ganze Ambivalenz erotischer Verstrickungen in klar gegenderte Täter-Opfer-Verhältnisse auflöst, in den puritanisch imprägnierten Vereinigten Staaten ihre durchschlagendsten Erfolge. Schon vor der Jahrtausendwende flutete eine „dritte Welle“ des Feminismus die amerikanischen Universitäten, um das Selbstbewußtsein junger Frauen zu unterspülen und in den Befindlichkeiten verschüchterter Jungfrauen versinken zu lassen. Selbst eine linksliberale Feministin wie Laura Kipnis zieht inzwischen die trostlose Bilanz, daß das obsessive Aufspüren von „Mikroaggressionen“ und das panische Verlangen nach „Triggerwarnungen“ bei amerikanischen Frauen eine veritable „sexuelle Paranoia“ hervorgerufen habe.

Spätfolgen einer sexuellen Revolution 

Bezeichnend ist immerhin, daß jene beiden prominenten Stimmen, die sich in diesen Chor erniedrigter und beleidigter Frauen nicht eingereiht haben, weil sie feministischen Protektionismus ihrerseits als unwürdig und übergriffig empfinden, in Frankreich zu Hause sind, wo der Emanzipationsstolz der Frau sich nicht zuletzt von der geschlechterdemokratischen Beerbung des aristokratischen Privilegs der Libertinage nährte: Die Schauspielerin Catherine Deneuve fasziniert noch heute als jene „Belle de Jour“, die in Luis Buñuels gleichnamigem Spielfilm von 1967 ihre masochistischen Tagträume in der surrealen Parallelwelt selbstgewählter Prostitution ausagierte. Und Catherine Millet brachte 2001 ihr promiskes Nachtleben in Romanform, ohne damit ihre bürgerliche Reputation als Kunstkritikerin einzubüßen. Doch während der poetische Film der ersten Catherine noch den diskreten Charme der libertären Bourgeoisie versprühte, prokotollierte das prosaische Buch der zweiten bereits ernüchtert jenes schmierige bißchen Glück, dem ausgebrannte Frauen und Männer heutzutage in Swinger Clubs und Darks Rooms hinterherhecheln. 

Insofern stellt der gegenwärtige feministische „Backlash“ immer auch eine antisexuelle Reaktion auf die desillusionierenden Spätfolgen einer sexuellen Revolution dar, die gerade im Seelen- und Liebesleben von Frauen Spuren der Verwüstung hinterlassen hat. Allerdings waren dem gesellschaftlich approbierten Feminismus die Abgründe der weiblichen Erotik von Anfang an ein Greuel, und nur folgerichtig nahm er eine neopuritanische Kolonisierung dieses von Freud so genannten „dunklen Kontinents“ in Angriff, um ihn gleichsam weißzuwaschen und alles Dunkle und Schmutzige auf den Männern abzuladen.

Es gehört indessen zur Ironie der Geschichte dieses Erste-Welt-Feminismus, daß er schließlich von Dritte-Welt-Feministinnen beschuldigt wurde, auch die buchstäblich „dunkleren Kontinente“ kolonisiert zu haben. Gerade der universalistische Geltungsanspruch „westlicher“ Frauenrechte schien den rassistischen Charakter eines „weißen“ Feminismus zu erweisen, dem jeder Respekt davor fehle, wie „People of Color“ die Würde der Frau zu schützen pflegten. Und wirklich unterzogen Legionen „privilegierter“ Feministinnen ihr antisexistisches Säuberungsprogramm schuldbewußt einer antirassistischen Hygieneprozedur, aus welcher eben jene doktrinäre Doppelmoral hervorgehen sollte, welche ausschließlich „schmutzige weiße Männer“ anprangert und ausgerechnet die „vaterlosen Gesellschaften“ des Westens als „patriarchalisch“ brandmarkt – die in arabischen und afrikanischen Ländern zur kulturellen Folklore gehörende und nicht selten koranisch geheiligte Gewaltsexualität hingegen durch Totems und Tabus vor „Diskriminierung“ schützt. 

Inzwischen zollt sogar Gloria Steinem (84), die Übermutter des US-amerikanischen Feminismus, diesem rassisch profilierten, antikolonialistischen Geschichtsrevisionismus vollen Tribut: „If it’s white, it can’t be feminism – black women invented the feminist movement“. Mit solcher heuchlerischen Anbiederung an die Ideologie der „Critical Whiteness“ aber sägen westliche Feministinnen nur an dem Ast, auf dem sie selber sitzen und auch Frauen anderer Couleur immer noch am besten gesessen haben. Denn unter konsequent „weißheitskritischen“ Feministinnen herrscht längst Einvernehmen darüber, daß weiße Frauen, auch wenn sie zum Opfer sexueller Gewalt werden, keinen Opferstatus mehr für sich reklamieren dürfen, da sie dank ihrer „Weißheit“ allemal auf der Täterseite stünden.

Sexualdelikte von Weißen liegen unter dem Mittelwert 

Wo aber der Aufschrei geschundener Frauen zum Verstummen gebracht wird, nur weil die Täter eine dunklere Hautfarbe besitzen, da verkommt der billige Vorwurf des „Racial Profiling“ vollends zur bloßen Projektion. Daß selbst schwarzen Opfern grausamer Genitalverstümmelung, sobald diese ihre Stimme gegen die Scharia erheben, blanker Haß entgegenschlagen kann, mußte die somalische Politologin Ayaan Hirsi Ali erfahren: Die muslimische Feministin und Politaktivistin Linda Sarsour, die sich auch als Organisatorin des „Women’s March“ gegen Donald Trump hervortat, vermeldete 2011 über Twitter, am liebsten würde sie Hirsi Ali noch „die Vagina herausnehmen“, denn als Islamkritikerin habe sie es „nicht verdient, eine Frau zu sein“. Aber nicht mit dem Scharia-Opfer, das noch dazu seit vielen Jahren mit Morddrohungen und unter Polizeischutz leben muß, sondern mit der Nachtreterin Sarsour solidarisierte sich daraufhin dasselbe weibliche Hollywood, welches derzeit die MeToo-Bewegung trägt.

Auf Dauer freilich dürfte es den selektiv antiweißen Aufschreien dieses so politisch korrekten wie moralisch korrupten Feminismus schwerlich gelingen, die altbekannte und durch Interpol-Statistiken immer wieder erhärtete Wahrheit zu übertönen, daß die Rate an von weißen Männern verübten Sexualdelikten im internationalen Vergleich zuverlässig unter dem Mittelwert liegt. Allein aufgrund der anhaltenden Massenzuwanderung verzeichnen westliche Länder einen stetigen Anstieg von sexuellen Gewalttaten im öffentlichen Raum, deren multikulturelle Vielfalt lediglich die globale Hierarchie ethnisch profilierter Tätergruppen im nationalen Rahmen abbildet.

Zu Recht halten nordamerikanische politische Aktivistinnen wie Lauren Southern und Lana Lokteff dem offiziösen Eliten-Feminismus vor, die aktuelle „Rape epidemic in Europe“ vertuscht und durch ihre „Open Border“-Agitation noch befördert zu haben. In Deutschland wiederum werfen Publizistinnen wie Birgit Kelle und Anabel Schunke, aber auch immer mehr konservative Frauengruppen ein grelles Schlaglicht auf den farbenblinden Fleck der MeToo-Bewegten, denen das Weiße in den Augen steht.