© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/18 / 29. Juni 2018

Gefecht mit Wortwitz
Von der Einrenkung verspannter Gefühle: Der komödiantische Kinofilm „Die Wunderübung“ handelt von einer geglückten Paartherapie
Sebastian Hennig

Da haben zwei Menschen die meiste Zeit ihres erwachsenen Lebens miteinander verbracht. Sie haben sich daran abgenutzt, und ihre Nähe hindert sie inzwischen am meisten daran sich zu erkennen. Also bedienen sie sich eines Dritten zur Widerspiegelung ihres unfühlbar gewordenen Verhältnisses. Das ist ein ganz normales Bedürfnis. Vormals standen dafür Freunde und Verwandte zur Verfügung.

Zur typischen Situation einer Ehekrise gehört heute der Paartherapeut als Schadensregulierer. Dieser Fachmann hat eine brisante Mission. Als ein Außenstehender, der sich an ungezählten ähnlichen Konflikten abgearbeitet hat, wirkt allein schon seine Routine provozierend auf die Klienten. Zum Fall degradiert, rücken sie wieder zusammen, indem sie auf ihrer Einzigartigkeit bestehen.

Das Stück war bereits ein Theatererfolg in Wien

Daniel Glattauer hat seine elegante Komödie „Die Wunderübung“ auf diese Konstellation abgestellt. Sie befindet sich in der ferneren Traditionslinie der Wiener Gesellschaftsdramen von Arthur Schnitzler, zugleich ist ihr auch etwas von der grotesken Fröhlichkeit der Lustspiele eines Curt Goetz eigen. Nur wirkt sich der Eros hier nicht mehr so grausam verheerend aus wie vor hundert Jahren noch. Auch die Heiterkeit gebärdet sich inzwischen weniger ausgelassen. Die pure Erschöpfung hat alle milder werden lassen. Gegen unsere trübe Verstrickung in uns selbst nehmen sich die extrovertierten Gefühlsnöte des Fin de Siècle wie Frühlingsdüfte aus. Mit etwas Beharrlichkeit und Wiener Schmäh renkt sich das wieder ein. Dem Erschöpfungszustand angemessen dürfen die von den Folgen des modernen Lebens geplagten Menschen darum auch wieder sachte zum ursprünglichen Einvernehmen zurückkehren, ohne daß es banal wird.

Michael Kreihsl hat Glattauers Stück in Wien bereits zum Theatererfolg geführt und inszeniert es jetzt als Spielfilm. Zwei Wochen lang hat er die Schauspieler vor dem Dreh proben lassen. Die Aufnahmen erfolgten dann in großen Bögen von zwei Kameras aus. Die Spannung des Films ist das Ergebnis der Virtuosität seiner drei Darsteller. Im Unausgesprochenen, in den Pausen und den kleinen Blicken beruht der Reiz dieses Gefechtes. Bei allem Wortwitz ließe sich der Film auch ohne Ton verstehen. Die meisten Situationen wären richtig zu deuten.

Entstanden ist ein potenziertes Schauspiel, das zugleich auf die Herkunft der alten deutschen Filmtradition von der Bühne zurückverweist. Die besten Protagonisten des Stummfilms waren hervorragende Theaterschauspieler. In ihrer Mimik und Gestik mußten sie einige Jahre den Worten vorauseilen. Erst der Tonfilm brachte sie wieder mit der Sprache zusammen. Hier wird nun mit den ausgefeiltesten technischen Mitteln die Intimität eines Theaterabends durch die magischen Annäherungen der Filmkamera noch gesteigert.

Das Leid und die gegenseitige Selbstberaubung des Ehepaars Dorek und die Zerstreutheit des Therapeuten Harald (Erwin Steinhauer) wirken einerseits erheiternd, zugleich aber auch nahezu erhaben. Napoleon wußte schon, daß das Erhabene nur durch eine ganz dünne Schicht vom Lächerlichen getrennt ist. Die Entblößung der Figuren dient hier nicht der Schadenfreude. Alle drei Personen behalten ihre Würde. Der Magister Harald hat in unzähligen Sitzungen die Traurigkeit der Verhältnisse in sich aufgesogen und seine Augen strahlen sie nun aus. Er stellt für seine Kundschaft eine personifizierte Warnung dar. 

Die Kamera verfolgt Luftfahrtingenieur Valentin Dorek (Devid Striesow) und die Historikerin Joana Dorek (Aglaia Szyszkowitz), wie sie durch die Stadt einem gemeinsamen Ziel zustreben. Dabei halten sie sich entfernter voneinander als zufällige Passanten auf der Straße. Er will seinen Frieden und sie den ihren. Daß es noch der gleiche sein könnte, kommt ihnen nicht in den Sinn. Dabei können sie sich nicht Ruhe lassen, weil sie sich alles andere als gleichgültig sind. Sie schlägt die makellosen Beine übereinander, als würde sie zwei scharfe Klingen gegen ihren Mann kreuzen. Der mimt den Gelassenen, obwohl es in seinem Inneren brodelt. Sein nachsichtiger Blick wiederum enthält die größte Provokation für seine Frau, deren gespielte Kälte eine innere Glut überzieht.

Häme gegenüber dem Therapeuten

Anders als bei Schnitzlers „Reigen“, wo eine zerstreute Genußsucht sich von Person zu Person weiterhangelt, wird hier eine Pingpong-Partie zwischen zweien gespielt, die sich naturgemäß nun ebenso innig hassen, wie sie sich einst geliebt haben. Die Schwerelosigkeit eines Tauchurlaubs hatte sie zusammengeführt. Nun heißt es, daß sie niemals hätten auftauchen dürfen. In dieser Einschätzung der Lage sind sie sich einig. Genaugenommen ist nichts Unverzeihliches vorgefallen. In ihren harten Ausfällen meinen sie unmißverständlich sich und niemand anders. Die Verbundenheit hat sich ins Negative gekehrt.

Striesow verkörpert den unbedacht knabenhaften Mann, der dadurch ebenso nervend wie liebenswürdig erscheint. Bei einer Konzentrationsübung schläft er ein. Seine Frau wirkt äußerlich beherrscht und verhärmt. Ihre kontrollierte Härte überdeckt eine große Bedürftigkeit nach Anlehnung. Auch der Therapeut scheint immer wieder seiner erprobten Sicherheit verlustig zu gehen. Mit seiner Wunderübung gelingt ihm schließlich die Einrenkung der verspannten Emotionen. Mit einem Male stehen die Streitenden wieder verträglich nebeneinander. Diese Pointe des Stückes ist erfreulich, wenn auch die wiedergewonnene Einheit des zerstrittenen Paares auf einer provozierten Häme gegenüber ihrem Therapeuten beruht. Da er jedoch die Situation eingeleitet hat, tritt er als ein dritter moralischer Sieger neben die beiden neu Verbundenen.