© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/18 / 29. Juni 2018

Strenge Regeln für eine kleine Branche
Rüstungsindustrie: Militärische Güter machen weniger als ein Prozent der deutschen Exporte aus
Christian Schreiber

Heinrich Bedford-Strohm ist nicht nur Theologe und SPD-Mitglied, sondern auch Klimaexperte: Menschen verlieren durch Dürre und Stürme und ihre Heimat – „nur weil wir unseren westlichen Lebensstil nicht ändern wollen“, so der bayrische Landesbischof. Anläßlich des World Refugee Day der Uno versuchte sich der 58jährige als Migrationsexperte: Nicht etwa Überbevölkerung oder der Wunsch nach westlichem Lebensstil, sondern „Waffen treiben Menschen in die Flucht“, so der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Doch anders als von Bedford-Strohm behauptet, finden sich im jüngsten Rüstungsexportbericht der Bundesregierung kaum „erschreckende Zahlen zum Anstieg deutscher Rüstungsexporte in Staaten außerhalb von EU und Nato“. In solche Drittländer wurden im vergangenen Jahr Einzelgenehmigungen im Umfang von 3,8 Milliarden Euro erteilt, nach 3,67 Milliarden Euro (2016) und 4,62 Milliarden Euro (2015). Und im globalen Vergleich ist Deutschland – die drittgrößte Exportnation – sogar ein eher kleines Licht: Während die USA mit einem Weltmarktanteil von 33 Prozent und Rußland von 23 Prozent weit über die Hälfte des Rüstungsexportmarktes beherrschen, liegt die deutsche Branche laut dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri – hinter China und Frankreich – mit 5,6 Prozent nur noch auf Rang fünf.

Die Bundesregierung bescheinigt sich daher selbst einen verantwortungsvollem Umgang mit Kriegswaffen und deren Handel. Dem Bericht zufolge sank das Gesamtvolumen der Einzelgenehmigungen von 6,85 Milliarden Euro im Jahr 2016 auf 6,24 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Nur einen kleinen Zuwachs gab es bei der tatsächlichen Ausfuhr von Kriegswaffen: sie stieg von 2,5 auf insgesamt 2,65 Milliarden Euro.

Die genehmigten Ausfuhren in Drittländer stiegen vor allem wegen der Lieferung einer Fregatte für die algerische und wegen eines U-Boots an die ägyptische Marine. Warum dies den Einwanderungsdruck aus Nordafrika erhöhen sollte, hat Bischof Bedford-Strohm nicht näher erläutert. Und die vier Genehmigungen für die Lieferung von Fahrzeugen für den Personenschutz von UN-Mitarbeitern nach Syrien dürften selbst den EKD-Chef nicht empören.

In die derzeitigen Hauptherkunftsländer von Asylbewerbern in Deutschland – Syrien, Irak, Nigeria, Afghanistan, Iran, Eritrea, Sudan – werden in der Regel überhaupt keine Kriegswaffen geliefert, denn sie stehen – zusammen mit China, Rußland, Weißrußland, Nordkorea oder Venezuela – auf der aktuellen Embargoliste des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Und die Ausfuhren nach Nigeria und Pakistan sind so gering, daß sie sicher nicht für die Auswanderung aus diesen Länder verantwortlich gemacht werden können.

Sorgfältige Einzelfallprüfungen

Auch finanzielle Aspekte stehen bei der Exportpolitik nicht im Fokus: Abgelehnt wurden dem Bericht zufolge unter anderem Rüstungsexporte an den Nato-Partner Türkei im Umfang von 4,85 Milliarden Euro, an China von 2,89 Milliarden Euro sowie an den Irak von 1,92 Milliarden Euro. „Über die Erteilung von Genehmigungen für Rüstungsexporte entscheidet die Bundesregierung im Einzelfall und im Lichte der jeweiligen Situation nach sorgfältiger Prüfung unter Einbeziehung außen- und sicherheitspolitischer Erwägungen“, heißt es im Rüstungsexportbericht.

Doch Fakten scheren auch Linke und Grüne nicht. Ein „weiterhin skandalös hohes Niveau“ der Rüstungsexporte, befand Sevim Dagdelen. „Immer mehr deutsche Waffen in Spannungs- und Kriegsgebiete zu liefern, ist sicherheitspolitisch dumm und ein moralischer Offenbarungseid“, kritisierte die Linken-Fraktionsvize. Die Grünen-Expertin Katja Keul erklärte: Damit, daß der Anteil der Rüstungsexporte in Drittstaaten auf nun 61 Prozent aller Ausfuhrgenehmigungen gestiegen sei, verstoße die Regierung gegen ihre eigenen Exportgrundsätze. Bei Waffengeschäften mit der Türkei würden Genehmigungspflichten durch Joint Ventures mit türkischen Firmen umgangen.

Trotz einzelner Milliardenaufträge machen Rüstungsexporte weniger als ein Prozent der deutschen Ausfuhren (2017: 1,28 Billionen Euro) aus. Auch die in Deutschland produzierenden Waffenhersteller spielen nach Sipri-Angaben eher in der zweiten Liga: Rheinmetall kam 2016 auf einen Rüstungsumsatz von 3,27 Milliarden Euro, die Diehl Defence Holding auf 483 Millionen Euro – das ist wenig im Vergleich zu US-Firmen wie Lockheed Martin (40,8 Milliarden Dollar), Boeing (29,5 Milliarden Dollar), Raytheon (22,9 Milliarden Dollar), Northrop Grumman (21,4 Milliarden Dollar) und General Dynamics (19,2 Milliarden Dollar). Selbst die britische BAE Systems lag 2016 mit 22,8 Milliarden Dollar klar vor der europäischen Airbus Group mit 12,5 Milliarden Dollar Rüstungsumsatz. Sogar Leonardo (Italien/8,5 Milliarden Dollar) und Thales (Frankreich/8,17 Milliarden Dollar) lagen vor der deutschen Konkurrenz.

Das spiegelt sich auch in den bescheidenen Beschäftigungszahlen wieder. Nach Berechnung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung arbeiteten 2015 etwa 55.000 Menschen in einem Rüstungsunternehmen oder in der Rüstungssparte eines Mischkonzerns. Zu den größten Arbeitgebern zählen neben Airbus Rheinmetall und Thyssenkrupp. Die deutschen Rüstungsexporte sind dennoch traditionell hoch umstritten.

Die Mehrzahl der Waffenverkäufe ist vor allem internationalen Verpflichtungen (Nato, Uno) geschuldet. Trotzdem will die Bundesregierung noch restriktiver genehmigen: „Wir schränken die Rüstungsexporte weiter ein, schärfen die Rüstungsexportrichtlinien. Ergänzend zu den Kleinwaffen-Grundsätzen vom Mai 2015 streben wir weitere Restriktionen an. Auf dieser Basis streben wir eine gemeinsame europäische Rüstungsexportpolitik an und wollen den gemeinsamen Standpunkt der EU fortentwickeln. Die Bundesregierung wird ab sofort keine Ausfuhren an Länder genehmigen, solange diese am Jemen-Krieg beteiligt sind“, heißt es in den schwarz-roten Koalitionsvereinbarungen.

„Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre 2017 – Rüstungsexportbericht 2017“:  bmwi.de

Sipri-Rüstungsbericht:  www.sipri.org/