© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/18 / 29. Juni 2018

In Schieflage geraten
Stasi-Gedenkstätte: Der Vorsitzende des Fördervereins soll politisch kaltgestellt werden
Christian Vollradt

Die Gedenkstätte im ehemaligen Gefängnis der DDR-Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen hat die Zusammenarbeit mit dem dazugehörigen Förderverein ausgesetzt. Grund sei die Sorge über „vermehrte innere Konflikte in dem Verein“, heißt es in einer vergangene Woche veröffentlichten Pressemitteilung. „Da für Außenstehende nicht immer erkennbar ist, daß der Verein nur eine private Vereinigung ist, die unabhängig von der Gedenkstätte agiert, schaden diese Auseinandersetzungen auch der Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen“, erläuterte der Direktor der Gedenkstätte, Hubertus Knabe, sein Vorgehen. Laut dieser Pressemitteilung hat Knabe in einer E-Mail an den Vereinsvorsitzenden Jörg Kürschner jedoch seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, „daß der Verein sich wieder auf seinen eigentlichen Auftrag besinne, die Gedenkstätte zu unterstützen“.

Hintergrund der Verwerfungen ist, daß Kürschner schon seit einiger Zeit von einer sehr kleinen Minderheit im eigenen Verein massiv unter Beschuß genommen wurde und noch wird. Treibende Kräfte beim Vorgehen gegen den Vereinsvorsitzenden sind der Historiker Jens Gieseke vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, der – wie Kürschner – Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der Gedenkstätte Hohenschönhausen ist, sowie der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete und Schriftführer des Vereins Stephan Hilsberg. Ihr Vorwurf: Kürschners Tätigkeit für diese Zeitung.

Daß der seit Gründung des Vereins 2003 amtierende und stets von einer deutlichen Mehrheit wiedergewählte Vorsitzende „regelmäßig und mit einer klaren Positionierung pro AfD und zum Teil auch mit ihrer Sprache in der JUNGEN FREIHEIT Namensartikel plaziert“, schreibt Hilsberg auf seiner Internetseite, sei „ein nicht hinnehmbares Politikum für den Förderverein der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen und für die Gedenkstätte selbst“. Denn die arbeite „im gesetzlichen Auftrag für die Bundesrepublik Deutschland und die demokratische deutsche Öffentlichkeit“.  Ziel sei „die Stärkung der Demokratie durch eine tiefe Verankerung der Notwendigkeit unserer demokratischen Werte, wie Freiheit, insbesondere Meinungsfreiheit, Toleranz, Pluralität und Rechtsstaat im gesellschaftlichen Bewußtsein“. Und damit, so der frühere Parlamentarische Staatssekretär im Verkehrsministerium, scheide „jede Form eines Zusammenwirkens“ der Gedenkstätte mit der AfD aus. Und Hilsberg fährt noch schwereres Geschütz auf: Kürschner mache den Förderverein „zu einem Aufmarschplatz für die AfD“. Dies sei auch „an dem von ihm forcierten Beitritt des AfD-Bundesvorstandsmitglieds Georg Pazderski“ erkennbar gewesen. Den hatten Hilsberg und einige andere im vergangenen Jahr zu verhindern versucht, unterlagen aber in einer Abstimmung (JF 46/17). Diese Niederlage scheint die Gegner des Vereinsvorsitzenden noch zusätzlich für ihre Kampagne, zu der auch das gezielte Durchstechen von vertraulichen Vereins-interna an einen Reporter der Berliner Zeitung gehört, beflügelt zu haben. 

„Ich habe zwei Jahre Stasi-Haft überstanden, zum Teil in Einzelhaft, da wirft mich dieser Hinrichtungsjournalismus nicht um“, kommentiert Jörg Kürschner dies gegenüber der jungen freiheit. Er sieht seine Arbeit gerade als Beitrag zu mehr Pluralismus und Demokratie. „Die Aufarbeitung des DDR-Unrechts gerät in Schieflage, wenn sie nur noch politisch korrekt, linkskonform erfolgen darf“, betont der promovierte Jurist und Mitgründer des Fördervereins. Ihn ärgert jedoch, daß sich bisher kein einziger Medienvertreter bei ihm nach seiner Sicht der Dinge erkundigt hat. Das sei „ein typischer Fall von Lückenjournalismus“, bemerkt er kritisch in Richtung der eigenen Zunft.

Kürschner hatte bis zu seiner Pensionierung 2017 als Hauptstadtkorrespondent für den Mitteldeutschen Rundfunk gearbeitet. Seitdem ist er freiberuflich weiterhin als Journalist tätig und schreibt regelmäßig auch für die JUNGE FREIHEIT. 

Noch im Dezember vergangenen Jahres war Kürschner vom Bundespräsidenten für seine ehrenamtliche Arbeit im Förderverein der Gedenkstätte mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Sein Engagement dort hat auch biographische Gründe. Denn der gebürtige Hannoveraner war nach seinem Jurastudium in Bonn beim Jahreswechsel 1979/1980 am Grenzübergang Herleshausen verhaftet worden, als er verbotene Literatur in die DDR schmuggeln wollte. Zwei Jahre Haft wegen „staatsfeindlicher Hetze“ mußte Kürschner unter anderem in Hohenschönhausen verbüßen, bevor er schließlich von der Bundesrepublik freigekauft wurde. 

Eine persönliche Konsequenz hat der Fördervereinsvorsitzende inzwischen gezogen. Nach elfjähriger Zugehörigkeit beendete er mit sofortiger Wirkung seine Mitgliedschaft im wissenschaftlichen Beirat der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. In seinem Austrittsschreiben teilte er dem zuständigen Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Linkspartei) sein Bedauern mit, „daß die Interessen der ehemaligen Häftlinge bei der Aufarbeitung der SED-Diktatur eine immer geringere Rolle spielen“. Stattdessen bestimmten seiner Meinung nach immer mehr „Historiker und Politologen die Debatte, denen es erkennbar an Sensibilität für die Zeitzeugen fehlt“. 

Dies habe er zuletzt am Fall von Siegmar Faust beobachten müssen, der wegen AfD-naher Äußerungen von seiner Tätigkeit im Besucherdienst der Gedenkstätte ausgeschlossen worden war (JF 24/18). Es habe sich bei ihm, so Kürschner in dem Schreiben weiter, der Eindruck verstärkt, daß die von Gedenkstättendirektor Hubertus Knabe verfügte Suspendierung nicht wie zunächst angekündigt „bis auf weiteres“ erfolgt, sondern in Wirklichkeit endgültig sei. „Das widerspricht rechtsstaatlichen Grundsätzen und empört mich.“ Denn dies treffe „einen in der DDR aufs schlimmste mißhandelten Menschen“.