© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/18 / 29. Juni 2018

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Aug’ in Aug’ mit dem Feind
Christian Vollradt

Koalition ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Frei nach Clausewitz ist das die – vielleicht – zutreffende Beschreibung des aktuellen Verhältnisses zwischen der Kanzlerin und ihrem Innenminister. Nach einigen Fernduellen – getrennte Sitzungen von CDU- und CSU-Abgeordneten, Angela Merkel beim Integrationsgipfel, während Horst Seehofer den österreichischen Kanzler Sebastian Kurz empfing – trafen am Mittwoch vergangener Woche in aller Öffentlichkeit die beiden Kontrahenten aufeinander. Anlaß war die Gedenkstunde für die Opfer von Flucht und Vertreibung, jene vor vier Jahren ziemlich verschämt in den Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen gepreßte nicht-ganz-nationale Erinnerung. 

Austragungsort war dieses Jahr der Schlüterhof des Deutschen Historischen Museums, passenderweise die einstige Waffenkammer der preußischen Könige. Gastgeber Seehofer und sein protokollarisch höchster Gast aus dem Kanzleramt saßen nebeneinander in der ersten Reihe, neben den weiteren Rednern. Und eingerahmt von Angehörigen des Bundestags, des Kabinetts und des Bundesrats, des Diplomatischen Corps sowie von Vertretern wichtiger gesellschaftlicher Institutionen oder Verbänden. Und von Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime. 

Feldzüge können durchaus subtil oder modern ausgedrückt: hybrid geführt werden. Seehofers erste – wenn auch eher unbeabsichtigte – List: die Falschmeldung, er habe seine Teilnahme abgesagt. Tatsächlich betraf das nicht den Festakt, sondern eine vorherige Podiumsdiskussion. Doch die Verwirrung paßte perfekt und sorgte für kurzzeitige Blutdruckerhöhung bei Christdemokraten und Journalisten. Finte Nummer 2 – und besonders perfide: das Lob. „Ein spezieller Dank stellvertretend für alle gilt Ihnen, verehrte Frau Bundeskanzlerin. Sie machen diesen Gedenktag zu etwas Besonderem!“ Diese überraschende Charmeoffensive saß; die Kanzlerin blickte erstaunt aus ihren Unterlagen auf und wirkte sichtlich irritiert.

Danach verschossen die CDU-Frau und der CSU-Mann in ihren Redebeiträgen die übliche Munition. Merkel betonte die „gemeinsamen Standards in der Europäischen Union“, lobte die EU-Türkei-Vereinbarung als Mittel gegen illegale Migration und appellierte für „konstruktive, humane und europäische Antworten“. Seehofer dagegen subtiler: Man sollte die „Orte der Vertrautheit nicht erst als Heimat erkennen und bewahren, wenn sie verloren sind“.

So plänkelte es hin und her im Innenhof des Zeughauses, unter den Augen von Andreas Schlüters „Sterbenden Kriegern“, jenen 22 Köpfen Enthaupteter, die mit aufgerissenen oder geschlossenen Augen, mit verzerrten Mündern und wirrem Haar den grauenvollen Todeskampf verkörpern. Und – als Trophäen – den Triumph des Siegers über den Unterlegenen. 

Wer welche Rolle im Bruderkrieg der Schwesterparteien übernehmen muß, sprich: wer politisch geköpft wird und wer triumphieren darf, ist noch nicht entschieden.