© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/18 / 29. Juni 2018

Vom Regen in die Traufe
Union: Appelle an die Schicksalsgemeinschaft
Paul Rosen

Wenn der Asylstreit der Union tatsächlich eines Tages beendet sein sollte, wird nichts mehr so sein, wie es bis vor kurzem war. Und egal, wie der Streit ausgehen wird und ob es einen Sieger oder nur ein Patt geben wird: Von einer „normalen“ Großen Koalition kann danach auch keine Rede mehr sein. 

Kanzlerin Angela Merkel gab nicht nach, auch wenn sie auf dem informellen EU-Gipfel am Wochenende in der Asylfrage so gut wie nichts erreicht hatte und auch die Chancen, bis zu dem von der CSU gesetzten Termin 1. Juli die angekündigte „europäische Lösung“ zu finden, mäßig sind. Allenfalls ein Formelkompromiß erscheint möglich. Die CSU-Spitze wiederum ließ bis zum letzten Wochenende keine Bereitschaft erkennen, auf die angekündigte Intensivierung von Grenzkontrollen durch Anordnung von Innenminister Horst Seehofer verzichten zu wollen. 

Erst zu Wochenbeginn ließ der Pulverdampf nach, und plötzlich wurden Konturen deutlich, wohin der Weg gehen könnte. Seehofer fand Spekulationen über ein Ende der Koalition und Fraktionsgemeinschaft auf einmal „weltfremd“, und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt glaubte in Merkels Gesprächen in Brüssel doch eine „neue Dynamik“ erkannt zu haben. Dobrindt beschwor die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU auf einmal als „Schicksalsgemeinschaft“. Ziel sei, „daß das so bleibt“. 

„Merkel für uns eine Lebensversicherung“

Offenbar hatte die CSU-Oberen beeindruckt, daß die CDU am Wochenende eine Phalanx von Prominenten zur Unterstützung von Merkel losgeschickt hatte: Angefangen von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bis Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Besonders machte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet von sich reden, der auf die Frage, wie schnell sich die CDU im Falle eines Auseinanderbrechens der Fraktionsgemeinschaft nach Bayern ausdehnen könnte, kurz und bündig antwortete: „Schnell.“ Zwar versuchte CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer die Laschet-Äußerung wieder einzufangen, indem sie versicherte, solche Planungen gebe es nicht. Aber sicher ist das nicht. 

Daß Merkel hart bleiben soll, empfahl Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) mit Blick auf die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin, die der Innenminister nicht beachten wollte. Seehofer hatte in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse noch einmal klargestellt, was er von der Richtlinienkompetenz in diesem Punkt hält: „Wenn man mit dieser Begründung einen Minister entließe, der sich um die Sicherheit und Ordnung seines Landes sorgt und kümmert, wäre das eine weltweite Uraufführung. Wo sind wir denn?“ 

Was dann passieren müßte, sagte Schäuble klipp und klar: „Wenn in dieser Frage ein Minister anders als die Kanzlerin entscheiden würde, hat sie aus der Würde ihres Amtes heraus keine Wahl.“ Auf die ungläubige Nachfrage des Interviewers vom Tagesspiegel legte Schäuble nach: „Sie hat keine Bedenkzeit und keine Wahl.“ Er meinte aber auch: „Beide sind klug genug, es nicht bis dahin kommen zu lassen.“ 

Genau das ist der Punkt. In Berlin gibt es Spekulationen, die auf das Wörtchen „wirkungsadäquat“ im CSU-Beschluß mit der Frist für Merkel verweisen. Das heißt: Wenn Merkel irgendeine Zusicherung aus Brüssel mitbringt, die zu Seehofers Grenzsicherungsmaßnahmen irgendwie „wirkungsadäquat“ wäre, wäre der Kompromiß gefunden. Vermutlich wäre es ein fauler Kompromiß und ein teurer dazu: Merkel signalisierte den anderen EU-Ländern deutsche Zustimmung zur „Letztabsicherung“ bei der Bankenrettung, was bedeutet, daß Pleitebanken in Südeuropa bald mit Steuergeld gerettet werden könnten. 

Ob die CSU mit einem solchen Kompromiß ihren Traum von der absoluten Mehrheit in Bayern verwirklichen kann, obwohl ihr die Umfragen derzeit 40 Prozent mit fallender Tendenz bescheinigen, ist mehr als fraglich. Am Sonntag sollen Landesgruppe und CSU-Vorstand auf einer Sondersitzung die Brüsseler Ergebnisse bewerten. Laut Dobrindt darf sich „der politische Fehler nicht wiederholen, indem wir einen Dissens im Raum stehen lassen“. Bayerns  neuer Ministerpräsident Markus Söder wird sich schwer ins Zeug legen müssen, um den Wählern einen Formelkompromiß als Erfolg verkaufen zu können. Auf Auftritte von Merkel im bayerischen Wahlkampf will Söder lieber verzichten. Statt der Kanzlerin wolle er einen Kanzler – nämlich den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz – zu Wahlkampfauftritten einladen. 

Ob es in Berlin mittelfristig einen Wechsel im Kanzleramt geben könnte, bleibt unklar. Genannt für die Merkel-Nachfolge wird gegenwärtig Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer. Wer dann in Verlegenheit kommen könnte, ist die AfD, deren Fraktionsvorsitzender Alexander Gauland ganz offen ausspricht, daß die Kanzlerschaft Merkel der AfD natürlich Wähler zutreibt: „Deswegen ist Frau Merkel, solange sie da ist, für uns geradezu eine Lebensversicherung.“ Allzu große Sorgen muß sich Gauland aber nicht machen: Kramp-Karrenbauer heißt in Berlin nicht ohne Grund „die kleine Merkel“ – die Positionen der beiden sind austauschbar, was die CSU vom Asyl-Regen in die Euro-Traufe bringen könnte. Denn für die AfD rückt schon ein neues Thema nach: Die nächste Finanz- und Eurokrise dürfte nicht mehr lange auf sich warten lassen.