© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/18 / 29. Juni 2018

„Der Sachse macht’s Maul auf“
Der Kabarettist und Schauspieler Uwe Steimle mischt sich auch politisch gerne ein, wenn es um Demokratie und Menschlichkeit geht
Moritz Schwarz

Herr Steimle, sind Sie ein „Deutschtümler“, wie Ihnen in einer TV-Talkrunde nahegelegt wurde, weil Sie sich zur deutschen Sprache bekannt haben? 

Uwe Steimle: Gegenfrage: Wissen Sie, was Heimat ist? Etwa die alte Gaslaterne, die vor meinem Haus steht und die ich abends anzünde. Das ist schön. Das ist Heimat. Niemand würde mir deshalb Deutschtümelei vorwerfen. Meine Sprache ist mir ebenso Heimat – ich wohne in ihr, sie ist wie ein Kokon. Beide Male geht es um Heimat. Doch bei der Sprache kommen solche Vorwürfe. Warum?

Weil es die „deutsche“ Sprache ist. 

Steimle: Die wunderbare Simone Weil sagte einmal: „Entwurzelung ist die gefährlichste Krankheit der menschlichen Gesellschaft.“ Ja, Verwurzelung sei das am meisten verkannte Bedürfnis der menschlichen Seele. Das ist so wunderbar gesagt, daß es wirklich zu Herzen geht. Aber nur tiefe Wurzeln geben Halt, und dazu zählt die Sprache. Flachwurzler dagegen fallen schnell um. Und das schöne bei Erlernen der deutschen Sprache drum in einem Satz: Man kann durch Sprache zum Gefühl durchdringen! 

Früher war Heimat selbstverständlich. Heute aber scheint sie verlorenzugehen.

Steimle: Wir alle merken, daß Heimat heute in Frage gestellt wird. Aber Kurt Tucholsky hat einmal tröstend gesagt, daß was auch immer mit diesem Deutschland passieren mag, es doch unsere Heimat bleibt. Es steht ja geschrieben: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ Doch was, wenn du dich selbst nicht liebst? Wie willst du dann andere lieben? Schon komisch, daß sich diese Frage kaum einer stellt. Sigmar Gabriel etwa nannte Deniz Yücel einen „deutschen Patrioten“, obwohl der Deutschland ja bekanntlich gar nicht so mag. 

Besser gesagt, er haßt es. 

Steimle: Nach Gabriel wäre dann der der beste Patriot, der Deutschland am wenigsten mag. Ich frage mich manchmal, bin ich wirklich der einzige, der diese Logik merkwürdig findet? 

Warum sagen Politiker so etwas? 

Steimle: Fragen Sie Gabriel. 

Haben wir – keine Antwort. 

Steimle: Tja, der Sachse sagt sich: „Nu, der wird sich schon was gedacht haben.“

Sind Gabriel oder Angela Merkel, die 2013 vor laufender Kamera ihrem Generalsekretär ein Deutschlandfähnchen weggerissen hat, vielleicht Zyniker? 

Steimle: Das glaube ich nicht. Aber wir leben in einem Land, in dem die Verteidigungsministerin mehr Kinder hat als flugfähige Jets oder das nicht in der Lage ist, seine Grenzen zu schützen. In so einem Land kann etwas nicht stimmen. 

Zum Beispiel? 

Steimle: Vor allem fehlt es an Mitgefühl mit den „schon länger hier Lebenden“, wie Frau Merkel sagt, um das Wort Volk zu vermeiden, weil das ja „Nazi“ ist. Ich dachte lange, Demokratie heißt, daß die Regierung für das Volk da ist. Irrtum. Jene, die mit der Regierung nicht einverstanden sind, sind wahlweise „Rechte“, „Nazis“, „rechte Nazis“ – oder sie kommen eben aus Dresden.

Die Sachsen gelten als einziger deutscher Stamm, der sich ein wenig „persönlich“ mit der Kanzlerin angelegt hat. Warum?

Steimle: Wer hat 1989 die Revolution gemacht? Der Sachse macht eben ’s Maul auf – das finde ich wunderbar! Die Sachsen sind halt „Protestanten“. Wir Sachsen sind vielleicht die letzten Deutschen überhaupt, denn wir haben uns nie vorschreiben lassen, wie wir zu denken haben. Wir waren schon immer freie Geister. Und vielleicht schieben sie uns ja deshalb gerne in eine bestimmte Ecke, weil sie fürchten, wir könnten wieder loslaufen. Diesmal gleich bis Berlin. Zeit wäre es. 

Sie meinen Pegida?

Steimle: Nein, ich meine das Volk. Sehen Sie, die Grundfrage der Philosophie lautet doch: Ist die Welt zu erkennen? Und uns wird einfach gesagt: Nein! 

Wer sagt das?

Steimle: Na etwa Frau Merkel, laut der die Welt immer komplizierter wird – überhaupt alles viel komplizierter ist, als wir glauben und somit für uns eigentlich unverständlich ist, weshalb wir niemandem vertrauen sollten außer ihr, die alles für uns schon richtig regelt. Das nenne ich Entmündigung. Und dann unsere Medien – glauben Sie zum Beispiel bitte nicht, wir hätten einen staatsfernen Rundfunk! Wobei man für diese Erkenntnis ja nicht einmal, wie ich, Inneneinblick haben muß. Inzwischen weiß jeder, daß etwa Atlantikbrücke-Mitglied Claus Kleber der Karl-Eduard von Schnitzler der BRD ist, zusammen mit seiner Marionetta Slomka. Nein, die Wahrheit „lügt“ in der Mitte: Es gibt Leute mit Geld, für die sind Wandel, Wachstum, Grenzenlosigkeit und globale Perspektiven gut. Und es gibt Menschen mit weniger Geld, Leute wie du und ich, die sagen: Nein, mir ist mein Nachbar wichtig, mein Dorf, meine Stadt. Die nicht um jeden Preis „Wandel“ wollen, sondern Frieden und Zwischenmenschlichkeit. Deren Widerwille wird natürlich stärker, je mehr Wandel von oben durchgedrückt wird. Letztlich ist das Besinnen auf das Nationale eine Antwort auf diesen enthemmten Kapitalismus. Für jemanden, der Geld hat, ist dieser Kapitalismus die reinste Demokratie. Für jemanden, der kein Geld hat, ist diese Demokratie der reinste Kapitalismus. 

Wieso Kapitalismus?

Steimle: Der ist die Ursache: Früher hieß die Globalisierung Imperialismus, und wir wissen, was der für die Betroffenen bedeutet hat. Deshalb brauchen wir vielleicht eine neue Gesellschaft. 

Was stellen Sie sich vor?

Steimle: Eine Art Kapitalismus mit menschlichem Antlitz – in dem etwa das Gegeneinanderausspielen aufhört: Linke gegen Rechte, Ossis gegen Wessis und auch Deutsche gegen Ausländer – auch das muß aufhören. Ich als Deutscher möchte nicht, daß unsere Rüstungsindustrie und Regierung Waffen verkaufen, mit denen anderen Menschen die Heimat weggebombt wird. Daher meine ich auch, per Volksabstimmung sollte festgelegt werden: Die Kosten für die Geflüchteten in Deutschland übernimmt die Rüstungsindustrie! Und ich hätte noch einen Vorschlag: In Deutschland leben eine Million Millionäre und 122 Milliardäre. Aber auch über eine Million Geflüchtete. Die sollten für je einen eine Patenschaft übernehmen – also die Geflüchteten für die Millionäre: Dann wären viele erleichtert!  

Und was ist mit der Kanzlerin? 

Steimle: Sie hat ja verkündet, wir müßten alle diese Menschen in ihrer Not aufnehmen. Ja, aber vielleicht hätte sie verhindern sollen, daß sie überhaupt in Not geraten? Doch dann hätte sie auf Waffenverkäufe verzichten, Deutschlands finanzielle Uno-Pflichten einhalten und überhaupt eine andere, nämlich eine eigenständige Außenpolitik machen müssen. Und deshalb ist ihr moralisches Gerede für mich nur pure Heuchelei. 

Allerdings kommen viele von „Merkels Gästen“ aus Syrien, für dessen Zerstörung sie nicht verantwortlich ist.

Steimle: Meinen Sie? Haben wir gegen die Machenschaften der USA dort protestiert? Hat Berlin versucht, dem Einhalt zu gebieten? Im Gegenteil, wir haben sie nicht nur geduldet, sondern diplomatisch unterstützt. Syrien ist eine traurige Farce à la: „Haltet den Dieb, er hat mein Messer im Rücken!“ Da wird so lange gelogen, bis die Lüge uns als Wahrheit erscheint. Ich möchte, daß wir da nicht mehr mitmachen.

Was stellen Sie sich konkret vor?

Steimle: Ein erster Schritt könnte sein, zu debattieren, daß wir selbst 2018 noch Besatzungsgebiet der USA sind. 

Inwiefern das?

Steimle: Zum Beispiel lagern sie zwanzig ihrer Atombomben bei uns. 

Das ist die „nukleare Teilhabe“ der Nato. 

Steimle: Ach so, na dann ist es ja gut ... So wird das verbrämt – ich finde, das ist eine Verlogenheit Sondershausen!

Aber sind wir deshalb gleich „besetzt“?

Steimle: Denken Sie an die Irak-Kriege. Die führte und führt Amerika vor allem auch vom „Flugzeugträger Deutschland“ aus. Kriege, die bei uns abgelehnt werden – und trotzdem ist den USA das problemlos möglich. Wie erklären Sie sich das denn sonst? Und noch eine Frage: Warum isolieren wir nicht die USA?

Wie meinen Sie das?

Steimle: Müßten wir angesichts dessen, was wir aus der Geschichte gelernt haben, nicht erklären, daß wir mit diesen Kriegstreibern nichts mehr zu tun haben wollen? Statt dessen sekundieren wir ihnen sogar dann, wenn wir ihre Politik ablehnen. Die Wahrheit ist eben, daß wir keine eigene Politik haben, weil wir ein besetztes Land sind. 

Wenn das so wäre, was wäre dann Kanzlerin Merkel? 

Steimle: Eine Marionette. 

Geht das nicht zu weit?

Steimle: Nein, die Politiker brauchen uns nur bis zu dem Tag, an dem wir sie gewählt haben. Von da an aber dienen sie allein den Interessen von Industrie, Banken, Lobbies und der Mächtigen. Und das ist es, was viele Leute hier fast in den Wahnsinn treibt. Egal, was sie wählen, die Politik bleibt die gleiche! Und da die Macht keine Vernunft hat, hat die Vernunft keine Macht.   

Zumindest im Fall AfD sind sich alle einig, daß das mit der „immer gleichen Politik“ nicht stimmt. 

Steimle: Wäre die Politik nicht so abgehoben und würde sie sich an den normalen Leuten statt an den selbsternannten Sehr-Gutmenschen orientieren und sich um ihre sozialen und emotionalen Bedürfnisse kümmern, würde sich der Fall AfD von selbst erledigen. 

Angesichts der sogenannten Flüchtlingskrise wohl kaum.

Steimle: Wir müssen begreifen, daß die, die da kommen, ebenso Opfer sind wie wir. Denn wir haben ein internationales System, das erst ihnen die Heimat nimmt und in der Folge dann uns. Letztlich sitzen wir in einem Boot!

Im März haben Sie allerdings die von der ehemaligen DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld initiierte „Erklärung 2018“ unterschrieben, die für viel Aufmerksamkeit gesorgt hat und sich gegen die liberale „Flüchtlingspolitik“ der Regierung wendet. 

Steimle: Ich vertraue Vera Lengsfeld und wollte sie dabei unterstützen, wenn sie auf Mißstände hinweisen will.

Kurz darauf haben Sie Ihre Unterschrift aber zurückgezogen. Warum? 

Steimle: Weil ich in dieser Streitfrage gerne vermitteln würde. Dazu darf man aber nicht in einer bestimmten politischen Ecke stehen, in der die Unterzeichner wahrgenommen werden. Ich bin nämlich nicht links, ich bin nicht rechts, ich bin vorn! 

Ende Februar wurde Ihnen die Schirmherrschaft der traditionellen Ökumenischen Friedensdekade entzogen, die jedes Jahr in den zehn Tagen vor dem Buß- und Bettag stattfindet. Der Vorwurf lautete, Sie ließen keine klare Distanz zu „rechtspopulistischen“ Positionen erkennen.

Steimle: Erst wenn man anfängt, gegen den Strom zu schwimmen, merkt man eben, wieviel Dreck einem entgegenkommt. 

Spielte diese Erfahrung eine Rolle für Ihr Verhalten im Fall der „Erklärung 2018“?

Steimle: Das ging natürlich nicht spurlos an mir vorbei. Sehen Sie, der Hauptgrund für den Entzug der Schirmherrschaft war, daß ich ein T-Shirt mit einem Aufdruck der Zeitschrift Compact getragen habe, auf dem stand „Ami go home“. Wer zu jung ist, um es zu wissen: Das war eine Losung der Linken und der Friedensbewegung bis 1989. Und da bekomme ich zu hören: Ja, bis 1989 sei das links gewesen – aber heute sei das ... 

Was? ... Rechts? 

Steimle: Sehen Sie, das ist, was ich meine. Was heute rechts ist, war gestern vielleicht links und umgekehrt. Das zeigt die Absurdität dieser Aufteilung. Welchen Sinn ergibt sie noch? Daher sage ich: Wer frei von Schuld ist, der werfe den ersten Steimle! Spaß beiseite, am Ende hieß es dann, der Hauptgrund sei, daß das Hemd von Compact war. Aber eben das wollte ich provozieren – das gebe ich zu –, nämlich zu prüfen: Was zählt heute wirklich, der Inhalt „Ami go home“, der über jeden Zweifel erhaben ist, oder das Etikett? Das Ergebnis ist eine Niederlage für unsere Debattenkultur. Es zählt nicht der Inhalt, also das Argument, sondern das Etikett. Tja, offenbar bin ich politisch altmodisch. Aber manchmal ist ja, wer nur lange genug altmodisch ist, irgendwann wieder modern. 

Sie bekennen sich dazu, die Linke zu wählen. Warum?

Steimle: Ganz einfach, weil sie die einzige Partei ist, die sich konsequent für den Frieden einsetzt, und ich träume von Frieden für alle Menschen auf der Erde.

Nehmen Sie den Konflikt in der Partei wahr?

Steimle: Klar, und ich versuche, realistisch zu denken und neige so eher zur Position von Frau Wagenknecht.  

Was ist mit Katja Kipping? 

Steimle: Vor wem ich wirklich Angst habe, sind diese „Bescheidwisser“. Es war der große Fehler der DDR, ihren Bürgern so zu mißtrauen. Sie glaubte, besser Bescheid zu wissen, was gut für sie ist. Das ist eine Entwicklung, die ich heute wieder sehe. Nicht nur bei Angela Merkel, auch etwa bei Katja Kipping. Das sind so Leute, die wohl auch verurteilen würden, daß ich auch JUNGE FREIHEIT lese. Aber ich lasse mir die Freude am Denken nicht verbieten, deshalb lese ich Sie, ebenso wie Junge Welt und andere. Und natürlich rede ich auch mit jedem, der friedfertig ist. Mit Ihnen, weil Sie mich angerufen haben, und es würde mich freuen, riefe auch mal die Junge Welt an. Wie wollen wir denn sonst zum Frieden kommen – wenn wir nicht miteinander reden? Was würden wir sagen, weigerten sich Trump und Nordkoreas Kim Jong-un miteinander zu sprechen? Was wäre die Konsequenz? Vielleicht ein Atomkrieg! Aber wie können wir von diesen etwas verlangen, zu dem wir selbst nicht bereit sind? Gehen wir ihnen mit gutem Beispiel voran! Wissen Sie, ein Linker ist für mich jemand, der für Gerechtigkeit kämpft – und deutsch, das ist für mich Herz, Weite und Mitgefühl, früher hieß das mal Solidarität. Und an diese Werte, auch wenn das vielleicht naiv ist, möchte ich einfach glauben. 






Uwe Steimle, hat durch seine zahlreichen Rollen und Auftritte in Fernsehen, Funk und Presse sowie durch seine Bühnenshows breite Bekanntheit erlangt – besonders durch die Rolle des Kommissars Jens Hinrichs in „Polizeiruf 110“ und seine Erich-Honecker-Parodien. Dazu beigetragen haben auch die kritischen Einlassungen des Kabarettisten und Schauspielers, etwa zum Thema soziale Gerechtigkeit oder zur Asylkrise. 2009 wurde Steimle, der 1963 in Dresden geboren worden ist, auf Vorschlag der Partei Die Linke Mitglied der Bundesversammlung und nahm an der Wahl des Bundespräsidenten teil. Als Autor veröffentliche er etliche Bücher und Hörbücher, darunter „Heimatstunde“,  „Steimles Welt“, „Warum der Esel Martin heißt. Neues von Martin Luther“ sowie „Fludschen muß es“. 

Foto: Steimle in einem seiner selbstentworfenen T-Shirts: „Was wir brauchen ist Frieden. Deshalb, gehen wir mit gutem Beispiel voran, reden wir miteinander!“

 

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