© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/18 / 29. Juni 2018

Diskurshygiene wahren
Gewalt von links: Gibt es nicht. Wenn doch, dann nur gegen „die Richtigen“
Werner Patzelt

Die Haltung von Linken zur Gewalt ist schon eigenartig. Da fühlt man sich zwar der Humanität verpflichtet und hält das N-Wort für die schlimmste Schmach, die einem Afrikaner anzutun ist. Doch man findet wenig dabei, wenn Polizisten als „Bullen“ bezeichnet werden.

Gut, man ist wohl peinlich berührt, wenn jemand Polizisten auch noch „Schweine“ nennt, auf die – so einst die RAF-Mitgründerin Ulrike Meinhof – natürlich geschossen werden darf. Doch Steinewerfen auf Polizisten geht immer, solange es sich – Ehrenwort! – nur um Notwehr gegen staatliche Repression handelt.

Sicher, physische Gewalt gegen Menschen sollte man lieber meiden. Sie braucht es vielleicht auch gar nicht, wenn nämlich Gewalt gegen Sachen schon ihre Wirkung getan und den Gegner wünschenswert eingeschüchtert hat. Die Entglasung von Fenstern, die thermische Endverwertung von Automobilen, Geruchsanreicherung von Gebäuden dank Buttersäure und optisches Aufpeppen gegnerischer Wände durch wahrheitsdienliche Graffiti wie FCK … sind übliche Mittel.

Sprechchöre oder Trillerpfeifen bei Auftritten ungeliebter Redner, auch Blockadeversuche von Gebäuden mit abgelehnten Parteiveranstaltungen, runden die Möglichkeiten ab. Doch ist das wirklich Gewalt – und nicht einfach „praktizierte Diskurshygiene“?

Was geht wohl in Leuten vor, die von derlei Dingen nicht mit der Ironie eines distanzwahrenden Analytikers, sondern mit dem Pathos eines Aktivisten reden?

Wie weit trägt sie die selbsterhöhende Empfindung, im Dienst einer guten Sache sei letztlich alles erlaubt, was üblen Gegnern schadet? Welche Rolle spielt da ein Verlangen nach Selbstbewährung im Streit, auch Abenteuerlust als Stadt- und Spaßguerillero, gar ein Vorbild wie Robin Hood oder Zorro?

Welche Wirkungen entfalten da auch Narrative, entlang welcher der einstige Krieg von Spartakus gegen römische Sklavenhalter nun als Kampf der guten Linken gegen die bösen Rechten neu inszeniert wird?

Vielleicht ist gerade von solchen Selbstdeutungen her zu verstehen, warum im Grundfühl von Linken und Grünen, ihrerseits Sachwalter „des Fortschritts“, Gewalt durch ihresgleichen meist wie befreiend, die ihrer Gegner aber stets als bedrohlich wirkt.

Falls sich das so verhält, wird freilich rasch klar, warum die selbstbekennend linke Randale zu Frankfurt um die Eröffnung der Europäischen Zentralbank, oder in Hamburg beim G20-Gipfel, durchaus nicht bundesweit jenen „Aufstand der Anständigen“ auslöste, den Krawalle viel geringeren Ausmaßes ganz gewiß dann bewirkt hätten, wenn sie von Pegida oder der AfD ausgegangen wären.

Dann versteht man ebenfalls, warum bei „Bündnissen gegen Rechts“ stets auch solche Gruppierungen willkommen sind, die sich von Gewalt – falls gegen „die Richtigen“ angewandt – gerade nicht distanzieren wollen, während umgekehrt schon die bloße Teilnahme an einer Dresdner Pegida-Demonstration als verwerflich gilt, nur weil sich dort bisher stets auch ein – nicht sonderlich großer – Anteil von Rechtsextremisten einfand.

Und dann leuchtet überdies ein, warum nur Berichte über rechte Gewalt – zumal gegen Migranten und deren Unterkünfte – in der Öffentlichkeit Sorgenwellen auslösen, während die Vermeldung eines deutlichen Anstiegs linker Gewalt durch den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz weithin nur mit Achselzucken zur Kenntnis genommen wird.

Einesteils ist doch bekannt, daß die Schlapphüte auf dem rechten Auge blind sind und deshalb zur Rechtfertigung ihrer Existenz das Aufbauschen einzelner Fälle womöglich „links“ motivierter Gewalt brauchen. Und andernteils kann ein wirklich Linker gar nicht gewalttätig sein.

Humanität und Fortschrittlichkeit, der Doppelkern einer linken Einstellung, gehen nämlich auf die Überwindung aller Gewalt aus – ganz gleich, ob diese von Kapitalisten und Imperialisten, von Faschisten oder Rassisten verursacht wird. Allenfalls „im Namen der Linken“ wird da der eine oder andere gewalttätig – und zwar vermutlich deshalb, weil ihn eine von der Rechten dominierte Gesellschaft zum „falschen Bewußtsein“ gebracht hat oder er rechten Provokationen ausgesetzt war. Also ist klar, welcher Weg zu einer nachhaltig gewaltfreien Gesellschaft führt: der Kampf gegen Rechts, der Sieg über das allzeit Böse! Wo aber zu diesem Zweck gehobelt werden muß, dort fallen nun einmal Späne. Ist es denn wirklich schlimm, wenn Falschgesinnte den Schwanz einziehen müssen?

So kann man die Dinge sehen. So werden sie von gar nicht wenigen auch gesehen. Und so werden sie in vielen einflußreichen Medien sehr oft bewertet. Mancherlei Wut und Gewalttätigkeit von Rechten, ebenso verachtenswert wie die von Linken, wird durchaus auch davon geschürt. Dann gerät politischer Streit aufs Niveau trotzigen Kinderverhaltens: „Nicht ich habe angefangen – der da war’s!“ Oder man bequemt sich ins Aufrechnen: „Die anderen sind viel schlimmer!“ Es wäre aber besser, politisch erwachsen zu werden und zu begreifen, daß jede Gewalt unser Zusammenleben vergiftet. Und einzusehen, daß kein noch so selbstentlastendes Motiv etwas daran ändert, daß Gewaltanwendung uns um den größten Vorteil pluralistischer Demokratie bringt: darum, über politische Ziele und Mittel angstfrei streiten zu können – und von respektablen Gegnern zu lernen.






Prof. Dr. Werner J. Patzelt, Jahrgang 1953, lehrt Politikwissenschaft an der TU Dresden.