© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/18 / 22. Juni 2018

„Hier herrscht blanke Angst“
„Bild“-Zeitung: Chefredakteur Julian Reichelt trimmt das Blatt angesichts einbrechender Auflagen auf einen asylkritischen Kurs
Jörg Rathgeb

Im Stakkato einer Stalinorgel schießt die Bild-Zeitung neuerdings ihre Schlagzeilen aus allen Rohren gegen Merkels Asylpolitik. Bildblog.de will sogar den Tag ausgemacht haben, an dem der aktuelle Bild-Chefredakteur und ehemalige Kriegsreporter Julian Reichelt den Befehl einer 180–Grad–Wende der Blattausrichtung gab: Es soll der 21. April 2018 gewesen sein. Seitdem habe das Springer-Flagschiff alle zwei Tage eine große oder kleine Titelgeschichte zum Thema Asyl veröffentlicht.

Woher kommt diese auffällige Umkehr? „Der Reichelt würde auch weiterhin Merkels Flüchtlingspolitik loben, brächte das wieder Auflage“, sagt ein Springer-Redakteur der JUNGEN FREIHEIT. „Aber uns laufen die Leser weg. Deshalb hat er die Bild neu justiert.“ Diese Einschätzung stimmt mit einer Aussage Reichelts überein, die in einem n-tv-Beitrag vom 3. November 2016 gezeigt wird: „Nichts hat uns ganz nachweislich wirtschaftlich in der Reichweite so sehr geschadet wie unsere klare, menschliche, empathische Haltung in der Flüchtlingskrise“, sagte er bei der Konferenz „Formate des Politischen“ in Berlin. Dennoch habe das Blatt an dieser Linie festgehalten. Die positive Flüchtlingsberichterstattung ist also der Hauptgrund für den wirtschaftlichen Schaden in der Reichweite? Dabei wurde als Ursache für den Auflagenverlust „über Jahre doch das Internet identifiziert“, sagt ein anderer Springer-Mitarbeiter.

Die Folgen müssen die Mitarbeiter in den Redaktionen ausbaden. Schwer betroffen sind die sogenannten freien, also selbständigen, Fotografen. „In zwölf Tagen gab es für vier freie  Fotografen elf Termine“, sagt ein Redakteur. „Davon kann kein Mensch leben.“ Für Printfotos werden durchschnittlich 60 Euro gezahlt. „Seit über zehn Jahren ist der Preis nicht erhöht worden, und dabei zahlt Bild noch am besten.“ Bild, wie auch andere Zeitungen, bedienen sich aus dem Fundus der von Polizei und Feuerwehr zur Verfügung gestellten kostenlosen Fotos oder arbeiten mit sogenannten Symbolfotos. „Das ist dann ein vor Jahren fotografiertes Polizeiauto oder einfach eine Kelle“, so der Mitarbeiter, „kostet eben nichts“.

Allerdings ist auch der Textbereich von Umstrukturierungen betroffen. Eine neue Blatt-Konzeption sei es, „Geschichten großflächiger hinzulegen“, mit weniger Text. „Und dann gibt es noch Wandergeschichten. Die wandern von der Außenredaktion Stuttgart zu der nach Chemnitz und weiter nach Rostock.“ Es sei immer dasselbe Layout und derselbe Text. Nur ein Zitat des örtlichen Experten, sei er nun Förster oder Krankenschwester, würde ausgetauscht. „Der Leser merke nicht, daß er für weniger Inhalt den gleichen Preis zahlt, glauben jedenfalls die Chefs“, so der Bild-Mann gegenüber der JF. Widerspruch aus den Redaktionen gebe es nicht. „Kritik ist gleich Null. Hier sagt jeder nur Ja und Amen. Wir sind hier nur damit beschäftigt, das Schlimmste zu verhindern.“ Denn durch die Entmachtung der Leiter der Außenredaktionen – seit einiger Zeit wird in den Zentralredaktionen bestimmt, was in den Regionalformen erscheint – schleichen sich Fehler ein.  „Ein Redaktionsleiter, der selbständig ohne Rückfrage eine Schlagzeile geändert hatte, einfach weil sie falsch war, mußte am nächsten Morgen in Berlin antanzen. Hier herrscht einfach blanke Angst.“