© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/18 / 22. Juni 2018

Die Saat geht plötzlich auf
Schottland: Die überparteiliche Organisation „All Under One Banner“ mobilisiert erfolgreich die Massen / Ihr Ziel ist ein weiteres Referendum zur Unabhängigkeit
Josef Hämmerling

Die schottischen Unabhängigkeitsbestrebungen nehmen wieder Fahrt auf. Hierfür verantwortlich zeichnet vor allem die überparteiliche Organisation „All Under One Banner“ (AUOB; Alle unter einem Banner). Sie besteht inzwischen aus Tausenden Unterstützern und hat sich zum Ziel gesetzt, mit Massendemonstrationen die schottische Bevölkerung zu mobilisieren und ein zweites Referendum zur Unabhängigkeit des nördlichen Teils des Vereinigten Königreichs durchzusetzen. 

Das erste war am 18. September 2014 gescheitert, als 55,3 Prozent der Wahlberechtigten gegen eine Abspaltung von Großbritannien stimmten und nur 44,7 Prozent dafür. Die Wahlbeteiligung lag damals bei 84,6 Prozent. Das soll beim nächsten Referendum, das nach dem Wunsch der Befürworter 2019 stattfinden soll, anders sein. Die Chancen stehen nicht schlecht, denn nach jüngsten Umfragen sprechen sich derzeit 55 Prozent der befragten Schotten für die Unabhängigkeit aus.

AUOB existiert zwar schon länger, in diesem Jahr wird der Zuspruch jedoch immer größer. Bei den einzelnen „Märschen für die Unabhängigkeit“ nahmen im vergangenen Jahr bis zu 7.000 Personen teil. Anders in diesem Jahr: Mehrere Crowdfunding-Aktionen spülten viel Geld in die Kassen, das für professionelles Marketing und gezielte Öffentlichkeitsarbeit investiert wurde. 

Edinburgh erwartet sechsstellige Teilnehmerzahl 

Das Konzept geht auf: Statt der erwarteten 20.000 Menschen nahmen beim ersten großen Marsch in diesem Jahr am 5. Mai in Glasgow sogar 60.000 Personen teil, wie auch die Polizei mittlerweile zugeben mußte. Auch im wesentlich kleineren Dumfries kamen 10.000 Personen. In beiden Städten waren es nicht nur Schotten, die die Unabhängigkeit ihres Landes befürworteten, sondern auch proschottisch eingestellte Engländer. Sogar aus den Niederlanden und auch aus Deutschland waren Gruppen nach Glasgow gereist, um ihre Solidarität zu zeigen. Der nächste „March for Independence“ findet am 23. Juni in Bannockburn statt, gefolgt von Inverness am 28. Juli und Dundee am 25. August.

Ein besonderes Fanal aber soll am 6. Oktober in der Hauptstadt Edinburgh gesetzt werden. Die Organisatoren hoffen auf eine sechsstellige Teilnehmerzahl. Eine ähnlich große Demonstration gab es zuletzt am 2. Juli 2005, als 200.000 Menschen gegen die damalige große Armut in Schottland demonstrierten (March Against Poverty). Die Unterstützer setzen sich vor allem aus Mitgliedern der fünf schottischen Pro-Unabhängigkeits-Parteien zusammen. Das sind die Scottish National Party (SNP), eine eher links-libertär eingestellte Partei, die Scottish Green Party, die Scottish Socialist Party sowie Solidarity und die Scottish Libertarian Party. Die SNP stellt mit Nicola Sturgeon auch die Erste Ministerin Schottlands. Zwar hatte die SNP bei den Wahlen im Mai 2016 die absolute Mehrheit im schottischen Parlament verloren, blieb aber mit 41,7 Prozent die größte Partei. So wurde Sturgeon erneut zur Ersten Ministerin gewählt.

Da sich nach dem ersten, für Großbritannien positiven Referendum nicht viel für die Schotten geändert hat, werden die Stimmen für ein zweites Referendum nun immer lauter. Und das, obwohl die britische Regierung damals angekündigt hatte, sich den Belangen und Wünschen der schottischen Bevölkerung verstärkt anzunehmen. Um so größer ist die Enttäuschung der Schotten, daß nichts davon umgesetzt wurde. Für einen zusätzlichen Vertrauensbruch sorgte auch der Brexit vom 23. Juni 2016. Die Schotten sprachen sich bei dem Votum mehrheitlich für einen Verbleib in der EU aus.