© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/18 / 22. Juni 2018

Terror aus dem Blumenkübel
Islamismus: Hinweise aus den USA verhindern Bio-Anschlag
Sandro Serafin

Ob der Wunderbaum ein schönes Gewächs ist oder nicht, darüber läßt sich trefflich streiten. Besonders gefährlich wirkt die ursprünglich aus dem tropischen Afrika stammende Rizinuspflanze mit ihren auffallenden, oft farbintensiven runden Blüten jedoch erst einmal nicht, so daß viele Deutsche sie gern in ihrem Garten oder auf ihrem Balkon anpflanzen. Schon für 8,90 Euro können 50 Samen bei einem bekannten Onlineversandhaus bestellt werden. Den wenigsten Käufern dürfte bewußt sein, daß sie damit den Ausgangsstoff für eine hochgiftige Substanz erwerben.

Sief Allah H. war das sehr wohl bewußt. Ende 2016 nach Deutschland eingereist, bestellte der im Kölner Brennpunkt-Stadtteil Chorweiler wohnende Tunesier, der mit seinen vier Kindern und einer schwangeren Frau laut Bild von Hartz IV lebt, im Mai 1.000 Rizinus-Samen im Internet, dazu eine elektrische Kaffeemühle. Eine riesige Wunderbaum-Plantage wollte er damit nicht anlegen. Stattdessen arbeitete er ab Anfang Juni an der Herstellung einer biologischen Vernichtungswaffe, isolierte mit Hilfe von Aceton aus den Samen den Giftstoff Rizin.

Verdächtiger nicht        als Gefährder eingestuft

Als amerikanische Ermittler auf die ungewöhnliche Bestellung aufmerksam wurden, informierten sie ihre deutschen Kollegen. Nach einer längeren Phase der Beobachtung stürmten Spezialeinsatzkräfte der Polizei dann am Dienstag vergangener Woche die Wohnung des 29jährigen in einem Hochhaus. Und tatsächlich fanden sie dort große Mengen an Rizin. Der Bundesgerichtshof erließ daraufhin Haftbefehl gegen H. Drei Tage nach dem spektakulären Wohnungssturm erklärte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen schließlich gegenüber der Rheinischen Post, daß es „sehr wahrscheinlich“ sei, „daß hier ein terroristischer Anschlag vereitelt werden konnte“ – es wäre nicht das erste Mal. „Das Gefahrenpotential, das von ihm ausging, war schon relativ hoch“, hatte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) schon einen Tag zuvor seine Einschätzung mitgeteilt.

Dafür spricht auch, daß H. laut Spiegel-Informationen bereits zweimal versucht haben soll, zum Islamischen Staat (IS) nach Syrien auszureisen. Obwohl die Behörden dies wohl wußten, stuften sie ihn nicht als Gefährder ein. H. war zwar wegen häuslicher Gewalt aktenkundig – mehr aber auch nicht.

Aus Sicherheitskreisen verlautete, daß die von H. hergestellte Menge an Rizin wohl für 250 bis tausend Dosen gereicht hätte. Was genau der Nordafrikaner damit anstellen wollte, ist noch unklar. Fest steht jedoch: Er hätte Hunderte in den Tod schicken können. Denn der proteinische Zellentöter ist schon in kleinsten Mengen hochaggressiv und führt zu einem qualvollen Tod.

Laut dem Robert-Koch-Institut, dessen Spezialisten an den Wohnungsdurchsuchungen beteiligt waren, kann das Gift sowohl über den Mund, als auch durch Injektion oder über die Atmung in den Körper gelangen. Je nach Aufnahmeart folgen Symptome innerhalb der ersten Stunden oder weniger Tage. So tritt bei Inhalation des Giftes innerhalb von acht Stunden Husten, Atemnot und Fieber auf, bevor es nach spätestens 24 Stunden schließlich zum Lungen- und Kreislaufversagen kommt. Daß die ersten Symptome sehr allgemein sind, macht das Gift dabei besonders gefährlich, weil Ärzte so nur schwer hinter die Ursache kommen können. Zudem hat die Forschung bis heute kein Gegengift entwickeln können.

Wie H. sein Gift an potentielle Opfer bringen wollte, ist noch unklar. Neben dem Toxin wurden in der Wohnung des Tunesiers auch Muttern und Angelhaken gefunden – möglicherweise Bestandteile einer entsprechenden Bombe. Doch Experten wie der Toxikologe Ralf Stahlmann von der Berliner Charité bezweifeln, daß ein Sprengsatz im Falle der Anwendung überhaupt die gewünschte Wirkung erzielt hätte. „Ich würde vermuten, daß das Rizin durch die Hitzeentwicklung bei einer Explosion zerstört würde“, sagte er  dem Sender n-tv.de.

Wie genau der Plan H.s am Ende auch aussah: Sein Fall zeigt, daß sich islamistische Terroristen in ihrer Methodik stetig weiterentwickeln – und es nicht etwa bei Messerangriffen, Selbstmordanschlägen oder LKW-Attentaten belassen. Immer häufiger treten Fälle auf, bei denen die Beschuldigten die für ihren Anschlag nötigen Mittel einfach und ganz legal im Internet bestellen. Daß H. mit seiner Idee, im terroristischen Kampf auf biologische Vernichtungswaffen zu setzen, am Ende ein Einzelfall bleibt: eher unwahrscheinlich. Laut Medienberichten gewann er das Rizin mit Hilfe einer Anleitung des IS. Und erst vor wenigen Wochen hatten französische Sicherheitskräfte zwei Brüder ägyptischer Abstammung festgenommen, die möglicherweise ebenfalls einen Rizin-Angriff geplant hatten.

Einen erfolgreichen islamistischen Anschlag dieser Art gab es bisher jedoch nicht. Nur im Kalten Krieg brachte es der Stoff schon einmal zu weltweiter Berühmtheit. 1978 war dem oppositionellen bulgarischen Exil-Schriftsteller Georgi Markow ein mit Rizin präparierter Regenschirm in die Wade gerammt worden. Er starb vier Tage später an Herzversagen. Ein Einzelfall. Es dürfte sich – so steht zu befürchten – bei dem nun verhinderten nicht um den letzten  Versuch gehandelt haben, Rizin auch als terroristische Massenvernichtungswaffe einzusetzen. 

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