© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/18 / 15. Juni 2018

Tonnenschwere Umwelthypothek
Mit ihrer Ökobilanz sind Batterie-Fahrzeuge keine Klimaretter / Bestenfalls alternative Zweitwagen
Christoph Keller

Fast im Wochentakt gibt es neue Thesen zur Ökobilanz von Elektroautos, zu Stromverbrauch und Batterietechnik, zu Lebensdauer und Fahrleistung im Vergleich mit den „Verbrennern“. Manche Blätter wie der Spiegel ändern ihre Schlagzeilen im Takt der Gutachten. Aktuell werden die drohenden Arbeitsplatzverluste in der Autoindustrie und eine angebliche 40.000-Euro-Prämie auf Steuerzahlerkosten für E-Lkw thematisiert. Zuvor wurde gern das schwedische Umweltinstitut IVL zitiert, um so von „Stromillusionen“ und „Ökoschwindel“ zu schwadronieren.

Die starke Fraktion der E-Optimisten schaut hingegen gern nach China: Sensationelle 699.000 „New Energy Vehicles“ (NEV) seien 2017 dort abgesetzt worden. Verschwiegen wird dabei: NEV sind Elektroautos oder Plug-in Hybride, also Benziner, die auch einige Kilometer rein elektrisch fahren können. Bei einem Absatz von 25 Millionen Stück (2017) im weltweit größten Markt für Pkw machen NEV nur 2,8 Prozent aus.

Und im ersten Quartal 2018 wurden in China 143.000 NEV verkauft – bei einem Gesamtabsatz von sieben Millionen Fahrzeugen sind das nur zwei Prozent. Der Trend sei rückläufig „und das Gegenteil dessen, was allerorten über die E-Revolution zu hören und zu lesen ist“, ätzte die FAZ. Überdies werde die Produktion der E-Mobile massiv subventioniert, während Benzinautos mit teuren Zulassungskosten drangsaliert werden. Für jedes der 1,2 Millionen E-Fahrzeuge, die seit 2016 auf die Straße rollten, habe der Staat 10.000 Euro zugeschossen. Außerdem fördere er direkt selbst den Absatz: ein Drittel der E-Fahrzeuge sei an Behörden und Staatskonzerne gegangen.

Den ökologischen Kosten widmete sich der Hamburger Physiker Christopher Schrader, der sich seit zwei Jahrzehnten mit der Mobilitätsbranche befaßt (Spektrum der Wissenschaft, 5/18). Für den Wissenschaftsjournalisten ist die interessanteste Frage, „ob Elektroautos über ihren gesamten Lebenszyklus gerechnet einen ökologischen Vorteil gegenüber Dieseln oder Benzinern bieten“. Seine Antwort fällt vielschichtig aus.

Viele Faktoren spielen eine Rolle: Stromverbrauch, Herkunft der Elektrizität, das Klima am Einsatzort, die Herstellung der Batterie und der Zusatzkomponenten, die Lebensdauer des Fahrzeugs sowie die politischen Rahmenbedingungen. Irgendwo in der Mitte, zwischen dem Jubel des Umweltchemikers Eckard Helmers (Hochschule Trier) über den „größten ökologischen Fortschritt in 100 Jahren Autoentwicklung“ und der Klage Dieter Teufels (Umwelt- und Prognose-Institut Heidelberg) über die „massive Verschärfung der Klimaprobleme durch E-Autos“ führe nur gründliche „Spurensuche“ zur Wahrheit.

Die große E-Revolution läßt noch auf sich warten

Schrader schreibt einem vor der Außerachtlassung von Gesetzmäßigkeiten der Physik warnenden Brief, den 15 Professoren 2017 verfaßten, die Wirkung eines reinigenden Gewitters zu: E-Autos werden mit einer schweren CO2-Hypothek aus der Akkuproduktion in den Verkehr entlassen werden. Auch wenn VW und BMW dies nur in knappen Umweltbroschüren einräumen: Bei der Herstellung des e-Golf und des i3 werde etwa doppelt soviel Kohlendioxid wie bei einem konventionellen Vergleichs­auto freigesetzt. Bei den Wolfsburgern seien dies neun statt vier Tonnen CO2.

Die IVL-Studie, auf die der Spiegel rekurriert, kalkuliere die zusätzliche Emission auf 150 bis 200 Kilogramm CO2-Äquivalente pro Kilowattstunde Speicherkapazität. Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und des Heidelberger Ifeu-Instituts kamen auf ähnliche Werte. Für den e-Golf (JF 22/18) haben sich diese Maßzahlen eher zum Schlechten verändert, denn inzwischen hat dessen Energiespeicher 36 statt 24 Kilowattstunden Kapazität. 

Die Batterie-Mobile starten also „mit einem schweren ökologischen Rucksack“. Denn die fünf Tonnen CO2, die bei der Produktion des Stromspeichers anfielen, entsprechen einer Verbrennung von 1.900 Litern Benzin oder 1.670 Litern Diesel. Das reicht bei sparsamen Verbrennern für 40.000 Kilometer. Um ihre fünf Tonnen CO2-Last auszugleichen, müssen E-Autos hingegen auf 150.000 Kilometer Fahrleistung kommen, für die ein durchschnittlicher Pkw-Nutzer zehn bis zwölf Jahre benötigt.

Weiter falle negativ ins Gewicht, daß die E-Gefährte eben nicht nur grünen Ökostrom „tanken“. Vielmehr fließe durch die Leitung in Deutschland eine Mischung von Öko- und braunem Kohlestrom. In China ist es Steinkohle-, im Trump-feindlichen Tesla-Land Kalifornien ist es Atomstrom. Daß viele Batterien derzeit aus China stammen trübt die Bilanz zusätzlich. Trotzdem meint Schrader: Was Stromer im Fahrbetrieb dem Klima zumuten sei weniger als vergleichbare Verbrenner ausstoßen. Um dies sogleich zu relativieren, wenn er einräumt, daß E-Mobile von 100 Gramm CO2 pro Kilometer nur 20 bis maximal 40 Gramm einsparen. Dreistellige Einsparungen gebe es höchstens in der Luxusklasse, aber die trüben die Bilanz derart, daß ihre Nachfrage mittels Besteuerung gedeckelt werden müsse.

Und: Nur eine Minderheit ersetzt ihren Verbrenner durch einen Stromer, er wird überwiegend als Zweitwagen genutzt. Zudem fahren etwa 85 Prozent mit ihrem E-Auto zur Arbeit, „während das weniger als die Hälfte der Besitzer normaler Wagen tun. Entsprechend verschmähen Elekroautonutzer Fahrräder und den öffentlichen Nahverkehr weitgehend“, so Schrader (Spektrum, 45/17). Auch Feinstaub oder Flächenverbrauch müßte in die Ökobilanz einbezogen werden. E-Mobile beschleunigen mit hohem Drehmoment und belasten ihre Reifen stärker. Da der Abrieb der Pneus eine erhebliche Komponente beim Feinstaub sei, sollten daher nur gedrosselte E-Motoren zugelassen werden.

Elektroautos sind also nicht die automatischen Klimaretter, als die sie Industrie und Politik gern verkaufen. Aber sie können immerhin einen Beitrag zum umweltfreundlichen Straßenverkehr leisten. Mehr nicht.

IVL-Sudie (C243/17/) „The Life Cycle Energy Consumption and Greenhouse Gas Emissions from Lithium-Ion Batteries“: www.ivl.se





Professoren-Brief zur Elektromobilität

Wer als Professor Drittmittel für seine Forschungen einwerben muß, sollte die Steckenpferde von Staat und Wirtschaft nicht allzu kritisch beleuchten. Daher waren es im November 2017 15 emeritierte Hochschullehrer unter Führung von Klaus Beckmann (RWTH Aachen), Helmut Holzapfel (Uni Kassel) und Gerd Sammer (Universität für Bodenkultur, Wien), die in einem offenen Brief die Begeisterung für Elektromobilität kritisch hinterfragten: „Nach den Gesetzen der Physik ist ein emissionsfreies Bewegen großer Massen nicht möglich“, schreiben die Professoren. Daß der Strom an einem entfernten Ort produziert wird, werde nur insofern erwähnt, als von „lokal emissionsfreien“ Autos gesprochen werde. „Ökostrom ist weder zeitlich noch lokal grenzenlos vorhanden“, warnen die Experten. Zudem sei ein umfassender Netzausbau notwendig, um die Stromversorgung zu sichern.

Professoren-Brief „Elektromobilität: Macht der Wandel des Fahrzeugantriebs den Verkehr umweltfreundlich?“:  zeit.de/