© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/18 / 15. Juni 2018

In der Krise kommt die Geldordnung in Bewegung
Das Undenkbare denken
Dirk Meyer

Vor der Finanz- und Eurokrise war eine Reform der Währungsordnung undenkbar. Inzwischen scheint nichts mehr ausgeschlossen: Am 10. Juni durften die Schweizer über die Vollgeld-Initiative abstimmen (JF 24/18). Es ging um die Abschaffung des überall praktizierten Kreditgeldsystems für den Schweizer Franken.

Banken können quasi aus dem Nichts einen Kreditbetrag auf dem Girokonto gutschreiben. Ähnlich wie bei Banknoten und Münzen, auf die die jeweilige Notenbank ein Ausgabemonopol hat, sollte das künftig auch für das Giralgeld gelten. Das hätte zwei Vorteile: Erstens kann es nicht mehr zu einem „Bank Run“ kommen, bei dem die Pleite einer Geschäftsbank einen Bankensturm auf weitere Kreditinstitute auslöst. Das Geld auf den Girokonten ist staatlich garantiert. Lediglich die Sparkonten, auf deren Basis Banken Kredite vergeben können, wären weiterhin unsicher. Eine Bankenkrise wäre damit kaum mehr wahrscheinlich.

Zweitens fallen die Gewinne aus der Ausgabe von zinslosem Zentralbankgeld bei der Notenbank an und nicht im Geschäftsbankensektor. Probleme wie die Wahrung der Unabhängigkeit der Notenbank, die Information über die „richtige“ Geldmenge, die Gewinnverwendung und vor allem die Umstellung vom Kreditgeld auf das Vollgeld wurden von den Gegnern herausgestellt – sie dürften prinzipiell lösbar sein. Parlament, Regierung, die Bankiersvereinigung und die Schweizerische Nationalbank warnten eindringlich. Sie wurden erhört – mit 75,7 Prozent lehnten die Schweizer das Experiment ab.

Vom italienischen Europaminister Paolo Savona kommt der Vorschlag zur Ausgabe sogenannter Minibots. Das sind staatliche Schuldscheine, die ohne Ablaufdatum und ohne Verzinsung in geringer Stückelung von 5 bis 500 ausgegeben werden sollen – also papiergeldgleiche Zahlungsmittel und zugleich Euro zweiter Klasse („Liro“). Hintergrund sind offene Lieferantenrechnungen in Höhe von etwa 40 Milliarden Euro, die der italienische Staat mangels Euro derzeit nicht bezahlen kann. Hinzu kommen Wahlversprechen in Höhe von jährlich 90 Milliarden Euro, deren Finanzierung so gesichert werden soll.

Beide Vorstöße stellen – unabhängig von ihrer Realisierung – eine Kritik an der bestehenden Währungsordnung dar. Die Vollgeld-Initiative ist Ausdruck eines Mißtrauens hinsichtlich der Stabilität unseres Bankenwesens, von dem durch die Verflechtung mit Staatsanleihen und einem teils relativ hohen Anteil an notleidenden Krediten schwer kalkulierbare Gefahren ausgehen. Die „Liro“ sind eine Art staatliches Notgeld, das mangels Ausgabendisziplin bzw. Kreditwürdigkeit den Euro als Parallelwährung umgeht. Man kann und will die Regeln der Währungsunion nicht einhalten. Es wäre der erste Schritt hin zur Abwicklung des Euros in heutiger Form.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.