© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/18 / 15. Juni 2018

Es regt sich was zwischen Ost und West
Fußball-WM in Rußland: Boykottaufrufe verpuffen – das Publikum will harte Dribblings, nervenzehrende Elfmeterduelle und trunkene Siegeshymnen
Thomas Fasbender

Sportlicher Wettkampf und politisches Tauziehen – schon die alten Griechen hatten ihre Mühe damit, beides voneinander zu trennen. Ihr olympischer Friede, der Teilnehmern und Zuschauern freies Geleit durch die zumeist verfehdeten griechischen Stämme gewährte, wurde vielfach gebrochen. Dennoch galt der Vertrag, der den Frieden begründete, fast 1.300 Jahre lang, bis zum Verbot der Olympiade durch die neuen Machthaber in Rom. 

Nicht nur die Olympiade, auch die Weltmeisterschaft der Fußballnationen ist dem friedlichen Wettstreit gewidmet. Wobei das Nationale viel stärker im Mittelpunkt steht als bei Olympia. Dort messen sich, abgesehen von den Mannschaftssportarten, die Teilnehmer als Individuen; erst im Medaillenspiegel fordert die Staatsangehörigkeit ihr Recht. Dagegen ist Fußball ein repräsentativer Kampfsport der Nationen, repräsentativer als jedes Parlament. 

Es gibt eine andere Seite der Medaille. Die Fußball-WM ist eine Bühne. 32 Nationen treffen aufeinander, deren Establishment durchaus seine Probleme hat mit- und untereinander. Die einen halten sich für besser, die anderen für moralischer. Zu den letzteren zählt Deutschland, wo vielen Politikern – darunter der CDU-Obmann im Sportausschuß des Bundestages Frank Steffel und die EU-Abgeordnete Rebecca Harms (Grüne) – und Medien die Tatsache, daß ausgerechnet Rußland die WM 2018 ausrichtet, wie eine Hechtgräte quer im Halse steckt.

Doch die „Bemühungen bestimmter Personen, politischer Figuren in verschiedenen Ländern“, die versuchten, die WM zu politisieren, seien „wenig hilfreich für die Entwicklung des Weltfußballs und des Weltsports“, erklärte der russische EU-Botschafter Wladimir Chizhov der Presse in Brüssel.  

Der Zwiespalt kennzeichnet die seit Monaten schleppend und qualvoll geführte WM-Boykottdiskussion. Die Falken, anfangs mit Verve darauf aus, weder Mannschaft noch Zuschauer ins Reich des Bösen zu entsenden, wurden rasch als wenig zielführend ausgesiebt. 

Antidiskriminierung: Fifa lobt Gastgeber 

Die eisernen Federn der antirussischen Front konnten schreiben, was sie wollten. Daß die politisch Verantwortlichen einen Boykott der Mannschaften ausschlossen, in manchen Fällen zähneknirschend, war ein Sieg des Publikums. Seither geht es um den symbolischen Boykott der WM durch die Staats- und Regierungschefs. Deren Front bröckelt ebenfalls. Die These vom isolierten Rußland ist Fiktion; der Andrang beim diesjährigen St. Petersburger Wirtschaftsforum Ende Mai bewies das Gegenteil. Mit rund 17.000 waren mehr Teilnehmer als je zuvor registriert, darunter der französische Präsident Emmanuel Macron und der japanische Premier Shinzo Abe. Nur die Europäische Kommission glänzte durch Abwesenheit.

In jedem Fall regt sich etwas in den tiefgekühlten westlich-russischen Beziehungen. Die Zeiten ändern sich; auch die deutsche Kanzlerin spürt, daß die Weltlage nach russisch-europäischer Annäherung ruft. Noch vor dem Petersburger Forum reiste Angela Merkel zu Wladimir Putin in die Schwarzmeerstadt Sotschi. 

Vor wenigen Tagen empfing Sebastian Kurz, der Benjamin unter den EU-Regierungschefs, den russischen Präsidenten in Wien. Aus Bulgarien, bis Ende Juni Sitz der EU-Ratspräsidentschaft, kamen im Abstand von nur einer Woche zuerst der Premierminister und dann der Präsident in die russische Hauptstadt.  Nicht ausgeschlossen, daß es im Lauf der WM noch zu manchem Überraschungsbesuch kommt. Echte Politprofis wissen, wie man Siege und Niederlagen auf dem Spielfeld in politisches Kapital ummünzt. Die Stunde der Moralisten schlug während der Boykottdiskussion; ist die Partie erst einmal angepfiffen, sind die Realpolitiker am Zug.

Interessant hierbei: Der Fußball-Weltverband Fifa sieht das Turnier in Rußland als „wichtigen Meilenstein“  bei der „Bekämpfung aller Formen von Diskriminierung und zur Förderung der Vielfalt im Fußball“. Zum erstenmal in der Geschichte des Wettbewerbs werde ein spezielles Antidiskriminierungs-Überwachungssystem für alle Spiele eingerichtet. Pro Spiel werden drei Anti-Diskriminierungs-Beobachter im Stadion sein. Bei diskriminierendem Verhalten auf den Rängen haben Schiedsrichter die Möglichkeit, ein Spiel zu stoppen oder sogar abzubrechen.

Federico Addiechi, Leiter der Fifa-Abteilung für Nachhaltigkeit und Vielfalt, lobte hier vor allem die gute Kooperation mit dem WM-Gastgeber. Die Ernennung von Alexey Smertin durch die Fußballunion Rußlands zum Antidiskriminierungsbeauftragten sowie die Einführung eines Antidiskriminierungs-Überwachungssystems seien wichtige Schritte in die richtige Richtung. Auch Fifa-Präsident Gianni Infantino fand lobende Worte: „Rußland ist voll und ganz bereit, die Welt zu empfangen und hier in diesem wunderschönen Land ein Sommerfestival zu veranstalten.“