© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/18 / 08. Juni 2018

Kuscheln oder Händedruck?
Wie sich Männer begrüßen: Das „Alles ist erlaubt“ hat eine Orientierungslücke hinterlassen
Bernd Rademacher

Wenn Männer sich informell begegnen, liegt darin immer ein blitzschnelles sensorisches Einordnen des sozialen Ranges und der möglichen Absichten des anderen. Ist man darin einig, sich im friedlichen Modus zu befinden, bezeugt man das durch einen gegenseitigen Gruß, mit dem Mann Respekt demonstriert. Früher lüfteteten die Herren den Hut, doch seit Hüte aus der Mode sind, fällt diese Geste weg. Das Handgeben gilt als überkommene Konvention und steht im Ruf spießiger „Unlockerheit“. Im asiatischen Kulturkreis zeigt der Neigungsgrad der Verbeugung den sozialen Status an. Bei uns eher die Anzahl der Tattoos und Gesichtspiercings.

Doch das liberalistische „Anything goes“ hat Orientierungslosigkeit hinterlassen: Wie begrüßt Mann sich denn jetzt? Abklatschen wie auf dem Sportplatz? Ein anerkennendes Schulter- und sogar Popoklopfen wie unter Fußballern? Man muß sich ja nicht gleich zu einem Knäuel aufeinanderwerfen, wie beim Torjubel. Gerade auf dem Fußballrasen geht es ja oft distanzlos bis homoerotisch zu.

Unter den Grußformen, die die „Ismen“ einführten, ist der sozialistische Bruderkuß wohl die skurrilste – verbildlicht durch den legendären Schmatzer zwischen Breschnew und Honecker, die sich regelrecht abschlabberten. Um die Peinlichkeit des intimen Moments zu überwinden, müssen Männer entweder zu Tränen gerührt, eisern diszipliniert oder stark angetrunken sein. Das westliche Pendant zum sozialistischen Bruderkuß war die „Bussi“-Schickeria der Achtziger, wie sie die unvergeßliche Fernsehserie „Kir Royal“ treffend parodiert hat.

Verläßliche Vorbilder gibt es auch keine mehr: Von Obama, der öffentlichkeits- und imagewirksam einem minderprivilegierten Schwarzen öffentlich eine „Ghettofaust“ gab, bis zu Trump, der das „Händeschütteln“ wörtlich nimmt und mit der Hand des Gegenübers in seiner Faust hektisch die Luft umrührt. Und der kanadische Premier Trudeau mußte sich – ganz die frankophile Linie – von Macron im Elysée-Palast vor klickenden Kameras Küßchen-Küßchen gefallen lassen.

Auf die Dosis der Kraft kommt es an

Einen Kollegen oder Nachbarn, dem man ohnehin ständig begegnet, wie ein Holzfäller die Hand auszuwringen, ihn fest an sich zu ziehen, plattzudrücken und ihm frenetisch den Buckel zu versohlen, als würde man sich über das völlig unerwartete Wiederauftauchen eines zwanzig Jahre lang verschollenen Freundes exaltieren, ist theatralisch und unangemessen. Woher kommt diese Unsitte eigentlich? In der frühen „Socialdemokrathie“ des 19. Jahrhunderts galt es als solidarisches Signal und bewußter Verstoß gegen bourgeoise Förmlichkeit, wenn proletarische Männer sich herzlich umarmten. Die Arbeiterklasse als Männerbund.

Andererseits wirkt es stets gewinnend, etwas aufrichtiges Gefühl zu zeigen. Zu welch emotionalen Gesten Männer fähig sind, zeigte ein kleiner Moment in einem Fußballstadion: Ein Zuschauer freute sich über eine Spiel­szene und drehte sich spontan um, um mit dem wildfremden Mann hinter ihm mit dem Bier-Plastikbecher anzustoßen. Der lächelte bedauernd, zuckte entschuldigend mit den Schultern und zeigte seinen leergetrunkenen Becher. Darauf goß ihm der erste wortlos mit väterlichem Blick und ernstem Kopfnicken großzügig einen Schluck von seinem eigenen Bier ein, worauf dann beide ehrfurchtsvoll anstießen – eine Szene tiefster Ritterlichkeit und wahrer Männerherzlichkeit!

Aber zurück zur Frage, wie man sich einem fremden Mann präsentieren sollte. Dies ist ein Plädoyer für den klassisch-konservativen Händedruck. Doch ist es wichtig, die richtig dosierte Stufe zwischen knochenknürpselnder Grobheit und geleeartiger Labbrigkeit zu finden. Denn nichts ist ekliger als das Gefühl, einen toten Fisch in die Hand gedrückt zu bekommen.