© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/18 / 08. Juni 2018

Richtige Diagnose, falsche Therapie
Volksabstimmung in der Schweiz: Die Vollgeld-Initiative will Geldschöpfung allein der Nationalbank überlassen
Thorsten Polleit

Am 10. Juni 2018 werden die Schweizer über die „Vollgeld-Initiative“ abstimmen. Ihr zufolge soll das vorherrschende Geldsystem reformiert werden, um es gerechter und sicherer zu machen. Eine zentrale Idee ist, daß nur noch die Schweizer Nationalbank (SNB) die Franken-Geldmengen produziert. Private Geschäftsbanken sollen künftig von der schweizerischen Geldschöpfung ausgeschlossen werden.

Dadurch fallen die Gewinne der Geldproduktion nur noch bei der SNB an und kommen dem öffentlichen Haushalt zugute. Zudem sollen die privaten Banken die Kundeneinlagen zu 100 Prozent mit dem Geld, das die SNB produziert, decken. Dadurch sollen Geschäftsbanken krisensicher werden. So soll verhindert werden, daß große Verluste entstehen, für die der Steuerzahler in Haftung genommen wird.

Die entscheidende Frage ist nun: Kann das Vollgeldsystem tatsächlich für ein besseres Geld, ein sicheres Bankensystem sorgen? Ernste Zweifel sind anzumelden. Das offenbart sich bereits, wenn man die ideologische Herkunft der Vollgeldidee in Betracht zieht. Sie reicht zurück auf sozialistische Denker wie Pierre-Joseph Proudhon (1809–1865), Karl Marx (1818–1883) und Friedrich Engels (1820–1895) sowie den nationalsozialistischen Agitator Gottfried Feder (1883–1941): Ihnen zufolge soll die staatliche Zentralbank das Geld mittels zinsloser Kredite oder als Geschenk anbieten. Man kann sich vorstellen, welch ein politisches Hauen und Stechen es geben wird, wer wann wieviel neues Vollgeld erhalten soll.

Eine solche „Totalmonopolisierung“ der Geldproduktion, wie sie die Vollgeld-Initiative vorsieht, öffnet ein gewaltiges Mißbrauchspotential – das dem heutigen Status quo in nichts nachsteht. Und es ist schlichtweg naiv zu meinen, man könnte eine politisch unabhängige Institution schaffen, die für stabiles Geld sorgt. Früher oder später wird jedes politisch geschaffene Monopol von Interessengruppen vereinnahmt und für deren Zwecke eingesetzt. Man darf an dieser Stelle an die staatlichen Zentralbanken verweisen, die längst im Dienste des Banken- und Finanzsektors stehen. Es gibt keinen Grund, warum das in einem Vollgeldsystem anders wäre.

Ein weiteres Problem: Woher soll die Vollgeld ausgebende Zentralbank wissen, wieviel Geld die Volkswirtschaft braucht? Die Zentralbankräte wissen es nicht, sie können es nicht wissen. Vielmehr müssen sie nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“ verfahren. Daß dabei folgenreiche Fehler passieren würden, liegt auf der Hand: Weiten die Zentralbankräte die Geldmenge zu stark aus, gibt es Inflation, fällt die Geldmengenausweitung zu gering aus, stellt sich Deflation ein. Nichts spricht dafür, daß die Qualität des Vollgeldes – im Sinne seiner Kaufkraftentwicklung – besser sein wird als die des heutigen ungedeckten Papiergeldes.

Kritik am ungedeckten Papiergeldsystem

Ein weiteres Problem des Vollgeldes besteht darin, daß die Zentralbank das neue Geld nach politischen Erwägungen zuteilen soll. Wer bekommt es? Der Bund, die Kantone? Oder nur Industrien, die politisch Gewünschtes erzeugen? Nur die arbeitsintensiven, aber nicht die kapitalintensiven Betriebe? Das Vollgeld befördert folglich den Weg in eine staatliche Lenkungspolitik – eine Wirtschaft, in der der Staat beziehungsweise die ihn beherrschenden Kräfte in ganz entscheidendem Maße die Weichen stellen, was wann wie und wo produziert wird.

Zudem verhindert das Vollgeld nicht – anders als seine Befürworter versprechen – die gefürchteten Finanz- und Wirtschaftskrisen. Denn erreicht das neu in Umlauf gebrachte Vollgeld den Kreditmarkt, sorgt es dort für ein künstliches Absinken des Marktzinses. Dann wird ein künstlicher Aufschwung („Boom“) losgetreten, der Spekulationsblasen und Fehlinvestitionen verursacht und früher oder später in einen Abschwung („Bust“) umschlägt. Es kann also genau das geschehen, was im heutigen ungedeckten Papiergeldsystem, das die Vollgeld-Initiative richtigerweise kritisiert, ebenfalls abläuft.

Man erkennt: Das Vollgeld ist keine überzeugende Alternative zum heutigen ungedeckten Papiergeldsystem. Zwar erzielen in einem Vollgeldsystem private Geschäftsbanken keine Gewinne mehr durch die Geldschöpfung. Doch dabei ist zu berücksichtigen, daß schon heute die Gewinne der Banken besteuert werden, die Allgemeinheit also einen Anteil an den Bankgewinnen hat. Wenn dieser Gewinnanteil höher ausfallen soll, bräuchte man Bankgewinne nur höher zu besteuern – und damit wäre das letzte Argument, warum eine Umstellung auf Vollgeld erfolgen sollte, auch noch entkräftet.

Wenngleich auch die Vollgeld-Initiative keine überzeugende Alternative zum heutigen ungedeckten Papiergeldsystem ist, so ist sie dennoch verdienstvoll: Ihre Kritik am herrschenden ungedeckten Papiergeldsystem und den Mißständen, die es verursacht, ist ökonomisch gut begründet. Das staatlich beherrschte Papiergeldsystem verursacht gewaltige wirtschaftliche und politische Schäden. Es sorgt für Krisen und Konflikte, ungerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen, es untergräbt die freie Marktwirtschaft und schwächt die Wachstums- und Beschäftigungskräfte.

Es gibt nur eine ökonomisch überzeugende Lösung des „Geldproblems“: Das staatliche Geldproduktionsmonopol muß beendet werden und durch einen freien Markt für Geld ersetzt werden. Gutes Geld entsteht und setzt sich durch, wenn die Geldnachfrager die Freiheit haben, das Geld nachzufragen, das ihren Bedürfnissen am besten entspricht – und gleichzeitig Anbieter die Freiheit haben, die Geldnachfrager bestmöglich zu bedienen. Solange also der Staat die Hoheit über die Geldproduktion hat, wird es kein gutes Geld geben. Das wäre in einem Vollgeldsystem nicht anders. Es ebnet nicht den Weg zu besserem Geld.






Prof. Dr. Thorsten Polleit ist Volkswirtschaftler und Präsident des Mises-Instituts.

 www.misesde.org





Direkte Demokratie in der Schweiz

Die Volksabstimmung ist seit 1848 in der Schweizer Bundesverfassung verankert. Sie ist ein unangreifbares Instrument der direkten Demokratie und das wichtigste Element des politischen Systems in der Schweiz. Die Volksinitiative „Für krisensicheres Geld: Geldschöpfung allein durch die Nationalbank! (Vollgeld-Initiative)“ wurde am 1. Dezember 2015 eingereicht. Der Bundesrat (Regierung) hat die Initiative am 9. November 2016 dem Parlament ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung empfohlen. Die Volksabstimmung findet nun am 10. Juni statt. Die Vollgeld-Initiatoren – darunter zahlreiche bankenkritische Ökonomen und Privatunternehmer, aber nur wenige Politiker – wollen so erreichen, daß die Banken kein eigenes Geld mehr erzeugen können, sondern nur noch Geld verleihen, das sie von Sparern, anderen Banken oder der Nationalbank (SNB) zur Verfügung gestellt bekommen. 

Befürworter der Vollgeld-Initiative: www.vollgeld-initiative.ch

Gegner der Vollgeld-Initiative: www.swissbanking.org www.efd.admin.ch