© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/18 / 08. Juni 2018

Die Farmer verlassen in Scharen ihre Scholle
Explosion der Gewalt in Südafrika: Am Kap wird statistisch jeden sechsten Tag ein weißer Farmer ermordet / Enteignung rückt näher
Christian Drehmer

Südafrikas Landwirtschaft stirbt, und dies im wahrsten Sinne des Wortes. Zwischen 1996, kurz nach dem „Wunder am Kap“, dem unerwartet friedlichen Machtwechsel zur schwarzen Mehrheitsregierung, und März dieses Jahres wurden 1.747 Menschen auf Farmen ermordet. Die Polizeistatistik erfaßte in diesem Zeitraum 12.806 Angriffe. Allein seit 2012 wurden 3.059 Angriffe mit 338 Todesopfern registriert, ein Durchschnitt von mehr als 500 Angriffen und 56 Todesopfern im Jahr. Für die überwiegend burischen Farmer ist inzwischen die statistische Wahrscheinlichkeit, Opfer von Gewalt zu werden, höher als die der ohnehin mit Kriminalität und Unruhen schwer ringenden Polizei. Dies in einem Land, in dem 2017 19.016 Morde gezählt wurden, somit eine Mordrate von 34 per 100.000 Einwohner (Deutschland zum Vergleich: 0,8 per 100.000) zur Normalität zählt.

Landwirtschaftsverbände werfen der Regierung Gleichgültigkeit vor, während immer mehr Farmer Parallelen zur Vertreibung von ihresgleichen im benachbarten Simbabwe zu sehen glauben. Die Vorwürfe gehen dabei weit, so daß auf einigen Internetplattformen von einem „Genozid“ die Rede ist. Während der Begriff in diesem Zusammenhang unzutreffend ist, spiegelt dessen inflationäre Verwendung wohl eher das Bedrohungsgefühl dieser kleinen Bevölkerungsschicht, die exponiert in entlegenen Gebieten lebt und sich von der Politik im Stich gelassen fühlt.

Klima der Gewalt und Gleichgültigkeit

Regierung und Polizei bestreiten hingegen, daß Farmer außergewöhnlich oft Opfer von Gewalt werden oder politische Motive für die Attacken zu erkennen sind. Raub sei das Hauptmotiv, und die Täter seien gewöhnliche Gelegenheitskriminelle, die die isolierte Lage der Farmen lediglich ausnutzen. Doch dies erklärt nicht, weshalb die Täter, nach erfolgreichem Einbruch, oft über Stunden auf die Rückkehr ihrer Opfer warten, die Frauen vergewaltigen und Männer, Frauen und Kinder auf alle unausdenkliche Weise zu Tode foltern, stechen, verbrühen, verbrennen.

Daher sah sich das libertäre South African Institute of Race Relations (SAIRR) in Johannesburg dazu veranlaßt, von einem „Rassenelement“ in manchen der Attacken zu sprechen.

Aus Sicht der Farmer steht dieses Element jedoch außer Frage, gar im Vordergrund. Sie sehen System und Kalkül hinter den Taten. Viele werten die Indifferenz der Politik und der Medien als klammheimliche Unterstützung der Täter, als Teil einer schwarznationalistischen, antiweißen Vertreibungsstrategie. Oft trifft es dabei auch schwarze Angestellte, die sich zur Wehr setzen oder Farmer warnen wollen. Denn die Rassenbeziehungen auf den Farmen, das zeigten Untersuchungen schon immer, sind gut, wenn auch paternalistisch. Täter und Opfer kennen sich somit in der Regel nicht, und die Durchschnittsattacke wird von acht Angreifern durchgeführt, die teilweise besser bewaffnet sind als ihre Opfer. Denn die Farmer haben nach 1994 ihre militärischen Reservistenstrukturen und Bewaffnung aufgeben müssen. Den danach gegründeten Selbsthilfestrukturen fehlt es oft an Ausrüstung und, je nach Entfernungen und Terrain, an der lebensrettenden Reaktionszeit, selbst wenn es den Opfern noch gelingt, einen Notruf über private Funknetze  abzusetzen.

Zur Entkräftung der Vorwürfe von politischem Vorsatz oder kalter Gleichgültigkeit tragen die Aussagen von Südafrikas prominentesten Politikern nicht bei. So sagte der Oppositionsführer, Julius Malema, der einstige ANC-Jugendvorsitzende und heutige Chef der linksextremen, schwarznationalistischen „Economic Freedom Fighters“ (EFF), im November 2016: „Wir rufen nicht zum Abschlachten der Weißen auf. Zumindest noch nicht.“ Er erklärte dabei auch, daß die verbliebenen Weißen im Lande lediglich „Besucher“ seien und man von Besuchern erwarte, daß diese sich „benehmen“ werden.

Regierungskritiker und Interessenverbände weisen angesichts solcher Drohungen immer wieder darauf hin, daß die Ermunterung zur Gewalt gegen Farmer auf höchster politischer Ebene transportiert wird. ANC-Slogans aus Apartheidzeiten wie „Kill the Farmer, kill the Boer“ und diverse andere „Kampflieder“ sind immer noch bei politischen Veranstaltungen zu hören. Schon im März 2010 hat die Vorsitzende der „Democratic Alliance“ (DA), Helen Zille, Äußerungen von Malema und die Angewohnheit des damaligen Staatspräsidenten Jacob Zuma, bei ANC-Veranstaltungen das Lied „Umshini wami“ (Bringt mir mein Maschinengewehr) zu singen, als Aufrufe zum Mord an Weißen gedeutet und öffentlich verurteilt.

Ernst Roets, stellvertretender Vorsitzender der Bürgerrechtsbewegung „AfriForum“, präsentierte im vergangenen März eine Untersuchung, der zufolge Zunahmen in der Fallhäufigkeit von Farm­attacken mit solchen Aussagen zeitlich korrelieren würden. Als Präsident Zuma im Januar 2012 öffentlich „Tötet die Buren“ gesungen hatte, sollen im darauffolgenden Monat deutlich mehr Morde stattgefunden haben. Solche statistischen „Zacken“, so Roets, konnten auch bei ähnlichen Aussagen beobachtet werden und legen nahe, daß sie von einigen Tätern als Ermunterung oder gar Aufforderung verstanden werden.

Zahlen zu Farmmorden von der Regierung unterdrückt

Während sich keine belastbaren Hinweise finden lassen, daß es eine koordinierte Strategie zur Vertreibung gibt, wie dies im benachbarten Simbabwe der Fall war, so besteht doch zumindest ein Klima der Indifferenz seitens der Behörden. Ab 2007 wurde fast fünf Jahre lang keine Statistik zu Farmattacken veröffentlicht. Auf Nachfrage erklärte die Regierung, daß Gewalt gegen Farmer keine Sonder­erwähnung erfordere, weil diese Taten sich nicht von anderen Morden unterscheiden würden. Viele Kommentatoren betonen, daß die Opfer von Gewalt gleich zu behandeln seien und Farmer keinen Anspruch auf Sonderstatus oder besonderen Schutz hätten. Gleichzeitig ergreift die Regierung jedoch konsequente Maßnahmen bei anderen Kriminalitäts- und Gewaltschwerpunkten und hat zur Bekämpfung von Banden im Oktober vergangenen Jahres Truppen in das Wohngebiet „Cape Flats“ geschickt.

Der neue, seit 15. Februar amtierende Präsident und Vorsitzende des ANC, Cyril Ramaphosa, hat unlängst in Reaktion auf eine politisch motivierten Mordserie, bei der sich Vertreter des ANC und dessen Allianzpartner, die Südafrikanische Kommunistische Partei (SAKP), gegenseitig bekämpfen, ein „Ministeriales Task Team“ gegründet. Beide Maßnahmen zeigen, daß es durchaus eine Priorisierung von Gewaltmustern gibt, nur eben die Farmer nicht dazuzählen.

Dabei gäbe es jeden Grund, die Attacken auf Farmen als Priorität zu behandeln, denn die Folgen der Angriffe gehen weit über die persönliche Tragik der direkt Betroffenen hinaus. Seit 2007 ist der einstige Brotkorb des Kontinentes zum Nettoimporteur von Nahrungsmitteln geworden, die Preise für die Bevölkerung steigen kontinuierlich. Gleichzeitig sinkt die Anzahl der kommerziellen Farmer, und der Immobilienmarkt für Farmen ist weitgehend kollabiert. Gab es 1993 noch knapp 70.000 kommerzielle Farmer, sind es heute noch lediglich 32.000.

Im Februar fällte das Parlament in Kapstadt mit großer Mehrheit eine von Farmern gefürchtete Entscheidung: Es stimmte einem von den linksextremen EFF eingebrachten und vom ANC sekundierten Antrag zu, weiße Landwirte zu enteignen. Da das entschädigungslos geschehen soll, wankt die Rechtsstaatlichkeit Südafrikas. „Die Zeit des Ausgleichs ist vorbei“, tönte EFF-Chef Julius Malema denn auch zur Begründung. Der ANC unter Ramaphosa – das Vermögen des Unternehmers wird auf bald eine halbe Milliarde Dollar geschätzt – plant zudem umfangreiche Verfassungsänderungen zu Lasten des weißen Bevölkerungsteils.

 Verunsichert durch die vorausgehenden Diskussionen um Enteignung und „Landreform“, aber auch durch informelle Siedlungen, die neben kommerziellen Farmen entstehen und die Landwirtschaft behindern oder einer Landbesetzung gleichkommen, verlassen die Farmer in Scharen ihre Heimat. Viele leben inzwischen in benachbarten Ländern wie Botswana oder anderen Teilen des Kontinentes wie Sambia oder dem Kongo. Sogar Länder auf anderen Kontinenten wie Georgien haben südafrikanische Farmer angesiedelt, während der Innenminister Australiens, Peter Dutton, im März ein beschleunigtes Einwanderungsverfahren in Aussicht stellte.

Für Südafrika bedeutet der zunehmende Exodus der Farmer eine Destabilisierung, indem die Versorgung des Landes mittel- bis langfristig davon betroffen ist. Aber auch 200.000 Arbeitsplätze sind direkt mit der weiteren Existenz der verbliebenen kommerziellen Farmen verbunden, da die wachsende Anzahl an kleinbäuerlichen Wirtschaften keine berufliche Alternative zur modernen Landwirtschaft bietet. Insofern wäre der Verlust der Farmer, ob durch ideologisch motivierte Enteignung oder schleichende Vertreibung, die endgültige Ankunft der „Regenbogennation“ in der „Dritten Welt“.

Foto: Protestzug von weißen Farmern, ihren Familien und Mitarbeitern gegen die Mord-Epidemie in ländlichen Gebieten, Kapstadt (Oktober 2017): Fühlen sich von der Politik im Stich gelassen und diskriminiert