© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/18 / 01. Juni 2018

Chaotischer Start
EU-Datenschutz-Grundverordnung: Die Umsetzung der neuen Regelung macht das Medienangebot ärmer
Ronald Berthold

Die Internet-Giganten weiten ihre Datensammelwut aus – Vereine, Blogger und kleinere Unternehmen fühlen sich dagegen schikaniert. Nach lnkrafttreten der europäischen Datenschutz-Verordnung (DSGVO) scheint das Gegenteil von dem einzutreten, was die EU-Kommission den Bürgern versprochen hatte. 

„Eine Gefahr für mittelständische Unternehmen und in Vereinen für ehrenamtlich engagierte Bürgerinnen und Bürger“ sieht der Vorsitzende des Parlamentskreises Mittelstand der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, Christian von Stetten. Er fürchte eine Abmahnwelle. „Zwei Jahre hatte die Bundesregierung Zeit, sich vorzubereiten und den Abmahnvereinen und Abmahnanwälten rechtzeitig das Handwerk zu legen.“ Doch selbst in der letzten Kabinettssitzung vor Einführung der DSGVO sei das nicht geschehen – obwohl dies im Koalitionsvertrag stehe. Dort heiße es, daß der Mißbrauch des Abmahnrechts durch Einschränkung des fliegenden Gerichtsstandes verhindert werden solle. Die Regierung zwinge durch dieses Unterlassen kleine Vereine und Firmen, eigene Datenschutzbeauftragte einzusetzen. Von Stetten glaubt, daß Tausende derartige Briefe verschickt werden. Mit mehreren hundert Euro Kosten müßten die Empfänger rechnen. 

 Mehr als 300 kleine Blogs haben geschlossen

Ganz anders die Großen, gegen deren laxen Umgang mit dem Datenschutz sich die Verordnung ursprünglich richten sollte: WhatsApp zum Beispiel übergibt nun seine Daten an die Konzernmutter Facebook. Bisher war das in Deutschland gerichtlich untersagt. Die DSGVO verändert jedoch die Verantwortlichkeit innerhalb der EU – Irland ist jetzt zuständig. Telefonnummern, Geräte- und Nutzungsinformationen gibt WhatsApp nun ganz legal an Facebook sowie an, wie das Unternehmen schreibt, „vertrauenswürdige Drittanbieter“ weiter. Wer dem nicht zustimmt, kann WhatsApp nicht mehr nutzen.

Facebook hat die Einführung der DSGVO sogar dazu genutzt, seinen Kunden die Gesichtserkennung unterzujubeln. Im Zuge der Novellierung seiner Datenschutzerklärung forderte der Konzern dazu auf, dem zuzustimmen. Dem Europäischen Parlament blieb Mark Zuckerberg bei seiner Anhörung, die manche Abgeordnete wie Fans für Selfies mit dem Facebook-Chef nutzten, zudem Antworten schuldig. 

Als weiteres Paradoxon im Zusammenhang mit der DSGVO kommt nun heraus, daß zwar Private fieberhaft gearbeitet haben, um die Verordnung umzusetzen und hohe Strafen – angedroht sind bei Verstößen bis zu 20 Millionen Euro – zu vermeiden. Zahlreiche EU-Staaten haben gültige Rahmen dafür aber nicht erlassen. EU-Justizkommissarin Vera Jourová kritisiert, daß ein Viertel der Länder den Start „verpaßt“. Vielen Firmen fehlt damit eine Orientierung, was sie genau umstellen müssen, auch ausländischen Medienumernehmen. So blockieren unter anderem die Los Angeles Times oder die Chirago Tribune vorerst ihre Webseiten für Zugriffe aus der EU. Die Washington Post dagegen bietet ein „Premium-EU-Abo“ an, das für neun Dollar (50 Prozent teurer) auf Daten-Tracking verzichtet. 

Laut dem Technikblog ennopark.de haben in den ersten 24 Stunden nach Start der DSGVO 324 kleine oder private Blogs ihren Betrieb ganz oder zeitweise

eingestellt. Die Erzdiözese Freiburg sagte alle Internet-Übertragungen von Gottesdiensten ab, auch den an Fronleichnam. Und die Freie Presse in Chemnitz  gratuliert ihren Lesern im Blau nicht mehr zum Geburtstag. 

Deutschen Unternehmen droht derweil eine weitere Verschärfung: Die hiesigen Datenschützer fordern ein generelles „Opt-In“ für Internetseiten. Dieses Verfahren wird bisher fast ausschließlich beim Abonnieren von Newslettern verwendet. Eine solche Einführung würde bedeuten, daß der Nutzer immer zustimmen muß, wenn seine Daten anonym zurückverfolgt werden. Damit wäre personenbezogener Werbung der Boden entzogen. Doch genau darauf fußt das Geschäftsmodell der meisten Onlinemedien.

Einher geht dies mit der noch ausstehenden E-Privacy-Verordnung. Medienhäuser müßten dann sicherstellen, daß ihre Webseiten überhaupt keine Daten mehr erfassen können. Der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger beziffert den Verlust auf mehr als 300 Millionen Euro pro Jahr. Google und Faccbook seien dabei nicht einbezogen.