© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/18 / 01. Juni 2018

Abgelehnt ist nicht abgeschoben
Asylsystem: Ein Netzwerk aus politischen Akteuren und Lobbygruppen verhindert, daß abgelehnte Asylbewerber unser Land wieder verlassen
Michael Paulwitz

Eine „aggressive Anti-Abschiebe-Industrie“ hatte der CSU-Landesgruppenvorsitzende Alexander Dobrindt ausgemacht. Dobrindt kritisierte am zweiten Mai-Wochenende in der Bild am Sonntag „eine unsägliche Allianz von Zwangsideologen und Partikularinteressen, die durch Klagewellen versucht, Abschiebungen zu verhindern und die Durchsetzung des Rechtsstaates zu sabotieren“. Den „Abschiebe-Saboteuren“ wirft er vor, sie nutzten „die Mittel des Rechtsstaates, um ihn durch eine bewußt herbeigeführte Überlastung von innen heraus zu bekämpfen“.

Das trifft aber nur einen Teil des Problems. Denn das Anti-Abschiebe-Netzwerk läßt sich nicht auf skrupellose Anwälte und Hilfsorganisationen reduzieren. Es umfaßt ein vielfältiges Geflecht von Akteuren, Interessen und Profiteuren, die in einem von politischen Entscheidungen und rechtlichen Fehlkonstruktionen geschaffenen Umfeld agieren und sich auf eine Vielzahl von Kollaborateuren verlassen können.

Abschiebehindernisse in Hülle und Fülle stellt das deutsche Asylrecht selbst bereit – findige Anwälte und Aktivisten brauchen sie nur auszunutzen. Die weltweit ziemlich einmalige Ausgestaltung als individuell einklagbares Grundrecht öffnet den Rechtsweg durch alle Instanzen. Auf Kosten des Steuerzahlers natürlich. Bis alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind – Antrag, Folgeantrag, Klage durch die Verwaltungsgerichtsebenen, Petition, Anträge auf anderweitigen Abschiebeschutz – können Jahre ins Land gehen, in denen ein von vornherein aussichtsloser Asylbewerber vom deutschen Steuerzahler nicht selten mehr erhält, als er in der Heimat je verdienen könnte. In der bundespolitischen Opposition gegen Rot-Grün hatte die CSU sich einst selbst dafür eingesetzt, diese Quelle des Asylmißbrauchs durch eine Grundgesetzänderung zu schließen und das Individualgrundrecht durch eine einfachgesetzlich geregelte institutionelle Garantie zu ersetzen. Geschehen ist nichts.


Bamf: Illegalität zu Legalität

Der Fisch stinkt vom Kopf her: Wenn Millionen Asylbewerber ins Land strömen, von denen laut Drittstaatenregelung keiner Anspruch auf ein Asylverfahren hätte, trotzdem mehr als die Hälfte auch ohne völkerrechtliche Verpflichtung als „Flüchtlinge“ im Sinne der Genfer Konvention anerkannt wird und nur ein Bruchteil, wenige zehntausend, tatsächlich ausreise- und abschiebepflichtig sind, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) offenkundig den Plan der Kanzlerin verinnerlicht, „aus Illegalität Legalität zu machen“ (November 2015). Entscheider, Dolmetscher und Betreuer wirken offenkundig bei der großzügigen Auslegung von „Ermessens“-Spielräumen unerlaubt zusammen – aus persönlicher oder politischer Sympathie, aus Sorge um den Job oder aufgrund finanzieller Vorteile. Spätestens seit dem Skandal um die Bremer Außenstelle ist unübersehbar: Strukturen des Bamf sind selbst Teil der „Anti-Abschiebe-Industrie“.


Unwillige Bundesländer

Der Vollzug von Abschiebungen ist Sache der Länderbehörden. Die sind in den meisten Fällen erfolglos bis unwillig. Man fürchtet schlechte Presse und Kritik aus der Asyllobby oder verfolgt aus ideologischen Gründen eine Pro-Migrations-Agenda. Berlins rot-rot-grüner Senat hat den Verzicht auf Abschiebehaft zum Programm erklärt. Ohne politische Kollaborateure, die sich ihrem Druck beugen, könnte die Anti-Abschiebe-Industrie gar nicht arbeiten.

Abschiebehindernisse

Selbst wenn ein illegaler Einwanderer oder abgelehnter Asylbewerber vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, gibt es eine Fülle von Hindernissen und Schlupflöchern, dem zu entgehen: Klagen gegen die Abschiebung in ein Dublin-Land oder das Herkunftsland wegen „unzumutbarer Zustände“ oder Gefahren für Leib und Leben, plötzliche Krankheiten und andere medizinische Gründe, „Verlust“ von Dokumenten und Papieren, Untertauchen, plötzliche Vaterschaften, Eheschließungen, Ausbildungsverhältnisse; oder aber Herkunftsstaaten bzw. sichere Drittstaaten nach dem Dublin-Abkommen verweigern die Aufnahme. Als letztes Mittel hilft sogar Randalieren oder Selbstverletzen im Abschiebeflugzeug. Beim Aufspüren und Ausnutzen all dieser Schlupflöcher hilft gern die „Anti-Abschiebe-Industrie“.


Lokale „Unterstützergruppen“

Örtliche Gruppen und „Flüchtlingshelfer“-Bündnisse bilden das Fußvolk der Abschiebeverhinderer. Idealistisch-naive Bürger und Engagierte treffen sich mit Lobby-Drahtziehern und nicht selten auch mit Linksextremen, die solche Initiativen im Rahmen ihrer Bündnisstrategien ausnutzen. Neben mehr oder minder legaler Beratung kann es dann auch schon mal passieren, daß sich den vollziehenden Polizeibeamten eine „spontan“ zusammengetrommelte Menge von Unterstützern entgegenstellt, nicht selten mit militanten Linksextremisten als Einpeitscher wie kürzlich in Nürnberg bei der Abschiebung eines Afghanen.


Lobbyorganisationen

Rückgrat der Asyl-Lobby sind die im Dachverband „Pro Asyl“ zusammengeschlossenen 16 Flüchtlingsräte, nichtstaatliche Unterstützergruppen, die aber von staatlichen Spenden leben: von deutschen Behörden, von der EU und den Vereinten Nationen. Dessen Mitstreitern wird umfangreiches Schulungs- und Beratungsmaterial an die Hand gegeben, das sämtlich dem Grundsatz der Flüchtlingsräte folgt, daß Freizügigkeit ein Menschrecht sei und für alle Personen weltweit zu gelten habe, ohne Rücksicht auf die Folgen für Völker- und Staatsordnungen. Ein Beispiel unter vielen ist der Pro-Asyl-Ratgeber „Erste Hilfe gegen Dublin-Abschiebungen“. Der Flüchtlingsrat Berlin mobilisiert Sozialarbeiter und Betreuer mit „Handlungsoptionen im Fall von Abschiebungen aus Sammelunterkünften“. Mit dem Durchstechen von Abschiebeterminen und Ratschlägen zum Untertauchen bewege sich der Flüchtlingsrat Bayern an der Grenze zur Strafbarkeit, kritisierte das Innenministerium des Freistaats im Dezember.


Medien und Kampagnen

Flüchtlingsräte und Pro Asyl sind auch jederzeit zur Stelle, wenn es gilt, medial Stimmung gegen Abschiebungen und für Asylbewerber zu machen, selbst wenn diese zum Aufstand gegen die Staatsmacht blasen wie jüngst bei der gescheiterten Abschiebung in Ellwangen. Nur logisch, daß der Flüchtlingsrat Bremen im Bamf-Skandal nur eine „Kampagne“ gegen „Geflüchtete“ erblickt. Weitere Netzwerke wie die „Karawane“, „kein mensch ist illegal“ oder „stop deportations“ (Motto: „Wer kommen will, soll kommen!“) leiten in Broschüren und Flugblättern mehr oder minder offen zum Rechtsbruch an.


Sozialindustrie

Caritasverband und Deutsches Rotes Kreuz haben erst im Dezember die vierte Auflage ihres umfangreichen „Beratungshandbuchs“ für die Unterstützung von „Menschen in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität“ vorgelegt. Die Sozialindustrie erlebte durch den Asylansturm von 2015 einen Konjunkturschub sondergleichen und hat jedes Interesse daran, daß ihre Klientel bleiben darf und der Nachschub an neuen „Betreuungsfällen“ nicht ausgeht.


Kirchen

Wo die Wohlfahrtsverbände agieren, sind die Kirchen als wichtigste Träger nicht weit. Die Lobbyarbeit von Bischöfen beider Amtskirchen für unbegrenzte Aufnahme und gegen Rückführungen ist notorisch. Nicht wenige Kirchengemeinden mischen durch die Gewährung von „Kirchenasyl“ auch praktisch und handfest in der Anti-Abschiebe-Industrie mit: „Kirchenasyl“ ist in der Regel nichts anderes als eine von Gemeinden organisierte Verzögerungstaktik, damit Abschiebefristen versäumt werden und ein Aufenthalt ersessen werden kann. Im deutschen Recht gibt es das Kirchenasyl als Rechtsinstitut gar nicht. Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts München von Anfang Mai schützt Kirchenasyl grundsätzlich nicht vor Strafverfolgung wegen illegalen Aufenthalts in Deutschland. Geduldet wird es dennoch – viele hundertmal pro jahr.


Gewerkschaften

Vor allem die Lehrerorganisation GEW ist bei Abschiebeverhinderungen eifrig dabei. Die GEW Berlin hat schon 2006 aus Materialien des „Flüchtlingsrats“ einen „Notfall-Leitfaden zur Verhinderung von Abschiebungen“ vorgelegt, auf den bis heute Bezug genommen wird. Die GEW Baden-Württemberg hat vergangenen Sommer eine „Handlungsanleitung bei drohender Abschiebung“ veröffentlicht – natürlich ebenfalls Hand in Hand mit dem „Flüchtlingsrat“.


Anwälte und Rechtsberater

„2015 wurden unsere Grenzen überrannt, jetzt versuchen Abschiebe-Saboteure das Gleiche mit unseren Gerichten“: An Asylverfahren gebe es doch gar nicht so viel zu verdienen, kontern Asyl-Anwälte die Vorwürfe Dobrindts gern. Aber die Masse macht’s. 350.000 abgelehnte Asylbewerber klagen derzeit vor einem deutschen Verwaltungsgericht gegen ihren Bescheid. Die langen Listen von hilfreichen Rechtsbeiständen, die im Internet und in den einschlägigen Materialien kursieren, lassen die Klageflut kaum verwunderlich erscheinen.


Justiz und Gerichte

Der „eigentliche Angriff auf den Rechtsstaat“ sei die „mangelnde Akzeptanz von Gerichtsentscheidungen“, bekräftigte der Bund Deutscher Verwaltungsrichter die Kritik Dobrindts an den Abschiebe-Verhinderern. Doch zuweilen sind es auch durch die Institutionen gewanderte Asyllobbyisten in Richterrobe, die das Abschieberecht bis an die Grenzen des Erträglichen strapazieren. Lange vor der Asylkrise von 2015 hatten deutsche Gerichte mit einer Reihe absurder Rückführungsverbote in zuständige EU-Länder das Dublin-System systematisch untergraben.


Ärzte, Psychologen, Gefälligkeitsgutachter

Auch wenn sie es von sich weisen: Daß in so vielen Abschiebefällen plötzlich medizinische oder psychologische Gutachten zur Hand sind, die einen Transport angeblich unmöglich machen, ist kaum ein Zufall. Psychische Erkrankungen oder schwere Leiden, die angeblich in der Heimat nicht kuriert werden können, sind leicht erdacht und schwer nachgewiesen. Zu selbstverständlich wird in den Ratgebern der Anti-Abschiebe-Industrie auf diese Möglichkeit verwiesen, als daß zum Netzwerk nicht auch kooperationswillige Ärzte und Psychologen gehören müssen.


Politische Kollaborateure

Ohne politische Rückendeckung und Nachgiebigkeit wäre die „Anti-Abschiebe-Industrie“ wirkungslos. Solange Sozialindustrie, Flüchtlingsräte und andere Lobbyisten freigebig mit Steuergeld und politischem Wohlwollen gefüttert werden, ist die Kritik an ihnen aus der Politik wohlfeil und oberflächlich. Wer hier durchgreifen will, muß Rechtsbrecher konsequent verfolgen, die Sozialindustrie trockenlegen, die Bamf- und Ausländerbürokratie umbauen und das Asylrecht ändern. Auf konkrete Vorschläge Alexander Dobrindts hierzu darf man gespannt sein.

(Grafik siehe PDF)