© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/18 / 01. Juni 2018

Aufklärung tut not
Skandal im Bamf: Zehntausende positive Asylbescheide müssen neu geprüft werden / Noch keine Entscheidung über Untersuchungsausschuß im Bundestag
Jörg Kürschner

Rückblende. Am 6. April stattete der neue Bundesinnenminister Horst Seehofer dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) seinen Antrittsbesuch ab. Drei Wochen nach seiner Vereidigung lobte er die ihm untergeordnete Behörde ausdrücklich. „Das Bundesamt hat eine Schlüsselfunktion bei der Bewältigung der Migrationsfragen und leistet dabei eine hervorragende Arbeit“, sagte Seehofer gut gelaunt vor den Mitarbeitern in Nürnberg. Knapp zwei Monate später ist der CSU-Politiker erheblich unter Druck geraten.

In einer von den Grünen beantragten Sondersitzung des Bundestagsinnenausschusses mußte er am Dienstag zusammen mit Behördenchefin Jutta Cordt den Abgeordneten wegen Tausender illegaler Asylbescheide Rede und Antwort stehen. In der vergangenen Woche sprach Seehofer ein Machtwort. Er verbot der Bremer Außenstelle bis auf weiteres, über Anträge von Flüchtlingen zu entscheiden.

Die Aktenschlamperei geht aber weit zurück in die Amtszeit seines Vorgängers Thomas de Maizière (CDU). Schon spricht man von einem Fehlstart des Nachfolgers, der das Innenressort angestrebt hatte, um die CSU vor der bayerischen Landtagswahl im Herbst zu profilieren. „Kontrollverlust war gestern, Recht und Ordnung ist heute“, lautete die Devise. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Nach einer Mitteilung des Bundesinnenministeriums sind „im Ankunftszentrum Bremen bewußt gesetzliche Regelungen und interne Dienstvorschriften mißachtet worden“. Ein Dolmetscher wird nach einem Durchsuchungsbeschluß des Amtsgerichts Bremen verdächtigt, Geldzahlungen dafür erhalten zu haben, daß er „falsche Angaben insbesondere zur Identität und den Einreisedaten aufnahm bzw. übersetzte“. Auch in anderen Bamf-Außenstellen soll es  manipulierte Asylbescheide gegeben haben. Jetzt werden alle in Bremen seit 2000 erteilten etwa 18.000 positiven Asylbescheide erneut überprüft. Außerdem untersucht der Bundesrechnungshof auf Bitten des Innenministeriums Verfahren und Abläufe im Bundesamt. 

„Systemversagen liegt        in der Politik“

Gegen Präsidentin Cordt liegt der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg eine Anzeige wegen des Verdachts der Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt vor. Ein Ermittlungsverfahren wird geprüft. Seehofer und auch SPD-Politiker schließen personelle Konsequenzen nicht aus. Diese hängen wesentlich davon ab, ob Cordt entsprechende Hinweise ignoriert hat oder das Bamf die ganze Affäre gar unter den Teppich kehrten wollte. Die Abgeordneten interessiert auch, weshalb Cordt die Affäre offenbar bei Seehofers Antrittsbesuch mit keiner Silbe erwähnte.  

AfD und FDP fordern mehr denn je einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß, um den Skandal aufzuklären, benötigen dafür aber die Unterstützung einer weiteren Oppositionsfraktion. „Es kann nicht sein, daß die Grünen zu den Chefverteidigern von Angela Merkel und den Herren Altmaier, Seehofer und de Maizière werden“, kritisierte FDP-Fraktions- und Parteichef Christian Lindner. Bei den Grünen wird argumentiert, man wolle nicht zum Handlanger der AfD werden. War es Überforderung, Unerfahrenheit, oder solidarisierten sich die Bamf-Mitarbeiter mit den Asylanten? fragen die Zauderer. Jedenfalls wissen die Grünen, woran sie bei Fraktions- und Parteichef Alexander Gauland sind. „Die Grenzen sind aufgemacht worden von der Bundeskanzlerin. Es ist jeder reingekommen, und dann ist das arme Bamf damit belastet worden. Das Systemversagen liegt in der Politik“, betonte er zu Wochenbeginn. Die Linkspartei bemängelt zwar ein geringes Aufklärungsinteresse Seehofers, doch paßt der Asylskandal nicht in ihr politisches Konzept. Und die Koalition streitet sich. „Die Kanzlerin muß jetzt endlich dafür sorgen, daß aufgeklärt wird – und sie muß endlich selbst aufklären“, ätzte SPD-Vize Ralf Stegner. „Merkel drückt sich vor ihrer eigenen Verantwortung. Sie schweigt, tut nichts und will den Kontrollverlust im Bamf aussitzen.“ 

Nicht auszuschließen ist, daß CDU/CSU und SPD mit ihren Mehrheiten selbst für einen Untersuchungsausschuß sorgen. So könnten sie Interesse an einer Aufklärung demonstrieren, den Umfang des Untersuchungsauftrags in ihrem Sinne begrenzen und damit AfD und FDP mit deren grundsätzlicher Kritik an der Flüchtlingspolitik der Koalition ins Leere laufen lassen. Seehofer hatte ja bereits wissen lassen, daß er einen Untersuchungsausschuß nicht scheut.