© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/18 / 01. Juni 2018

Teil oder Nichtteil, das ist hier die Frage
Gesetzentwurf: Die AfD will Volksverhetzung gegen Deutsche explizit für strafbar erklären / Zweifel am praktischen Nutzen
Herwig Schöffler

Ging es im Plenum des Bundestags noch hoch her, gilt nun das Motto „Still ruht der See“. Der Vorstoß der AfD-Fraktion, den Volksverhetzungsparagraphen im Strafgesetzbuch zu ergänzen, ist zur Beratung in den Rechtsausschuß verwiesen, dort aber bisher noch nicht beraten worden. 

Seit der Reichsgründung zielte das Gesetz – und zielt immer noch – auf die Wahrung des öffentlichen Friedens ab. Mit den Jahren mutierte es zum selbst für Juristen schwer verständlichen Text von heute. Wegen der mangelnden Bestimmtheit der Begriffe wird der Straftatbestand Volksverhetzung in den Augen von Kritikern mittlerweile bewußt genutzt, um unliebsame Meinungen zur Anzeige zu bringen und so psychologischen Druck auszuüben.

Ausdruck „Hundeclan“ spricht keine Rechte ab

Auf Initiative des sächsischen Abgeordneten Jens Maier soll nun mittels einer „Legaldefinition“ unmißverständlich klargestellt werden, „daß auch Angehörige des deutschen Volkes Teile der Bevölkerung“ sind. „Zweck ist es, auch die deutsche Bevölkerung als solche und ebenso den öffentlichen Frieden zu schützen, indem Volksverhetzungen gegen Deutsche explizit für strafbar erklärt werden“, heißt es in der Begründung. 

Die AfD-Fraktion zitiert dazu zwei Entscheidungen, welche jüngst für hitzige Diskussionen sorgten. Zum einen geht es um ein Urteil des Kammergerichts Berlin in einem Fall, bei dem ein Deutscher als „scheiß deutsche Kartoffel“ beleidigt wurde. Zum zweiten geht es um eine Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft Hamburg im Fall Malik Karabulut, der nach der Armenien-Resolution des Bundestags schrieb (übersetzt): „Es hat bislang weltweit kaum ein zweites Volk (Deutsche) gegeben, welches Menschen derart verachtet, massakiert und erniedrigt. Ihr nennt uns Bösewichte und wir schweigen. Von nun an werdet ihr was erleben … Hundeclan.“

Im ersten Fall liegt offensichtlich keine Volksverhetzung vor, weil nicht das Kollektiv „Deutsche“ herabgewürdigt werden sollte, sondern die Beleidigung nur auf eine Einzelperson gemünzt war und daher lediglich als Beleidigung strafbar gewesen ist. Es gibt hier auch keine Ungleichbehandlung, da umgekehrt auch die Äußerung „scheiß Kanake“ lediglich wegen Beleidigung strafbar wäre.

Im zweiten Fall gab es fehlerhafte Meldungen. So haben Medien eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft unter anderem damit zitiert, daß es „bei beiden Tatbeständen (gemeint sind Beleidigung und Volksverhetzung) Voraussetzung ist, daß Teile der inländischen Bevölkerung angegriffen werden, die sich nach politischen, nationalen, ethnischen, rassischen, weltanschaulichen, religiösen, sozialen, beruflichen oder anderen Merkmalen unterscheiden lassen“. Ein im AfD-Gesetzentwurf zitierter juristischer Aufsatz stützt sich ebenfalls auf diese Aussage. 

Der JUNGEN FREIHEIT liegt indes ein Auszug aus der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Hamburg vor, aus dem sich anderes ergibt: Demnach wurde das Verfahren nicht deshalb eingestellt, weil das Merkmal „Teile der Bevölkerung“ nicht erfüllt gewesen wäre. Vielmehr wurde das Verfahren eingestellt, weil die Herabwertung als „Hundeclan“ nach Ansicht der Staatsanwaltschaft nicht im für die Strafbarkeit notwendigen Ausmaß zum Haß aufstachelt. Insbesondere werde den Deutschen durch die Herabwertung als „Hundeclan“ weder das Lebensrecht noch die Teilhabe an gleichwertigen Rechten abgesprochen.

Vor diesem Hintergrund kann der Gesetzentwurf eher als Aufhänger für die Debatte verstanden werden, ob „die Deutschen“ als Teil der Bevölkerung anzusehen sind. So heißt es etwa im unter Juristen bekannten Strafrechtskommentar des ehemaligen Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof Thomas Fischer zu den tauglichen Angriffsobjekten des Straftatbestandes: „Daß dies (gemeint sind Teile der Bevölkerung) auch die Bevölkerungs-Mehrheit sein könnte, erscheint zweifelhaft.“ Das ist zwar nur eine, nicht näher begründete Mindermeinung, allerdings vermag sich alleine hieraus ein Klarstellungsbedarf für den Gesetzgeber ergeben. Sofern sich eine volksverhetzende Aussage nicht bereits gegen eine klar als nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe richtet, kann sich eine Strafbarkeit nämlich daraus ergeben, daß sie sich gegen „Teile der Bevölkerung“ richtet. Da es die Rechtsprechung seit Einfügung des Tatbestandsmerkmals „Teile der Bevölkerung“ im Jahr 1960 nicht fertiggebracht hat, diesen Streit endgültig dahingehend zu klären, daß  Deutsche selbstverständlich, unzweifelhaft und unumstritten als Teil der Bevölkerung angesehen werden, erscheint es nur folgerichtig, daß eine Klarstellung seitens des Gesetzgebers durch eine Legaldefinition erfolgt. Der Gesetzentwurf der AfD-Fraktion diente dieser Klarstellung, indem er definierte, daß Teile der Bevölkerung „unabhängig von ihrem Größenverhältnis zur Gesamtbevölkerung auch solche nicht unerheblichen Personenmehrheiten sind, die sich durch ihre Nationalität, ethnische Herkunft oder staatsbürgerliche Zugehörigkeit abgrenzen lassen“. 

Alles andere wäre „nicht so eindeutig wie in unserem Gesetzentwurf“, teilte der AfD-Abgeordnete Maier der jungen freiheit mit. Er konstatiert im Umgang der Justiz mit volksverhetzenden Taten gegen Deutsche das Prinzip: „Wo keine Ermittlungen, da keine Anklage, wo kein Kläger, da kein Richter, wo kein Richter, da kein Richterspruch.“

Allerdings hätte eine von der AfD angestoßene Ergänzung die oben genannten Entscheidungen nicht beeinflußt. Auch an der bisherigen Rechtsprechung zum Merkmal „Teile der Bevölkerung“ hätte sich nur insoweit etwas geändert, als daß nunmehr die Deutschen unzweifelhaft als Teil der Bevölkerung anzusehen gewesen wären. Dies hätte jedoch praktisch keine Relevanz, da die Deutschen zumindest bei richtiger Gesetzesauslegung bereits als nationale Gruppe – die Abgrenzung kann über das Merkmal der Staatsangehörigkeit erfolgen – anzusehen sind. In der Praxis wird es also bei konsequenter Anwendung des Merkmals „nationale Gruppe“ gar nicht auf das Merkmal „Teile der Bevölkerung“ ankommen.