© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/18 / 01. Juni 2018

„Nicht einmal die Spitze des Eisbergs“
Mit seinem Wort von einer „Anti-Abschiebe-Industrie“ hat Alexander Dobrindt heftige Kritik provoziert. Gibt es diese tatsächlich? Wie funktioniert sie? Dieter Amann hat fast dreißig Jahre in Ausländerbehörden gearbeitet und ihr Entstehen von Beginn miterlebt
Moritz Schwarz

Herr Amann, gibt es eine „Anti-Abschiebe-Industrie“, wie Herr Dobrindt sagt?

Dieter Amann: Ja, aber der Ausdruck greift zu kurz, da er nur einen Teil eines, wie ich es nennen würde, gesellschaftlichen Anti-Abschiebe-Komplexes erfaßt. 

Was meinen Sie?

Amann: Nicht jeder, der Abschiebungen verhindert, verdient daran – und von Industrie würde ich erst dann sprechen. Die ist also nur Teil des Problems. 

Oft wird von „industriell“ aber auch einfach in Zusammenhang mit dem Organisationsgrad gesprochen. Staaten führen etwa „industrielle Kriege“, ohne daran zu verdienen, im Gegenteil. Hat Alexander Dobrindt vielleicht das gemeint?

Amann: Das müßten Sie ihn fragen. 

Wir haben ihn natürlich um ein Interview gebeten, vergeblich. 

Amann: Das würde natürlich einen weit größeren Teil des Anti-Abschiebe-Komplexes umfassen als nach meiner Definition. Denn ein erheblicher Teil davon ist keineswegs die Art von spontanem, politisch neutralem Protest betroffener Bürger – von Nachbarn, Arbeitgeber, Klassenkameraden eines Abschüblings –, sondern Netzwerke ideologisch motivierter Aktivisten, die nur den Anschein erwecken wollen, es handele sich um Bürgerprotest aus der Mitte der Gesellschaft. Allerdings halte ich meine Definition von Industrie für sinnvoller. Denn hier entwickelt sich ein regelrechter „Wirtschaftszweig“. Irgendwann kann sich dieser wahrscheinlich sogar aufs Kassieren beschränken – wenn nämlich die Asylforderer selbst dafür sorgen, ihre Abschiebung zu vereiteln. Der Fall Ellwangen war da nur ein Vorgeschmack. Wenn erst mal für jede Abschiebung Hundertschaften Polizei gebraucht werden, implodiert das System von allein.

Aber verunglimpft Ihre Kritik nicht Anwälte als „Saboteure des Rechtsstaats“ und Menschen, die nur „ihre Rechte wahrnehmen als Problem unseres Rechtsstaats“, wie die SPD etwa Herrn Dobrindt vorwirft?

Amann: Nein, aber richtig ist, daß man differenzieren muß. Es gibt auch viele Anwälte, die es ablehnen, Asylbewerber zu vertreten. Aktive Asyl-Anwälte gibt es  sogar vergleichsweise wenige, und sie dürften zu einem Gutteil Überzeugungstäter sein. Viele sind bereits Mitglied der institutionalisierten Asyllobby, bei der sie teilweise auch bezahlten Beratungstätigkeiten nachgehen. Dabei ist einen Asylanten als Mandanten zu vertreten für Anwälte nicht immer ein Vergnügen, weder materiell noch persönlich. Es geht also keineswegs nur ums Geldverdienen. Herr Dobrindt aber sollte zuerst mal seinesgleichen kritisieren! Denn es war die Politik, die die Gesetze und das EU-Recht gemacht haben, durch das erst unzählige Blockademöglichkeiten für die Asyl-Anwaltschaft geschaffen wurden.

Dobrindt wiederum spricht von einer „Aushöhlung des Rechtsstaates“ durch diese Industrie. Wer ist es denn nun, der den Rechtsstaat tatsächlich schädigt?

Amann: Herr Dobrindt saß jahrelang mit dem obersten Abschiebehindernis der Republik am Kabinettstisch: Frau Merkel! Damals habe ich keine vergleichbare Kritik von ihm vernommen. 

Sie arbeiten heute für die AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag, da ist natürlich klar, daß Sie in puncto politische Schuldzuweisung die Etablierten angreifen. 

Amann: Nein, der Fisch stinkt vom Kopf, diese Volksweisheit beweist hier mal wieder ihre Treffsicherheit. Inzwischen ist doch für jedermann offenkundig, daß niemand den Rechtsstaat seit der Grenzöffnung so ausgehöhlt hat wie die Regierung. Und wo politischer Wille zur Abschiebung fehlt, bleiben die Abschieber zwangsläufig ohnmächtig.

Sie haben zuvor 29 Jahre in Ausländerbehörden gearbeitet. Was haben Sie da erlebt?

Amann: Licht und Schatten. Wer’s drauf anlegt, zu bleiben, schaffte das auch schon früher, selbst wenn ein Paß vorhanden war. Natürlich gab es auch Abschiebungen. Doch im Verhältnis zur Zahl der Geduldeten waren und sind es wenige.

Gab es Versuche von seiten der Verwaltung und/oder Politik, das zu ändern? 

Amann: Die Sachbearbeiter der zentralen Abschiebebehörde waren aufrichtig motiviert. Sie haben versucht, Abschiebungen konsequenter durchzusetzen, sind aber oft gegen Wände gerannt.  

Was ist denn eigentlich das Problem? 

Amann: Jede Abschiebung ist das Ergebnis eines monatelangen, zeitintensiven, mühsamen Kampfes, häufig gegen spezialisierte Anwälte. Sie bereitet viel Streß und Ärger und ist überhaupt nur dann aussichtsreich, wenn Reisedokumente vorliegen, was meistens natürlich nicht der Fall ist. Unterbesetzte, demotivierte Ausländerbehörden oder solche ohne politische Rückendeckung oder sogar gegen eine abschiebefeindliche Verwaltungsspitze können das nicht leisten. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder Verlängerung einer Duldung dauert dagegen nur wenige Minuten. 

Wären Sie ohne diese Erlebnisse in den Behörden geblieben?

Amann: Ich „leide“ an einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und konnte nicht mehr ertragen, daß die größten Lügner die besten Aussichten auf Bleiberecht haben. Und obendrein ohne einen Cent Eigenbeitrag dieselben Sozialleistungen erhalten – oft mangels schulischer oder beruflicher Qualifikation sogar lebenslang – wie Einheimische, die jahrzehntelang einbezahlt haben. Ich habe erfahren, daß das Asyl- ein Lügensystem ist. Daß jemand wie der deutsche Asylbetrüger Franco A., der 2017 für Schlagzeilen sorgte, enttarnt wurde, war eigentlich nur „dummer“ Zufall, sonst würde er wohl heute noch als angeblicher Syrer Asylleistungen kassieren. Oder denken Sie an die vielen „Mehrfachidentitäten“, die bei uns herumlaufen. Irgendwann war es genug. 

Wie hat man sich nun konkret die Anti-Abschiebe-Industrie vorzustellen, wie Sie sie kennengelernt haben? 

Amann: Kern ist zum einen das Netzwerk aus mächtigen direkten Profiteuren der „Flüchtlingsbetreuung“, vor allem der kircheneigenen Wohlfahrtsorganisationen und der freien Wohlfahrtspflege wie Caritas, Diakonie, AWO etc. Zum andern staatlich geförderte, gesellschaftliche Akteure, mit Pro Asyl an der Spitze und unzähligen örtlichen, regionalen und überregionalen Flüchtlingshilfs-, beratungs-, betreuungs - und integrationsorganisationen, von denen die Asyl-Anwälte nur eine Untergruppe sind. Beide bilden ein fast undurchschaubares Konglomerat, ein Dickicht, das dank Subventionen aus der Gießkanne prächtig wuchert.

Haben Sie ein konkretes Beispiel? 

Amann: Nehmen wir die UMA – Unbegleitete Minderjährige Ausländer – deren Intensivbetreuung bei durchschnittlich 6.000 Euro pro Kopf im Monat, Kosten von etwa drei Milliarden Euro im Jahr verursacht, von denen ein Gutteil an die freie Wohlfahrtspflege geht. Der Markt für Sozialpädagogen etc. für diese Einrichtungen ist leergefegt. So erstattete allein Baden-Württemberg den Jugendämtern 2016 etwa 370 Millionen Euro für UMA – die wohl vollständig an deren Vertragspartner weitergereicht worden sein dürften. Weitere 63 Millionen wurden für Fördermaßnahmen ausgegeben und 320 Millionen in den Jahren 2017/18 für Integrationsmanager, von denen niemand so genau weiß, was sie eigentlich machen. 

Gibt es keine „Erfolgskontrolle“?

Amann: Meines Wissens nicht. 

Wo genau landet das Geld?

Amann: Das kann ich nicht sagen. 

Was glauben Sie persönlich?

Amann: Ich glaube, es landet, grob gesprochen, vor allem bei der Wählerklientel der Parteien des linken politischen Spektrums mit seinem hohen Anteil an Angehörigen von Sozialberatungs-, Betreuungs- und Erziehungsberufen und in der Kinder- und  Jugendfürsorge. Aber ich betone, das ist in der Tat meine rein persönliche Einschätzung. Zu dieser Schlußfolgerung komme ich etwa durch ein Beispiel wie dieses: In den Erstaufnahmestellen im Südwesten waren 2017 für die – angeblich unabhängige – Sozialberatung 130 Vollzeitstellen besetzt, und zwar von Caritas, AWO, DRK etc. 29 Mitarbeiter wurden vom Karlsruher „Freundeskreis Asyl“ entsandt. Das aber ist ein früher schwindsüchtiger, spendenabhängiger Asyllobbyverein, der so plötzlich zum „mittelständischen Unternehmen“ wurde. Übrigens unterhalten alle diese Akteure auch „Beratungsstellen“ außerhalb der Landeserstaufnahmestellen mit angeschlossenen Rechtsanwälten. Was da wohl „beraten“ wird? Bestimmt nicht, wie man am einfachsten abgeschoben werden kann. Und diese Beispiele sind, bundesweit betrachtet, nicht mal die Spitze des Eisbergs. Zu dem übrigens auch das Atteste-Unwesen gehört.

Sie meinen, falsche ärztliche Atteste?

Amann: Nicht pauschal. Aber Atteste sind die einfachste Methode, nicht abgeschoben zu werden, wenn man sich mit einem Paß hat „erwischen“ lassen. Sehr beliebt ist etwa attestierte Reiseunfähigkeit wegen Traumatisierung oder Suizidalität, oder am besten beides. Der „Verein zur Unterstützung traumatisierter Migranten e.V.“ in Karlsruhe beispielsweise kennt schon begrifflich keine untraumatisierten Migranten. Derartige „psychosozialen Zentren“ gibt es bundesweit viele, und die meisten erhalten staatliche Zuschüsse. 2016 hatten die Karlsruher 430 neue „Patienten“, die ihnen meist von wem geschickt wurden?

Haus- oder Fachärzten?

Amann: Von Rechtsanwälten! Kommt Ihnen das nicht auch spanisch vor? Und man könnte ja mal fragen, warum die Leute zu einem Verein geschickt werden und nicht zur psychiatrischen Notaufnahme. Jedenfalls stieg der Landeszuschuß für die fünf „psychosoziale Zentren“ im Südwesten von 500.000 Euro 2016 auf 950.000 Euro 2018/19 – zur Erinnerung: deren Hauptbeschäftigung de facto darin besteht, „traumatisierte“ Flüchtlinge zu behandeln und sie so der Abschiebung zu entziehen und das möglichst dauerhaft. Der Trick besteht darin, daß die darin verwickelten Mediziner die „Verfolgungsschicksale“ der Klienten, die zuvor durch alle behördlichen und gerichtlichen Instanzen als unglaubhaft bis abwegig verworfen wurden, in Attesten und Gutachten kritiklos als Grundlage für die Diagnose Trauma, Suizidgefahr, Depression etc. übernehmen, womit so gut wie immer eine Duldung oder Aufenthaltserlaubnis erlangt wird. Nicht selten wird die vor dem Bundesamt geschilderte „Fluchtgeschichte“ nun noch mit grausamen Details aufgepeppt. Na ja, wozu wird man auch „beraten“? 

Aber wird man so nicht unglaubwürdig? 

Amann: Ganz im Gegenteil! Dieses „Draufsatteln“ wird sogar erst recht zu einem Beweis für ein Trauma umgedeutet – denn offenbar war der Betroffene zuvor „unfähig“, darüber zu sprechen, aus Scham oder Furcht. Mit Verlaub, ich nenne das eine medizinische Paralleljustiz, durch die staatliche Entscheidungen in großer Zahl ausgehebelt werden. Das geht so weit, daß viele Atteste unverblümt als einziges Heilmittel ein Bleiberecht nennen. Und keine Behörde und kaum ein Gericht kann sich über so ein ärztliches Diktum hinwegsetzen!

Kann dieser Industrie ein Riegel vorgeschoben werden, ohne daß der Rechtsstaat beschädigt und unorganisiertes Bürgerengagement in Sachen Asyl beschnitten wird? 

Amann: Da sie in erster Linie von öffentlichen Subventionen lebt, müßten diese ersatzlos gestrichen werden. In Baden-Württemberg etwa erhält der Landesflüchtlingsrat jährlich 250.000 Euro, obwohl er Abschiebungen sabotiert. Meines Erachtens wäre auch ein Ende der Prozeßkostenhilfe im Asylklageverfahren rechtsstaatlich machbar. Damit wäre schon viel erreicht! Gegen das Scheinattestunwesen versuchte die Politik 2017 gesetzlich vorzugehen. Der Erfolg dürfte meiner Einschätzung nach ausgeblieben sein, da sich die schwarzen Schafe unter den Medizinern den verschärften Bedingungen problemlos anpassen können. Ich meine daher, Atteste der genannten Art dürften einfach nicht mehr anerkannt werden. Das alles wird aber wohl nicht passieren ohne eine grundlegende Änderung in Politik und vor allem Medien, die in ihrer erdrückenden Überzahl dezidiert abschiebefeindlich sind. Ich selbst habe etwa zwanzig Jahre den Spiegel gekauft, bis mir als Insider die Verlogenheit und manipulativ-schönfärberische Penetranz fast aller Reportagen über Asyl, Integration und Abschiebung unerträglich wurde.  






Dieter Amann, der Diplom-Verwaltungswirt war 29 Jahre im Gehobenen Verwaltungsdienst in der Ausländerverwaltung tätig und ist seit 2016 der AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag zur Dienstleistung zugewiesen. Geboren wurde er 1962 in Speyer.

Foto: Demonstration in München, 2017: „Jede Abschiebung ist Ergebnis eines monatelangen, mühsamen Kampfes. Für eine Aufenthaltserlaubnis dagegen braucht man nur wenige Minuten“

 

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