© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/18 / 25. Mai 2018

Audienzen als Regierungspraxis: Machtkonzentration in Mussolinis Hand
Überforderter Diktator
(ob)

Zu den Audienzen des italienischen Diktators Benito Mussolini drängten sich unter Scharen von Bittstellern auch viele prominente Zeitgenossen, denen es, wie Emil Ludwig, Rudolf Borchardt oder Carl Schmitt, eine Ehre war, vom „Duce“ empfangen zu werden. Die zum festen Bestandteil des „Duce-Mythos“ gehörenden medialen Inszenierungen erschöpften sich nach Ansicht des Zeithistorikers Amedeo Osti Guerrazzi (Fondazione Museo della Shoah, Rom) jedoch darin, der politischen Kommunikation zwischen Mussolini und seinen Anhängern im In- und Ausland zu dienen (Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 2/2018). Sie seien auch, was vielfach unterschätzt werde, „ein wichtiges Element der Regierungspraxis und der Herrschaftstechnik des faschistischen Diktators“ gewesen. Da alle anderen Institutionen seit Anfang der 1930er nur noch ein Schattendasein führten, habe die „tägliche Vorsprache“ im Palazzo Venezia die Regierungspraxis regelrecht privatisiert. Die Audienzen, festgehalten in 95.000 Einträgen, die derzeit am Deutschen Historischen Institut in Rom ausgewertet werden, seien somit Ausdruck jener Machtkonzentration in der Person des Duce, die früh als „Mussolinismus“ beschrieben wurde. Mithin weisen ihn die Audienz-Protokolle nicht als „schwachen“, aber doch als Entscheider in allen Schlüsselpositionen „überforderten Diktator“ einer überforderten Nation aus. 


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