© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/18 / 25. Mai 2018

Stilprägend in Schwarzweiß
Ausstellung: In Berlin sind Bilder des US-amerikanischen Starfotografen Irving Penn zu sehen
Harald Melzer

Die Fotos erinnern an Gemälde. Sorgsam komponiert, selbst oder gerade auch in Schwarzweiß ausdrucksstark. Wer die Bilder des US-Fotografen Irving Penn kennenlernen oder wiederentdecken will, der ist im kleinen, aber renommierten Fotomuseum C/O im Amerika-Haus in Berlin gut aufgehoben. 

Betritt man durch das Vestibül die Ausstellungsräume, empfängt den Besucher ein lebensgroßes Porträt. Es zeigt einen Mann in weiten hellen Chinos, Oberhemd mit Krawatte und Lederjacke, der sich auf eine Kamera stützt. Der Mann auf dem Schwarzweißbild ist „Irving Penn – Centennial. Der Jahrhundertfotograf“. So lautet der Titel der großen Retrospektive anläßlich des hundertsten Geburtstags des Starfotografen. Die Ausstellung wurde mit rund 240 Exponaten vom Metropolitan Museum of Art in Zusammenarbeit mit der Irving Penn Foundation gestaltet.

Neben den berühmten Porträts von Audrey Hepburn über Warren Beatty bis Truman Capote, Marlene Dietrich, Salvador Dalí und Picasso bietet die Schau Einblick in das über siebzig Jahre sich erstreckende Werk des langjährigen Titelfotografen der Modezeitschrift Vogue. Über 160 Cover und zahlreiche Modestrecken hat er hinterlassen. Abstrakte weibliche Akte, Studien von Blumen oder Zigarettenstummeln oder auch Bilder von Kindern in peruanischer Tracht, Ureinwohner Neuguineas, verschiedene Porträts von heute teilweise ausgestorbenen Handwerksberufen – Penn hat ein vielfältiges Œuvre hinterlassen. Als Modefotograf für die Vogue wurde er weltberühmt, aber Penn beherrschte die unterschiedlichsten Genres. Nicht umsonst gilt er bis heute als stilprägend.

Er arbeitete lieber abseits des Gedrängels

Penn (1917–2009) absolvierte nach der Highschool ein Studium der Gestaltung an der Philadelphia Museums School of Industrial Art. Anschließend ging er als Assistent zu Alexei Brodowitsch, damals einflußreicher Art Director der Zeitschrift Harper’s Bazar. In dieser Zeit kaufte Penn seine erste Kamera: eine zweiäugige Spiegelreflexkamera von Rolleiflex. 1941 kündigte er bei Brodowitsch und ging nach Mexiko. Erste Fotoaufnahmen zeigen Studien von Ladenfronten, Straßenschildern und Reklametafeln in Philadelphia, New York und Mexiko. Sie sind visuell klar und gelten als thematisch zur Depressionszeit der späten dreißiger Jahre im Stil der Dokumentarfotografie passend. Bereits in dieser Zeit entwickelte Penn jene für ihn typische Strenge und Konzentration, die später seine Stilleben  auszeichnete. 1943 fing der 26jährige bei der Vogue an. Am Anfang fotografierte er wieder Stilleben. Es gelang ihm damit Geschichten zu erzählen, ohne aber Menschen ins Bild zu holen. Er zieht mit einem abgebrannten Streichholz oder Lippenstift am Cognacglas den Betrachter in seinen Bann. 

1945 kehrt Penn nach seinem Kriegs-einsatz zur Vogue als Fotograf zurück. Da Art Director Alexander Liberman den Mitarbeiter fördern wollte, erteilte er ihm den Auftrag, Prominente zu porträtieren. Zwar wurde ihm vorgeschrieben, wen er zu fotografieren hatte, die Art und Weise blieb ihm aber freigestellt. Am Anfang arbeitete er mit einem über alte Kisten geworfenen Teppich, später mit zwei im spitzen Winkel aufgestellten Flächen. Diese puristischen, kargen Bilder, die sich absolut auf das jeweilige Model konzentrierten, begründeten den Ruf von Irving Penn. 

Nun war Liberman von Penns Talent überzeugt und schickte ihn nach Paris, um die Haute-Couture-Schauen zu besuchen. Diese Art der Reportagefotografie im Gedrängel lag Penn überhaupt  nicht. Da er lieber abseits des Getümmels arbeitete, organisierte er sich in den fünfziger Jahren ein eigenes Studio, bei dem ein Theatervorhang als neutraler Hintergrund diente. Obwohl das Studio weder funktionierende Strom- oder Wasseranschlüsse hatte, über baufällige Treppen zu erreichen war, kreierte er eine einmalige Fotoserie mit Designerkleidern. Der Theatervorhang diente Penn auch später noch als Hintergrund. Mit ihm inszenierte und kontrollierte er seine Porträts von Prominenten oder Handwerkern, die er Anfang der fünfziger Jahre schuf. Besonders beachtenswert ist dabei ein Bild des jungen Richard Burton, das ihn in einer selten gesehenen Jugendlichkeit zeigt. 

Von der Zivilisation unberührte Kulturen

Von 1967 bis 1971 gönnte sich Irving Penn eine Auszeit und lebte seinen Traum. Er reiste mit seinem Zeltstudio um die Welt und fotografierte Menschen. Der Schwerpunkt lag dabei auf der südlichen Erdhalbkugel: Afrika, Südamerika und Neuguinea. Er schreibt dazu: „Das Atelier wurde für jeden von uns zu einer Art neutralem Raum. Es war nicht ihr Zuhause, denn ich hatte diese fremde Umgebung in ihr Leben gebracht, es war aber auch nicht mein Zuhause, denn ich kam eindeutig aus der Fremde, aus großer Ferne. Doch eben dieser Schwebezustand ermöglichte uns beiden den Kontakt, und das war für mich eine Offenbarung. Und ich erkannte, daß es auch für die Porträtierten oft eine bewegende Erfahrung war, konnten sie doch ohne Worte – allein durch ihre Haltung und Konzentration – vieles ausdrücken, das die Kluft zwischen unseren unterschiedlichen Welten überbrückte.“ 

Diese Aufnahmen, die 1974 in dem Buch „Wolds in a Small Room“ veröffentlicht wurden, zeigen sorgfältig gebaute Bilder mit einem außergewöhnlichen Detailreichtum. Sei es, daß man die Schnittmale als Körperkunst der afrikanischen Frauen aus Benin genauestens erkennen kann. Ebenso gelang es ihm, 1970 in Neuguinea Kulturen noch zu fotografieren, die zum Teil bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts von der Zivilisation unberührt geblieben waren. Er durfte sogar das jährlich stattfindende Fest verschiedener Stämme „Sing Sing“ miterleben. Dabei war er fasziniert von dem Muschelschmuck, den Federn und der eingeölten Haut. Auch bei seinen Arbeiten in Marokko gelang es Penn, Menschen in ihrer Natürlichkeit abzubilden und sie gleichzeitig eine Würde ausstrahlen zu lassen.

In seinen späten Jahren verlegte sich Penn wieder mehr auf Stilleben – er experimentierte jetzt mit verschiedenen Sujets und nannte die Fotoserien: Flowers, Street Material, Archaelogy, Vessels und Underfoot. Dem Betrachter bieten sich die unterschiedlichsten Schöpfungen aus Blumen, Abfall, Zigarettenstummeln und manch anderem als Anblick, wie sie wohl nur von Penn geschaffen werden konnten.

Die Ausstellung„ Irving Penn. Centennial. Der Jahrhundertfotograf“ ist bis zum 1. Juli im Berliner Amerika-Haus, Hardenbergstraße 22-24, täglich von 11 bis 20 Uhr zu sehen. Telefon: 030 / 2844416-0

Die begleitende Monographie mit 372 Seiten ist im Schirmer/Mosel Verlag erschienen und kostet 68 Euro.

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