© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/18 / 25. Mai 2018

Schleichende Invasion aus China
Philippinen: Pekinger Investoren wollen die Insel Boracay nach ihren Vorstellungen gestalten / Unliebsame Konkurrenz wird ausgeschaltet
Hinrich Rohbohm

Die untergehende Sonne taucht die Insel in gleißendes, warmes Licht. Menschenmassen, die sich am puderzuckerweißen Sandstrand tummeln. Die sehen wollen, wie der tiefstehende rötliche Sonnenball sich vom Himmel verabschiedet und im Meer versinkt.  

Sie tragen schwarze Hemden mit dem roten Emblem ihrer Behörde. Um ihren Hals baumeln Ausweise, die sie als Kontrolleure der philippinischen Regierung zu erkennen geben. Zehn Männer, die mit prüfenden Blicken über den White Beach von Boracay laufen. Einige haben ihre Mobiltelefone hervorgeholt, machen sich Notizen. 

Alles kommt auf den Prüfstand, Kanalisationsanschlüsse, Müllentsorgung, die Bauweise von Hotels und Restaurants. Bei letzteren sind die Kontrolleure schon jetzt gefürchtet. Sie können über die Existenz eines Betriebes entscheiden. Darüber, ob ein Unternehmer sein Gebäude abreißen muß oder nicht. Ob er seine Gastronomie weiterführen darf oder schließen muß. Betroffen sind auch zahlreiche Deutsche. 

Viele von ihnen haben sich auf der Trauminsel niedergelassen, haben Bars, Restaurants, Pensionen, Surf- oder Tauchschulen eröffnet oder genießen hier ihren Lebensabend unter Palmen. So mancher von ihnen steht nun vor dem Nichts. 

Plötzlich entdeckt Duterte sein Herz für die Umwelt

Die Insel ist inzwischen menschenleer und verlassen. Nur noch Einheimische sind vor Ort. Jetzt jedoch ohne Arbeit, ohne Kundschaft, ohne Einkommen. Der philippinische Staatspräsident Rodrigo Duterte persönlich hatte die Schließung des Urlaubsparadieses angeordnet. Ein Paradies, das er als „stinkende Kloake“ bezeichnet hatte, die einer zu hohen Umweltbelastung ausgesetzt sei. Eines, das für mindestens sechs Monate von der Außenwelt abgeschottet sein wird. 

Weder Touristen noch sonstige Auswärtige, die nicht auf Boracay leben oder arbeiten, dürfen die Insel betreten. Soldaten bewachen die Fährhäfen. Seit dem 26. April, dem Tag der Schließung, lassen Sie niemanden mehr hinüber. Flüge nach Caticlan, dem Flughafen auf der gegenüberliegenden Hauptinsel Panay, sind eingestellt. 

Nur wenige Tage vor der Schließung treffen wir Ernst. Ein 65 Jahre alter Schweizer aus der Nähe von Bern. „Vor sieben Jahren habe ich mich hier zur Ruhe gesetzt.“ In einem wenig komfortablen Ein-Zimmer-Apartment mit Bad in direkter Strandnähe. Die Monatsmiete beträgt 11.000 Pesos. „Das sind weniger als 200 Euro.“ Er genießt sein Rentnerleben, den Strand, das Meer, trifft sich mit Deutschen und Schweizern zum abendlichen Bier an der Bar. 

Doch seit zwei Monaten ist sein Leben aus den Fugen geraten. „Dutertes Entscheidung hat uns alle wie der Schlag getroffen“, sagt er. Niemand habe damit gerechnet. Nun muß auch er sich wohl ein neues Zuhause suchen. „Es gibt zwar noch die Hoffnung, daß die Regierung für ständig auf der Insel wohnende Ausländer eine Ausnahmegenehmigung erteilt. Die Anordnungen ändern sich ja täglich. Aber nach aktuellem Stand muß ich weg.“ 

Nur Ausländer, die ein Gewerbe auf der Insel betreiben, dürfen bleiben. Besser dran sind sie damit nicht. „In den sechs Monaten werden wir praktisch keine Kundschaft haben. Aber Mitarbeiter dürfen wir aufgrund der hier geltenden  Bestimmungen nicht entlassen“, klagt ein deutscher Restaurantbetreiber, der lieber anonym bleiben möchte. 

Selbst größere Hotelketten wie die Hennan-Gruppe sind betroffen. Zwei erst vor wenigen Monaten eröffnete neue Resorts werden auf behördliche Anordnung Teile ihrer Gebäude abreißen müssen. Darunter ein erst kürzlich fertiggestellter Infinity-Pool mit freiem Blick auf Palmen, Strand und Meer. Baugrenzen seien nicht eingehalten, hatten die Kontrolleure gesagt. 

Ein Millionenverlust. „Nicht Pesos, sondern Dollar“, klagt ein Mitarbeiter des Hotelmanagements gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Die Abstandsbestimmungen gibt es schon lange. Daran gehalten hatte sich kaum jemand. Auch über wilde Müllentsorgung und fehlende Kanalisationsanschlüsse hatte sich jahrzehntelang niemand wirklich aufgeregt. Weder auf Boracay noch an anderen Orten der Philippinen. 

Um so erstaunlicher ist es, daß der wegen seiner oft rüden Rhetorik und übermäßigen Härte berüchtigte philippinische Präsident nun ein Herz für die Umwelt entdeckt haben will. Schließlich war er zuvor mit Aktionen für den Naturschutz noch nicht in Erscheinung getreten. Viele Einwohner Boracays sind skeptisch. Unter ihnen geht das Gerücht um, daß die Regierung der Insel ein vollkommen neues Gesicht geben will. 

„Warum jetzt? Warum in Boracay? Warum so plötzlich?“ fragen sie. „Natürlich ist die Umweltbelastung gestiegen und die Wasserqualität schlechter geworden. Es kommen ja auch immer mehr Touristen“, erklärt Manfred (Name geändert). Der 47jährige betreibt auf Boracay eine Tauchschule. Auch er möchte anonym bleiben, will keinen Ärger mit den Behörden. 

Wie er verhalten sich derzeit viele Geschäftsleute auf Boracay. Ja, die Insel habe in den vergangenen Jahren einen regelrechten Boom erlebt, sagt er. Den Ausdruck „stinkende Kloake“ hält er jedoch für stark übertrieben. „Wenn etwas stinkt, dann der grüne Seetang. Aber der wird um diese Jahreszeit immer an den Strand gespült und hat nichts mit Umweltverschmutzung zu tun.“

Die wachsende Mittelschicht in China habe zu einem enormen Anstieg der Besucherzahlen geführt. Für ihn sei das zunächst „ein Segen“ gewesen. „Wenn in der Nebensaison die Regenzeit beginnt, bleiben die meisten Deutschen der Insel fern. Aber die Asiaten sind da vollkommen schmerzfrei. Die kommen in großen Gruppen. Und wenn Tauchen bei denen auf dem Programm steht, dann wird rausgefahren und getaucht, egal wie das Wetter ist.“ 

Peking baut geostrategische Position aus

Sieben Millionen Touristen jährlich besuchen die Philippinen. Davon allein zwei Millionen die gerade einmal sieben Kilometer lange und drei Kilometer breite Insel Boracay mit ihren angesichts der geringen Größe beachtlichen 30.000 Einwohnern. „Und jetzt kommt ein halbes Jahr niemand. Das bricht mir das Genick“, schildert Manfred seine Situation. Seine Tauchschule wird er nicht halten können, auch wenn die Regierung Entschädigungszahlungen angekündigt hat.

Vor allem kleinere Gewerbetreibende werden ihre Existenz verlieren. Künstler, Tänzer, Massageläden, Haar- und Tattoostudios. Einer dieser Tattoobetreiber ist Maynhardt. Auch der 29 Jahre alte Familienvater wird sein Geschäft aufgeben müssen. „Für die Insel und ihre Natur ist ein wenig Ruhe sicher gut, für die Einwohner ist es schlecht.“ Alles sei so plötzlich gekommen. „Wir können nur warten. Warten, schlafen, vielleicht ein wenig fischen, um unsere Familien zu ernähren.“ Doch das Fischen hat die philippinische Regierung ebenfalls untersagt. 

Intessanterweise ist das unerwartet starke Engagement der Regierung für den Umweltschutz und die damit verbundene Schließung der Insel zeitnah mit dem Auftreten chinesischer Investoren aus Macao verbunden, die auf der Insel den Betrieb mehrerer Casino-Resorts planen. Einrichtungen, die auch eine Menge Geld in die philippinische Staatskasse spülen werden. 

Glaubt man Erzählungen mancher Gewerbetreibender, dann handele es sich bei der Schließaktion in Wahrheit um einen Verdrängungswettbewerb. Chinesische Investoren würden die Insel nach ihren Vorstellungen gestalten wollen. Unliebsame Konkurrenz solle im Vorfeld ausgeschaltet werden. 

Wie die JF aus Regierungskreisen erfuhr, sei Duterte in der Tat sehr daran interessiert, chinesische Investoren für die Philippinen zu gewinnen, um den Ausbau der Infrastruktur im Land voranzutreiben, nachdem er durch seinen antiamerikanischen Kurs der vergangenen Jahre zahlreiche US-Geschäftsleute abgeschreckt hatte. China wiederum ist in vielerlei Hinsicht an einem stärkeren Engagement in dem pazifischen Inselstaat interessiert. 

Die Region zählt inzwischen zu den wirtschaftlich bedeutendsten Seegebieten der Welt. Wichtige Handelsrouten führen hier durch das Südchinesische Meer. An keinem Ort der Welt werden mehr Warenwert und Tonnage transportiert. Es ist der Puls des Welthandels. Wer ihn kontrolliert, hat die Macht, an einem entscheidenden Rad der globalen Wirtschaft zu drehen, um potentielle Konkurrenz bei Bedarf empfindlich zu treffen.

Auch militärisch ist die Region für China von Interesse. Schritt für Schritt baut das Reich der Mitte seine Präsenz auf den strategisch bedeutsamen Spratly-Inseln aus. Inzwischen selbst im Hoheitsgebiet der Philippinen, in dem das bevölkerungsreichste Land der Erde Mittelstreckenraketen in Stellung gebracht hat und damit billigend einen Verstoß gegen die Konvention der Vereinten Nationen zum Seerecht in Kauf nimmt. 

Regierungsvertreter sprechen bereits von „einer ernsthaften Gefährdung der Sicherheit, die Anlaß zur Sorge“ bereite. Und die Opposition in Manila kritisiert inzwischen offen, daß China an einer „schleichenden Invasion der Philippinen“ arbeite. Aussagen, die Duterte nun offenbar zum Zurückrudern veranlassen. „Ich habe das nicht erlaubt“, erteilte er Spekulationen über chinesische Casinobauten auf Boracay eine ungewöhnlich scharfe Absage. Zudem räumt auch er nun ein, daß die Philippinensee durch die Expansion Chinas „langsam verspeist“ werde. Töne, die noch vor wenigen Monaten gänzlich anders geklungen haben.