© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/18 / 18. Mai 2018

Mit Respekt vor dem Werk
Mozart in Prag: Eine Neuinszenierung von „Figaros Hochzeit“ am Ständetheater
Sebastian Hennig

Die Devise „Patriae et Musis“ prangt in goldenen Lettern hoch droben über dem Eingang des Gräflich Nostitzschen Nationaltheaters am Prager Obstmarkt. Die beiden Begriffe sollten die Bühne für das wirkliche böhmische Nationaldrama abstecken. Im Musentempel erfüllte sich das Schicksal zweier Muttersprachen in einem Vaterland auf beispielhafte Weise.

Wenige Jahre nach der Eröffnung mit einer Aufführung von Lessings Trauerspiel „Emilia Galotti“ wurde das Haus am 29. Oktober 1787 der Schauplatz einer Sternstunde der Musikgeschichte durch die Uraufführung von Mozarts „Don Giovanni“. Mit „La  clemenza di Tito“ sollte noch ein weiteres von dessen Hauptwerken hier aus der Taufe gehoben werden. Mit dem Erwerb des Gebäudes durch die böhmischen Stände wurde es ab 1798 zum Königlichen Ständetheater. Im friedlichen Wechsel konnten diese Bretter mal eine deutsche, mal eine tschechische Welt bedeuten. Das tschechische Schauspiel „Das Schusterfest“ von Josef Kajetán Tyl gelangte 1834 hier zur Aufführung mitsamt dem begeistert aufgenommenen Lied „Wo ist meine Heimat?“ Dieses sollte später zur Hymne der Republik werden und ist es seit 1992 wieder.

Gegenwärtig können sich die Tschechen im Ständetheater mit Goethes „Faust“ in ihrer Landessprache bekannt machen. Vor allem aber werden in Erinnerung an die große Vergangenheit weiterhin Mozarts Opern gespielt. Deren Aufführung bleibt ein unverzichtbarer Bestandteil des Prager Kulturtourismus. Es sitzen dann besonders viele Japaner und Deutsche in den Balkonlogen. Unter den Opernfreunden hat es sich längst herumgesprochen, daß hier nicht allein gut musiziert und gesungen wird. Auch die Inszenierungen wahren den Respekt vor dem Werk, das andernorts dekonstruiert und verfremdet wird. Wobei hier keineswegs Rekonstruktion und Klischee vorherrscht. Bestimmend ist die frische Zustimmung der Gegenwart zur dauernden Schönheit von Mozarts Kunst.

Das trifft auch für die neue Inszenierung von Magdalena Švecová zu. In der Eingangsszene läßt sie ein großes Gemälde von Dienstmädchen putzen. Es zerlegt sich in fünf Segmente, die zum einen als Raumteiler dienen und auf ihrer rotsamtenen Rückseite verschiedene Attribute aufweisen. Von einer solchen Wand nimmt sich Figaro (Jan Štáva) eine Flinte und hängt sie sich vor die Brust. Zu seiner Arie „Se vuol ballare, signor Contino“ gleiten die Finger über den Lauf wie über den Hals einer Gitarre. Sollte der Graf ein Tänzchen mit seiner Susanna wagen, er würde ihm dazu aufspielen.

Intime Stimmung in dem alten Logentheater

In den Umbauphasen treibt die Dienerschaft mit Mozartscher Anmut pantomimische Possen. Solche Arabesken vor dem Vorhang verderben nichts, wenn ein Herzog mit der stimmlichen Durchdringungskraft von Roman Janál die Bühne beherrscht. Jana Šrejma Kacírková als Herzogin Almaviva steht ihrem Bühnengemahl nicht nach. In der Sitzbadewanne thront sie durchaus würdevoll am Beginn des zweiten Aktes und fleht um ihren Gatten.

Die Bühne von Andrej Durík bietet der Aktion der Darsteller einen zurückhaltenden Rahmen. Im Mittelpunkt bleiben immer die Menschen mit ihren Leidenschaften und Irrtümern. Deren Handeln weitet erst den Raum um die wenigen materiellen Anhaltspunkte. Sichtbarer Metaphern bedarf es nicht. Denn alles Sinnbildliche wurde von Mozart und dem Librettisten Lorenzo Da Ponte in den Personen bereits angelegt.

Kostümgestalterin Katerina Štefková gestattet den Herren bauschärmelige weiße Blusen und den Damen bodenlange Schleppkleider. Das Auge bekommt bestätigt, was das Ohr vernimmt, ohne daß es darum langweilig würde. Im Gegenteil, die Grazie der Musik und die Anmut der Bewegungen fesseln sehr. Während der Herzog Susanna (Yukiko Kinjo) anschmachtet, ziehen zwei Pfauen durch die Szene. Es sind Attrappen, und sie werden natürlich gezogen. Aber nur zu gern sieht man es so, wie es gesehen werden soll. Die Abstraktion der Andeutungen ist glücklich ausgewogen mit Verfeinerung der Emotionen durch Gesang und Musik.

Die sachte Inszenierung verträgt sich zudem gut mit der intimen Stimmung, die den Zuschauer in dem alten Logentheater umfängt. Es waltet in Prag noch ein Mozartscher Genius loci. Figaros aus der höfischen Kamarilla frisch entpuppte Eltern Marcellina (Stanislava Jirku) und Bartolo (Jevhen Shokalo) treten als eine Art bucklige Verwandtschaft aber letztlich doch rührend in Erscheinung. Das Landvolk trägt slawische Tracht. Es nähert sich in bodenlangen Röcken und steifen dunklen Schürzen mit weißen Bändern im Haar. Die Jungfräulichkeit verfügte einst über eine eigene überzeugende Kleiderordnung. Dagegen sticht der goldgelbe Prunk des Herzogs und das türkise Kleid mit der orangen Haartracht ab.

Insgesamt drei Werke Mozarts stehen gegenwärtig auf dem Spielplan des Ständetheaters, neben dem neuen „Figaro“ und dem unabdingbaren „Don Giovanni“ noch „Die Zauberflöte“.

Die nächsten Vorstellungen von „Die Hochzeit des Figaro“ am Prager Ständetheater finden am 18. Mai, 8. und 13. Juni  sowie 10. und 15. September 2018 statt

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