© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/18 / 18. Mai 2018

Dorn im Auge
Christian Dorn

An Himmelfahrt lädt die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in die Station am Gleisdreieck, Ort des nachfolgenden FDP-Parteitages, zur Feier ihres 60. Jahrestages – und konfrontiert mich unvermittelt mit der Spätphase der DDR. Das eigentümliche Déjà-vu liegt vor allem an den inhaltlich wie rhetorisch belanglos erscheinenden Reden, die einfach so dahinplätschern, bar jeder echten Emphase. So wirkt hier selbst das Grußwort von Norbert Lammert, ehemaliger Bundestagspräsident und jetzt Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung, ermüdend, und das von ihm zitierte Fazit, der Liberalismus habe sich zu Ende gesiegt, wie eine ungewollte Bestätigung der Realität. Das Grußwort des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner bezeugt derweil dessen Unfähigkeit, sich jemals gegenüber der Bundeskanzlerin durchsetzen zu können. So ruft er Angela Merkel, die die nachfolgende Festrede hält, entgegen, sie könne doch – angesichts der gescheiterten Koalitionsverhandlungen – „froh“ sein, nicht Jürgen Trittin erklären zu müssen, warum Dobrindts „Konservative Revolution“ vielleicht gar nicht so verkehrt sein könnte. Wie schon bei ihren Widersachern auf dem alljährlichen CDU-Wirtschaftstag zeigt die Kanzlerin auch hier ihre unschlagbare machiavellistische Qualität, mit der sie ihre Kritiker im Handumdrehen lächerlich macht. Entsprechend belehrt sie mit Blick auf Lindners Dobrindt-Fiktion, daß sie, käme der CSU-Mann mit der „Konservativen Revolution“, das doch dem Trittin gar nicht erklären müsse: „Das würden Sie, Herr Lindner, doch schon selbst übernehmen.“ Es ist für mich nur ein schwacher Trost, wie hier der einstige Wehrdienstverweigerer und nachmalige Hauptmann der Reserve zum Kellner degradiert wird. Die Erklärung der Köchin im Kanzleramt, „Politik sollte nicht so tun, als sei alles möglich“, wirkt angesichts der „alternativlosen“ Euro-Rettung wie Realsatire.


Einen gedankenlosen Zynismus äußerte zuvor der scheidende Stiftungsvorsitzende Wolfgang Gerhardt, als er unter den liberalen Grundprinzipien einer Gesellschaft, „wo der Mensch zu sich selbst kommt“, auch die Praxis der „Abtreibung“ genannt hatte. Doch zuletzt erstirbt die Freiheit durch die Dramaturgie. Als die Versammlung sich erhebt, um das Lied „Die Gedanken sind frei“ in Hoffmann von Fallerslebens Fassung anzustimmen, wird dem Saalpublikum befohlen, nicht zu singen und sich bitte wieder zu setzen. Stattdessen wurde es durch den artifiziellen Kanongesang des Ensemble Nobiles vorgetragen, aus dem sich besonders eine Kastratenstimme hervortat.