© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/18 / 18. Mai 2018

Spätpubertäre Staatskünstler
Campino, die Toten Hosen & Co.: Viele Kulturschaffende surfen auf der Welle des politischen Zeitgeistes
Thorsten Hinz

Campino, Frontmann der Toten Hosen, darf sich Hoffnungen auf das Bundesverdienstkreuz machen. Vorgeschlagen hat ihn der neue Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, so großartig fand er des Sängers Einspruch gegen die Rapper Kollegah und Farid Bang bei der „Echo“-Verleihung. Campinos politisches Wirken währt jedoch schon länger und umfaßt viel mehr als die Schelte an den zwei bösen Buben.

Im März 2017 war er bei einem – spärlich besuchten – Anti-Pegida-Konzert in Dresden dabei. Befragt nach der Meinungsfreiheit der Andersdenkenden sagte er grinsend: „Ja, wir respektieren die ja doch. Keiner von uns ist rübergelaufen und hat denen auf die Fresse gehauen, wie es sich eigentlich gehört!“ Der Halbstarken-Jargon sollte dem Publikum wohl beweisen, daß der Mittfünfziger mit dem Punk-Rebellen aus den 1980er Jahren identisch ist, der Konventionen respektlos überschreitet. Vor allem aber bezeugte er eine politisch-intellektuelle Stagnation im Stadium der Spätpubertät, was in Zeiten rasanter politischer Veränderungen eine effektive Regression darstellt. Die eigene Schwundstufe ungeniert in die Öffentlichkeit zu tragen, hat sich für Campino als ein erfolgreiches Geschäftsmodell im Kampf um die Ressource Aufmerksamkeit erwiesen.

Campino ist in den Schlagzeilen, wenn er mit den Toten Hosen die von Pro Asyl angeregte Anti-Rassismus-Kampagne „Wegschauen heißt mitmachen“ unterstützt. Im vergangenen Jahr wollte er die Schlagersängerin Helene Fischer per Interview auf Kurs bringen und forderte sie auf, sich öffentlich gegen Rechts und die AfD zu erklären. Während der Koalitionsverhandlungen appellierte er an die Parteien, „daß Frau Merkel weiter Kanzlerin bleiben soll“. Er sieht in ihr die neue Mutter Germania, denn: „Diese Person auszutauschen, das wäre für mich das Zeichen, daß die Bundesrepublik Deutschland sich selber zerlegen möchte.“

2014 offenbarte er in einem Interview sein musikalisches Credo: „Ich habe es immer so verstanden, daß wir die Kampfmusik sind für die, die gegen Rechtsextremismus sind. (...) Plötzlich schreien nicht 20 Leute ‘Nazis raus!’, sondern 20.000. Das berührt dann schon, das Gefühl zu haben, ich bin hier nicht alleine, die denken auch so.“ Wow! Das Konzert als Sportpalast und der Sänger als Anheizer im Aufstand der Anständigen, die den Unanständigen den totalen Krieg erklären! Bloß, wo bleiben das Innovative, der Regelverstoß, das Aha-Erlebnis, der künstlerischer Mehrwert?

Die etablierten Parteien von der Linken bis zur CSU, die Kirchen, Gewerkschaften, die Justiz, die Medien, der Kulturbetrieb, der Verfassungsschutz, die sogenannte Zivilgesellschaft – alle können einträchtig mitschunkeln, wenn Campino seine Sicht auf Deutschland intoniert: „Wenn ein Mensch aus einem anderen Land/ Ohne Angst hier nicht mehr leben kann/ Weil täglich immer mehr passiert/ Weil der Haß auf Fremde eskaliert ...“

Der „Kampf gegen Rechts“ und „Fremdenfeinde“ ist zur informellen Staatsideologie der Bundesrepulik geworden, die den Meinungspluralismus sukzessive zerstört und die Denunziation zur staatsbürgerlichen Tugend erhebt. Statt seine Argumentations- und Handlungsmuster subversiv zu unterlaufen, bestätigen die Toten Hosen ihn und kitzeln beim Publikum standardisierte Reaktionen heraus. Solche staatsnahe Kunst gehört in die Abteilung Reklame, Agitation & Propaganda. Campino und die Toten Hosen sind damit nicht alleine. Gemeinsam mit BAP, Grönemeyer, Westernhagen, den Prinzen und vielen anderen surfen sie auf der Welle des politisch-korrekten Zeitgeistes. Sie sind hineingewachsen in eine Rolle, die bis 1989 als Merkmal und Relikt des real-existierenden Sozialismus galt: in die des Staatskünstlers. 

Nun kann niemand, auch kein Rocker oder Punker, in einem Staat leben und gleichzeitig gänzlich frei von ihm sein. Deshalb muß man den Toten Hosen auch nicht vorwerfen, daß sie von der staatlichen Kulturförderung profitieren. Für Auftritte in Taschkent (Usbekistan) und Almaty (Kasachstan) wurden ihnen 2011 insgesamt 68.793 Euro bewilligt mit der Begründung, das Auswärtige Amt fördere „in Einzelfällen auch Kunstprojekte direkt, wenn außenpolitische Erwägungen und auch das Projektvolumen dafür sprechen“. 

Staatskünstlertum umfaßt mehr. Es bedeutet, sich mit der Staatsmacht zu verbünden, ihre politischen Dogmen zu propagieren, daraus Resonanz und Vorteile zu ziehen und darüber die künstlerische Autonomie aufzugeben. Eben das hatte man den Künstlern in der DDR nach 1989 vorgeworfen: Sie seien Staats-, Hof- oder Auftragskünstler gewesen. Der Vorwurf traf Rockmusiker wie die Puhdys, die sich an staatlich organisierten Veranstaltungen wie „Rock für den Frieden“ beteiligt hatten. Er richtete sich gegen Schriftsteller, Regisseure und Bildende Künstler. Berühmtheit erlangte die Ansage des Malers Georg Baselitz, seine DDR-Kollegen seien „Arschlöcher“. Der Direktor des Kölner Ludwig-Museums ergänzte, ihren Bildern sei die Kollaboration mit dem totalitären Staat „wie Gift eingeimpft“. 

Diese Pauschalierung war Blödsinn, denn es gab in der DDR den offenen wie den versteckten Widerstand. Es gab sogar politische Betonköpfe, die in Konflikt mit der Staatspartei gerieten, weil ihr künstlerisches Talent sich verselbständigte und ihre dogmatischen Beschränkungen aufsprengte. Auch Schweigen konnte Widerstand bedeuten.

Natürlich gab es Opportunismus und Kollaboration bis hin zur puren Staatskunst. Die Gründe für die Anpassung waren oft ganz banal. Als 1979 im DDR-Schriftstellerverband über den Rauswurf SED-kritischer Autoren abgestimmt wurde, sagte Stefan Heym an die Adresse seiner Kollegen: „Wir alle wissen, was für den einzelnen von seinem Votum abhängt: Westreisen und Stipendien, Auflagen und Aufführungen, Verfilmungen und Preise aller Art. Ich werde es keinem übelnehmen, wenn er, in Erwägung solcher Vorteile, für meinen und der anderen Kollegen Ausschluß stimmt.“

Die Situation ist heute ähnlich. Es geht um die Plazierung in der Presse und in den Kulturmagazinen der öffentlich-rechtlichen Medien, um Einladungen in Talkshows, um die Gelegenheit, das neue Album vorzustellen und die nächste Tournee anzukündigen. Es geht um die Einladung ins Goethe-Institut nach Schanghai und um Stipendien für die Villa Massimo in Rom und die Villa Aurora in Kalifornien.

Ein besonderes Kapitel bildet die staatliche und öffentlich-rechtliche Filmfinanzierung. Fast jede „Tatort“-Folge ist ein Kampfplatz gegen Rechts. Jedenfalls wird man die politischen Äußerungen von Künstlern immer im Kontext des Abhängigkeitsgeflechts sehen müssen, in dem sie sich befinden. Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff, 2013 als Büchnerpreisträgerin hochgerühmt, geriet 2014 nach ihrer Kritik an der Reproduktionsmedizin so stark unter Druck, daß sie sich zur öffentlichen Selbstkritik genötigt sah, um ihre Position im Kulturbetrieb zu retten.

Es wäre pharisäerhaft und lebensfremd, solche Anpassungsleistungen zum Zweck des gesellschaftlichen und sozialen Selbsterhalts zu verdammen. Etwas anderes ist es, wenn man mit voller Berechnung als Künstler seine öffentliche Wirkung aus der Propagierung der Regierungspolitik und der Diffamierung ihrer Gegner bezieht. Es ist erschreckend, wie die rüpelhaft-moralisierende Redeweise von Rocksängern bruchlos mit der Regierungspolitik korrespondiert. Es ist zugleich folgerichtig. Die Bundesrepublik, die 2015 im Zuge der Flüchtlingskrise – in den Worten des britischen Historikers Anthony Glees – eine Regression zum „Hippiestaat“ vollzog, hat in der Gestalt eines spätpubertären Alt-Rockers den passenden Repräsentanten gefunden. Das Bundesverdienstkreuz steht Campino auf jeden Fall zu.