© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/18 / 18. Mai 2018

Aber sicher doch
Kriminalität: Innenminister erfreut über weniger Delikte / Details besorgniserregend
Christian Vollradt

Horst Seehofer ist zufrieden. Aber Entwarnung will er nicht geben: „Deutschland ist sicherer geworden“, sagte der Bundesinnenminister vergangene Woche bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik für das Jahr 2017. Vor allem den Rückgang des Einbruchsdiebstahls um 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum hob er positiv hervor. Auch bei Gewalttaten verzeichnet die Statistik einen leichten Rückgang (minus 2,4 Prozent). Sie war 2015 und 2016 zunächst angestiegen.

Seehofers Amtskollege aus Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht (CDU), Vorsitzender der Innenministerkonferenz, äußerte sich ebenso zufrieden über den Rückgang der Straftaten. „Wir leben in einem sicheren Land“, meinte er. Die politisch motivierte Kriminalität (PMK) ist 2017 im Vergleich zum Vorjahr um knapp fünf Prozent gesunken (39.505 Fälle). Rund die Hälfte davon entfallen auf den Deliktsbereich „PMK rechts“, wobei die häufigsten verwirklichten Straftaten (33,9 Prozent) sogenannte Propagandadelikte sind (zum Beispiel das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen). Bei den rechtsextremistisch motivierten Straftaten verzeichnet die Statistik 2017 ein Minus von 13,4 Prozent, bei den linksextremistischen ein Plus von 22,2 Prozent. Die religiös motivierten extremistischen Straftaten stiegen im Vorjahresvergleich um 43,7 Prozent.

Gestiegen sind auch die links-politisch motivierten Gewalttaten (1.967 Fälle, plus 15,6 Prozent) sowie die religiös-ideologischen (islamistischen) Gewalttaten (92 Fälle, plus 95,7 Prozent). Die Zahl der politisch-motivierten Gewalttaten von rechts sank dagegen (1.130 Fälle, minus 33,5 Prozent).Hauptgrund für die gestiegenen Fallzahlen bei links motivierter Gewalt sind vor allem die Ausschreitungen anläßlich des G20-Gipfels in Hamburg. Seehofer nannte es in diesem Zusammenhang besonders verwerflich, daß Linksextremisten anschließend Fotos von Polizisten im Netz veröffentlicht hatten. „Es ist schäbig, daß sich die politische Linke davon nicht distanziert hat“, kritisierte der Innenminister. Doch wie steht es mit dem von ihm postulierten entschlossenen Kampf gegen Linksextremismus, wenn der Koalitionspartner SPD nicht mitzieht und bundesweit linke Zentren zumindest geduldet werden (siehe Seite 5)? Da seien vor allem die Länder in der Verantwortung, meint der Bundesinnenminister. Und fügt lächelnd hinzu: „Politik bedeutet immer das Bohren dicker Bretter.“ In der Pflicht beim Vorgehen gegen solche Einrichtungen sei auch die Justiz, wirft Holger Stahlknecht ein. Denn die Polizei braucht dazu richterliche Beschlüsse. „Wenn die vorliegen, dann wird da reinmarschiert“, ist der Magdeburger sicher.

„Wir hatten temporären Kontrollverlust“

Besorgt zeigte sich Seehofer über die jüngst zutage getretene Zunahme antisemitischer Straftaten (1.504 Fälle, plus 2,5 Prozent). Jeder dieser Fälle sei einer zuviel, betonte der Minister, hier verfolge er eine Null-Toleranz-Linie. Er nannte es in diesem Zusammenhang eine gute Entscheidung, daß nun seinem Ressort die Stelle eines Antisemitismus-Beauftragten zugeordnet wurde. Auch 129 christenfeindliche Straftaten haben die Statistiker in ihrem Bericht für 2017 erfaßt.

Rund 600.000 der insgesamt knapp zwei Millionen Tatverdächtigen (bereinigt um ausländerrechtliche Verstöße) hatten 2017 keine deutsche Staatsangehörigkeit. 167.268 von ihnen werden unter dem Begriff „Zuwanderer“ (Asylbewerber, Geduldete, Bürgerkriegsflüchtlinge u.ä.) verbucht. Damit machen Nichtdeutsche rund ein Drittel aller Tatverdächtigen aus. Besonders hoch ist der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger bei den Delikten Taschendiebstahl (74,4 Prozent), Mord und Totschlag (47,9 Prozent), beim Erschleichen von Leistungen (45,2), bei Einbrüchen (41,3), Raub (40,3), schwerer Körperverletzung (37,8) sowie Vergewaltigung/sexueller Nötigung (37 Prozent). Der Ausländeranteil in Deutschland beträgt insgesamt 10,9 Prozent.

Auf die Frage, ob es in Deutschland rechtsfreie Räume gebe, antwortete Seehofer mit einem klaren „Ja!“ Wobei er unter rechtsfrei verstehe, daß dort nicht das Notwendige getan werde, was möglich wäre, ergänzte er. Zudem wiederholte der Christsoziale, „daß wir in Deutschland einen temporären Kontrollverlust hatten“. Dies könne niemand bestreiten. „Mit unehrlichen Analysen überzeugen wir niemanden“, so Seehofer.

Die Sache mit der fehlenden Aussagekraft ihrer Statistik möchten Seehofer und Stahlknecht so nicht gelten lassen. Der Hinweis auf das sogenannte Dunkelfeld der nicht angezeigten, aber sehr wohl begangenen Straftaten sei ein „Totschlagargument ohne Relevanz“, so Stahlknecht. „Wir können Kriminalität nun mal nicht nach subjektiven Kriterien erfassen, das wäre nicht belastbar.“ Die Schere zwischen der echten und der gefühlten Bedrohung habe es immer schon gegeben. „Sie ist jetzt nur größer geworden“, argumentiert der Magdeburger Innenminister. Und Seehofer wird in seiner Ergänzung sogar persönlich: Er habe als Kind vor dem Schlafengehen immer erst unters Bett geschaut, daß da bloß niemand versteckt sei. Das habe auch mit einer gefühlten Bedrohung zu tun gehabt.