© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/18 / 11. Mai 2018

Perfekt organisiertes Abschlachten
Eine zweite „Wildereikrise“ dezimiert seit 2005 die Bestände an Elefanten und Nashörnern in Afrika
Dieter Menke

Die im ZDF ausgestrahlte US-Fernsehserie „Daktari“ war nicht nur ein Straßenfeger für deutsche Kinder, selbst der Achtundsechziger-Philosoph Theodor W. Adorno verliebte sich in seinen letzten Lebensmonaten in die Tierarztfamilie Tracy, die Schimpansin Judy, den schielenden Löwen Clarence und ihren erfolgreichen Kampf gegen Wilderer. Doch die Realität sah schon damals anders aus als auf dem Filmgelände in Kalifornien und Florida: In den siebziger und achtziger Jahren erlebten Ost- und Zentralafrika das erste große Elefanten-Massaker. Wilderer reduzierten den Bestand von 1,2 Millionen auf 300.000 Tiere.

Breitmaulnashorn wurde faktisch ausgerottet

Vergleichbar brutal schossen international vernetzte Wildererbanden den um 1970 noch recht passablen Bestand von 65.000 Spitzmaulnashörnern (Diceros bicornis) auf 2.500 Tiere (1990) herunter, während das nördliche Breitmaulnashorn (Cerathoterium simum) faktisch ausgerottet wurde: Im März starb mit 45 Jahren Sudan, der letzte männliche Vertreter seiner Art. Jetzt leben nur noch seine Tochter und seine Enkelin. Ob mit ihnen eine künstliche Reproduktion möglich sein wird, ist fraglich.

Die Tötungswelle verebbte erst, als sich 1989 die Vertragsstaaten des Wash­ingtoner Artenschutzübereinkommens (Cites) auf ein Handelsverbot für Elfenbein einigten. Naturschützer vermeldeten danach eine Erholung zunächst der Populationen des Afrikanischen Elefanten (Loxodonta africana) und des am meisten bedrängten Waldelefanten (Loxodonta cyclotis). Ebenso stabilisierten sich die Bestände des Spitzmaulnashorns. Heute gibt es mehr als 5.000 Tiere, 75 Prozent davon in Südafrika und Namibia, die übrigen in Kenia und Simbabwe. Beim südlichen Breitmaulnashorn gelang sogar eine spektakuläre Regeneration von weniger als 100 (1990) auf über 20.000 Tiere (2010), was als einer der größten Erfolge des internationalen und vor allem des südafrikanischen Naturschutzes gilt.

Doch parallel zum Wiederanstieg der Bestandszahlen entstand vor mehr als zehn Jahren eine zweite große „Wildereikrise“, deren Ursachen, Ausmaß und katastrophale Konsequenzen der Freiburger Wildtierökologe Marco Heurich und die Regensburger Studentin Lea Heurich in einem bedrückenden Bericht schildern (Natur und Landschaft, 3/18). Von 2007 bis 2016 fielen wieder zwischen 104.000 und 114.000 Elefanten Wilderern zum Opfer. Aktuell liegt die jährliche Tötungsrate bei sechs Prozent, das sind etwa 30.000 des vielleicht zu optimistisch eingeschätzten Höchstbestandes von knapp 600.000 Tieren.

Einer noch verheerenderen Schlächterei sind Afrikas Nashörner ausgesetzt. Wurden in Südafrika 2007 lediglich 13 der gepanzerten Riesen gewildert, waren es 2012 schon 633 und 2016 sogar 1.054. Hinzuzuzählen sind für 2016 die 288 gewilderten Nashörner in Simbabwe und Namibia. Gelinge es nicht, diesen Prozeß zu stoppen, sei diese urtümliche Art in zwanzig Jahren ausgestorben – mit unübersehbaren Konsequenzen für die biologische Vielfalt. Die großen Pflanzenfresser beeinflussen durch Ausscheiden von Dung, einer Ressource für Insekten und Pilze, Niedertrampeln der Vegetation und den die Baumartenzusammensetzung kreierenden Transport großer Mengen von Pflanzensamen über weite Entfernungen hinweg Struktur und Dynamik ihres Ökosystems.

Weniger für die technisch optimal ausgestatteten Wilderer als für ihre überwiegend in Ostasien sitzenden Auftraggeber ist die Ausrottung der größten Landsäugetiere ein blendendes Geschäft. Ein Kilo Horn kostet im seit 1977 illegalen Handel derzeit 28.000 Dollar. Elfenbein ist für 20.000 Dollar zu haben. Wie Gold und Immobilien schätzt der neue Mittelstand Chinas Schnitzereien aus Elfenbein als Investition und prestigeträchtige Luxusartikel. Die Neureichen Vietnams haben das 95-Millionen-Land – noch vor China – zum Hauptabnehmer für Nashorn-Horn gemacht. Zu Pulver zerrieben, soll das Wundermittel gegen Fieber, Verbrennungen, Abszesse und Krebs helfen.

Elefanten-Herden verwüsten wichtige Agrarflächen

Mit öffentlichkeitswirksamen Aufklärungskampagnen die Nachfrage auszutrocknen ist das tauglichste, aber bis heute eben am wenigsten erfolgreiche Instrument, um die Wilderei zu stoppen. Zwangsläufig rückt daher für die Autoren das klassische Spektrum der in Afrika erprobten Schutzmaßnahmen ins Zentrum ihrer „Lösungsansätze“.

Vordringlich erscheint den beiden Heurichs eine Nachrüstung des Nationalpark-Managements. Ausgerechnet in diesen Vorzeigeprojekten des Umwelt- und Naturschutzes nahmen, infolge Wilderei, die Tierbestände zwischen 1970 und 2005 um durchschnittlich 59 Prozent ab. In keinem Staat reichen die finanziellen Mittel für mehr Wildhüter, deren Ausrüstung, modernere Überwachungstechnik, vergrößerte und vernetzte Nationalparks. Internationale Hilfe sei gefragt. Deutschland gab zur Bekämpfung der Wilderei bis 2014 stolze 240 Millionen Euro und förderte 2013 das grenzüberschreitende Kavaango-Zambezi Transfrontier Conservation Area-Projekt (Kaza) mit weiteren 35,5 Millionen.

Gerade in Kaza, einem 2006 etablierten Verbund von 17 Nationalparks in Angola, Sambia, Simbabwe, Botswana und Namibia, stößt ein auf den ersten Blick vielverspechender „Lösungsansatz“ der Heurichs aber gegen einen Berg von Widerständen, wie jetzt eine Feldstudie von Ökologen und Geographen der Universität von Colorado zeigt (American Scientist, 1-2/18). Die „Einbindung der lokalen Bevölkerung“, ihre durch Bildungsarbeit zu erhöhende Akzeptanz für Wildtiere sowie die zu fördernde Einsicht, daß Wilderei nachhaltige wirtschaftliche Perspektiven zerstört – all das, was in der Theorie einleuchtend klingt, funktioniert in der Kaza-Praxis bisher eher schlecht.

In Botswana etwa, mit 135.000 Tieren Afrikas Elefanten-Eldorado, habe man zwar die Wilderei so gut im Griff, daß die Populationen stabil geblieben sind und, infolge eines 2014 verhängten Moratoriums für die legale Jagd, sich vergrößern. Das Moratorium schmälert jedoch die Etats der in die Entscheidung darüber nicht einmal einbezogenen Kommunen, weil die Einnahmen aus dem Safari-Tourismus sinken.

Überdies bereiten stabile und wachsende Elefantenherden der Landbevölkerung zunehmend Nahrungssorgen. Denn die Herden verwüsten auf ihren saisonalen Wanderungen regelmäßig ausgedehnte Pflanzungen. Solche eskalierenden Mensch-Tier-Konflikte seien nur mit großzügigeren Ausgleichszahlungen zu entschärfen, begleitet von der Anlage breiter Wanderungskorridore, die notfalls durch Umsiedlungen frei zu machen wären. Trotzdem, selbst wenn die Anwohner materiell auf Wohlfahrtsstaatsniveau gehoben würden, habe Kaza nur eine Zukunft mit ihrer „aktiven Partizipation“, die ihnen ein selbstbestimmtes Zusammenleben mit Wildtieren durch demokratische Mitbestimmung gestattet.

Kavango-Zambezi Transfrontier Conservation Area (Kaza): www.kavangozambezi.org