© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/18 / 11. Mai 2018

Fast wäre Napoleon ein italienischer Jurist geworden
Vor 250 Jahren wurde Korsika französisch: Im folgenden Kampf gegen Frankreich führte Napoleons Vater eine Partisanenkompanie
Jan von Flocken

Voller Genugtuung berichtete General Noël de Jourda, Graf de Vaux, nach Paris: „Toute la Corse est soumise au Roy“ (Ganz Korsika ist dem König unterworfen). Kurz zuvor, am 9. Mai 1769, hatte Jourda in der Schlacht bei Ponte Novu ein korsisches Nationalheer vernichtend geschlagen. Gegen die 45 Bataillone Infanterie, drei Reiterregimenter und sechs Geschützbatterien des Feindes besaßen die Korsen keine Chance.

Die Mittelmeerinsel gehörte seit Ende des 13. Jahrhunderts zur norditalienischen Stadtrepublik Genua. Lange Zeit blieb das eine weithin ungetrübte Symbiose. Doch nach 1700 erfaßte eine Unabhängigkeitsbewegung Korsika mit Vehemenz. Zur ersten Empörung kam es 1729 wegen einer Steuerhöhung, und sechs Jahre später proklamierte eine Versammlung in der Zitadelle der Festung Corte die Unabhängigkeit Korsikas und verabschiedete eine demokratische Verfassung. Ein deutscher Abenteurer, Theodor Neuhoff aus Westfalen, wurde sogar 1737 zum König der souveränen Insel ausgerufen. Mit französischer Hilfe konnte man diesen Aufstand niederschlagen und den kurzzeitigen König vertreiben.

Ein Jahr nach der Annexion wurde Napoleon geboren

An die Spitze der Separatisten stellte sich danach der Offizier Pasquale Paoli. Mit einer kleinen Guerilla-Armee vertrieb er die Genuesen aus dem Landesinneren und schloß sie in ihren Hafenstädten ein. Die Zustände in Korsika veranlaßten Frankreichs Außenminister Étienne-François de Choiseul, sich über die Lage im Mittelmeer Sorgen zu machen, zumal hier die britische Vorherrschaft kaum noch zu verhindern schien. Korsika war eine strategisch wichtige Region, deren Lage zudem besonders instabil schien.

Choiseul zwang die kurz vor dem Staatsbankrott stehende Republik Genua zu einem Abkommen. Als Sicherheit für ihren Schuldenberg, der auf fast zwei Millionen genuesische Lire angewachsen war, sollte die Republik sämtliche Rechte auf Korsika zunächst für zehn Jahre an Frankreich abtreten. Dieser „Vertrag von Versailles“, abgeschlossen am 15. Mai 1768, war nichts weiter als ein kaschierter Verkauf, denn das bankrotte Genua würde niemals in der Lage sein, die Schuld an Paris zurückzuzahlen. Schon Ende 1768 trafen erste französische Truppen auf Korsika ein.

Ein Teil der Insulaner sprach sich für die Unterwerfung aus, aber Pasquale Paoli setzte weiter auf bewaffneten Widerstand. „Guerra! La Libertà o la morte!“ (Krieg! Freiheit oder Tod!) lautete seine Devise. Unterstützt wurde er dabei von seinem Sekretär Carlo Maria Buonaparte. Der junge Jurist zählte zum korsischen Kleinadel; seine Familie (auf deutsch „guter Teil“) stammte aus der Stadt Sarzana im norditalienischen Ligurien und war Ende des 15. Jahrhunderts auf die Insel ausgewandert. Als Hauptmann einer Partisanenkompanie kämpfte Buonaparte in den Bergen Korsikas und konnte beim Angriff auf das Städtchen Borgo sogar fast 500 Gefangene machen. Begleitet wurde er bei allen Streifzügen von seiner schwangeren Frau und ihrem ersten Sohn Giuseppe, dem späteren König Joseph von Spanien. 1764 hatte Buonaparte die kaum 14jährige Generalstochter Letizia Ramolino aus Ajaccio geheiratet.

Nachdem die Aufständischen einen kurzzeitigen Waffenstillstand ausgehandelt hatten, ging der Kampf im Frühjahr 1769 weiter. Da die erhoffte Hilfe von Großbritannien ausblieb, waren die Franzosen binnen weniger Wochen Herren der Insel. Mitte Juni schiffte sich Paoli mit 400 Anhängern auf einer britischen Fregatte nach Livorno ein. Am 15. September 1770 wurde eine Generalversammlung der Korsen einberufen; die Abgeordneten schworen König Ludwig XV. Treue. Auch Carlo Buonaparte gehörte zu ihnen. Nach der Geburt seines Sohnes Napoleone am 15. August 1769 war er ein friedlicher Untertan geworden. 1771 erlangte er die Anerkennung als französischer Adliger und nannte sich hinfort Charles-Marie de Bonaparte. Ein Jahr später bekam er einen Sitz im Rat der Edlen, dem Ständeparlament Korsikas.

Ausnahmsweise darf der Historiker hier seiner Phantasie die Zügel freigeben. Wäre Korsika weiter bei Italien geblieben, so hätte Carlo Buonaparte seinen Sprößling Napoleone mit Sicherheit nicht 1779 auf die französische Militärschule von Brienne schicken dürfen. Ergo wäre der spätere Herrscher Europas womöglich nicht Soldat, sondern wie sein Vater Jurist geworden. Die Weltgeschichte hätte einen ruhigeren Verlauf genommen. Doch Napoleon kam nach Brienne, wurde dort von vielen Mitschülern wegen seines italienischen Akzents verspottet und entwickelte deshalb – so die Weisheit mancher Psychologen – schon früh Einzelgängertum gepaart mit Allmachtphantasien.