© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/18 / 11. Mai 2018

Die APO ist jetzt rechts
Klimawandel auf der Straße: Mit Rückenwind der Migrationskrise sind neue Protestbewegungen entstanden – darunter die „Identitären“
Kurt Zach

Wer ist die „APO von rechts“, die seit einigen Jahren die grün-linke Diskurshegemonie der „Achtundsechziger“ und ihrer Erben mit Protestformen herausfordert, die diese für sich gepachtet zu haben glaubten? Als Avantgarde fungiert die Identitäre Bewegung, die sich 2012, inspiriert von der blockadebrechenden Debatte um das Sarrazin-Buch „Deutschland schafft sich ab“, zunächst in Wien und wenig später auch in Deutschland formierte. Das Vorbild kommt aus Frankreich, wo schon 2003 der „Bloc Identitaire“ gegründet wurde.

Geringe Mitgliederzahl,    beachtliche Wirkung

Die 2014 als Verein angemeldete Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) existierte längere Zeit vor allem im virtuellen Raum der Neuen Medien.  Dann aber brachten Grenzöffnung und Migrationskrise ihrem Thema – der Bewahrung der nationalen Identität gegenüber Masseneinwanderung und Islamisierung – erhöhte Aufmerksamkeit und der Bewegung stärkeren Zulauf. Nicht die „Flüchtlinge“ seien der Gegner, sondern die Achtundsechziger, deren Politk das Eigene der multikulturellen Utopie opfere, heißt die explizite Feinderklärung.

Die Mitgliederzahl ist mit geschätzten 500 Personen bundesweit überschaubar, die mediale Wirkung um so beachtlicher. Seit 2015 hat die IBD mit einer Reihe spektakulärer Aktionen im „Greenpeace“- und Sponti-Stil auf sich aufmerksam gemacht: eine Besetzung des Brandenburger Tores mit Entrollen eines Transparents, das „sichere Grenzen“ fordert, das Entern der Grünen-Zentrale mit Spruchbändern und ein 68er-haftes „Sit-in“ vor dem Bundesjustizministerium, Kundgebungen an symbolischen Tagen und Orten, Störaktionen bei Auftritten prominenter Linker. 

Internationales Aufsehen erregte im Sommer 2017 der Einsatz des aus Spenden finanzierten „Defend Europe“-Schiffs „C-Star“ vor der libyschen Küste, um das humanitäre Schlepperunwesen von Nichtregierungsorganisationen zu beobachten und anzuprangern.

Der Stil der Identitären spricht zu Protest aufgelegte junge Leute an, die „etwas bewegen“ wollen, um so mehr, als die Aktionen professionell dokumentiert und über die sozialen Netzwerke medial vermarktet werden.

Freilich zieht die „Bewegung“ nicht nur vordem unpolitische Aktivisten an, sondern auch Leute, die mit einschlägigen Codes zumindest kokettieren. Das macht es dem medialen und politischen Establishment einfacher, die IBD insgesamt als „rechtsextrem“ zu diffamieren – ein Verdikt, das aus ihren gewaltfreien, von linken Protestformen inspirierten Aktionen weit weniger plausibel abzuleiten wäre. 

Nicht immer sind die Grenzen zwischen augenzwinkernder Unterwanderung und ehrlicher Abkehr von früheren Verirrungen so eindeutig, wie es das Schlagwort von der „zweiten Chance“, die jedem zustehe, suggeriert. Daß Linken eine solche großzügiger zugestanden wird als Rechten, führt auch nicht weiter. Die Unbekümmertheit um solche Stigmatisierungen verströmt gleichzeitig die Aura der Unbedingtheit und wirkt als limitierender Faktor.

Martin Sellner, dem eloquenten Frontmann der österreichischen wie der deutschen Identitären (siehe Seite 3), nimmt man ab, mit rückwärtsgewandten Ideologien nichts mehr am Hut zu haben. Mit Ablegern der „Génération Identitaire“ in anderen europäischen Ländern ist Sellner, der mit der US-Aktivistin Brittany Pettibone liiert ist, gut vernetzt. Zuletzt verweigerte die britische Regierung ihm die Einreise zu Redeauftritten und hielt ihn am Flughafen fest; seine Bekanntheit hat das nur gesteigert.

Im Umfeld dieser Avantgarde entwickeln sich Ansätze einer „identitären“ Gegenkultur, die Künstler, Videoblogger, Chansonniers wie das „Varieté Identitaire“ oder Rap-Musiker umfaßt. Ein Kristallisationspunkt ist das vor einem Jahr bezogene Haus der Identitären Bewegung in Halle (siehe Bericht unten), nahe dem geisteswissenschaftlichen Campus der Universität der Saalestadt gelegen.

Nahezu pausenlos wurde das Identitären-Haus in den vergangenen Monaten von „Antifa“-Linksextremisten und „Anwohnern“ angegriffen. Der Furor steht in Kontrast zur realen Dimension des Projekts: eine einzelne Begegnungsstätte in einer mitteldeutschen Regionalstadt, während in ganz Deutschland praktisch in jeder Stadt von einiger Relevanz linksradikale, linksextremistische oder „autonome“ Zentren als Anlaufstellen für Militante bestehen, nicht selten indirekt oder direkt mit öffentlichen Geldern gefördert und von den Behörden begünstigt.

Entstanden ist das Projekt um die örtliche Identitären-Gruppe „Kontrakultur Halle“; ihr führender Kopf ist der Autor und Politikwissenschaftler Mario Müller. Einige hätten schon eine rechte, „nationalistische“ Vergangenheit, erklärte Müller; in einem Prozeß der „Selbstreflexion“ habe man diese hinter sich gelassen und zur Identitären Bewegung gefunden.

Vom Hallenser Hausprojekt nicht zu trennen ist der Verein „Ein Prozent“, der sich selbst als „Bürgerinitiative“ versteht und die Vernetzung offensiv vorantreibt. Im Frühjahr 2016 gegründet, steht „Ein Prozent“ unter maßgeblichem Einfluß des Schnellrodaer Verlegers Götz Kubitschek und des schillernden Ex-Kommunisten und Compact-Chefredakteurs Jürgen Elsässer (JF 48/14).

Der Burschenschafter und „Ein Prozent“-Chef Philip Stein ist ebenso dem Umfeld Kubitscheks zuzurechnen wie Martin Sellner. Kubitscheks Antaios-Verlag und das von ihm mitgegründete Institut für Staatspolitik dürfen als Motor der in Identitärer Bewegung und „Ein Prozent“ ausgeprägten Ansätze einer „APO von rechts“ gelten; die von Kubitschek schon früher initiierte „Konservativ-Subversive Aktion“ lieferte gewissermaßen die Blaupause der identitären Sponti-Aktionen.

Die außerparlamentarischen Oppositionsbestrebungen, die Deutschland derzeit in Gärung versetzen, gehen freilich weit über die bislang beschriebenen Initiativen hinaus. Die in Dresden entstandene Pegida-Bewegung ist nach wie vor vital; das Kunstprojekt „Trojanisches Pferd“ hat zuletzt gezeigt, daß das kreative Potential des Dresdener bürgerschaftlichen Protests noch lange nicht erschöpft ist. 

Im AfD-„Flügel“ genießen Identitäre große Sympatie

Übergriffe von „Flüchtlingen“ haben in zahlreichen Städten Protestbewegungen ausgelöst – bekannteste Beispiele sind die Demonstrationen im rheinland-pfälzischen Kandel und im brandenburgischen Cottbus und die „Merkel muß weg“-Demonstrationen in Hamburg. Gegen importierte sexuelle Gewalt richtet sich nicht nur die identitäre Initiative „#120db“, die ihr Kürzel von der üblichen Lautstärke eines Taschenalarms bezieht, sondern auch der „Frauenmarsch“ der aus Kurdistan stammenden Aktivistin und AfD-Mitarbeiterin Leyla Bilge.

Zwischen den unterschiedlichen Initiativen gibt es zahlreiche Querverbindungen. Mit der AfD hat sich zudem eine parlamentarische Alternative zum politischen Establishment formiert, die mittlerweile im Bundestag und fast allen Landesparlamenten vertreten ist. Vor allem auf dem national ausgerichteten „Flügel“ der AfD genießen Identitäre und „Ein Prozent“ hohe Sympathie; der sachsen-anhaltinische Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider unterhält im Hallenser Identitären-Haus ein Bürgerbüro.

Für die AfD sind diese Kontakte angesichts der nonchalanten und uneindeutigen Haltung von Identitären und „Ein Prozent“ zu Unterstützern aus dem rechtsextremen Spektrum zweischneidig. Seit August 2016 wird die IBD vom Verfassungsschutz beobachtet; zu enge Verflechtungen könnten auch die Partei selbst ins Visier bringen und ihren Aufstieg zur für breitere Schichten wählbaren neuen Volkspartei bremsen.

Bislang jedenfalls war die AfD gut beraten, auf Distanz zu schwer durchschaubaren Bewegungen zu bleiben.Schon deshalb, weil sie als Parlamentspartei einen ganz anderen Ansatz verfolgen muß als eine „APO von rechts“.