© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/18 / 11. Mai 2018

„Wirklich heftig geworden“
Fall Ellwangen I: Wie sich Erstaufnahmeeinrichtungen auf das Sicherheitsgefühl in den Kommunen auswirken
Hinrich Rohbohm

Die junge Bedienung hinter dem Tresen schüttelt den Kopf. „Nein, nein, das ist alles in den Medien etwas aufgebauscht worden. Ich fühle mich in Sigmaringen immer noch recht sicher“, erklärt die Frau der JUNGEN FREIHEIT. In der südwürttembergischen Stadt an der Donau gibt es eine Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge. Knapp 400 Bewohner sind in ihr derzeit untergebracht. Offiziellen Angaben zufolge habe es hier vergleichbare Auswüchse wie in jener Einrichtung in Ellwangen bisher nicht gegeben. 

Dort hatten 150 Afrikaner die Polizei gewaltsam daran gehindert, einen 23 Jahre alten Asylbewerber aus Togo aus der Erstaufnahme-Unterkunft abzuführen. Die Beamten hatten sich nach Drohungen der Afrikaner zurückziehen müssen. Drei Tage später stürmten sie mit einem Großaufgebot die Aufnahmestelle, nahmen den Togolesen und andere Bewohner fest. 

„Nicht den Asylbewerbern in die Schuhe schieben“

Ein Einzelfall? Oder könnten derartige Zustände gar zur Regel werden? Wir hören uns in Sigmaringen um. Ein Ort, der in der jüngsten Vergangenheit ebenfalls mit Asylbewerbern in die Negativschlagzeilen geraten war. Schon während der Anfahrt mit der Bahn zeigt sich eine auffällig hohe Präsenz von Migrantenan den einzelnen Stationen. In Balingen. In Albstadt. In Storzingen.  

Dagegen wirkt der Bahnhof von Sigmaringen zunächst wie verlassen. Ein verträumtes Städtchen mit 17.000 Einwohnern. „Ich gehe selbst abends allein hier durch die Gegend und hatte noch nie Probleme“, meint die Bedienung im Bahnhofsbistro. „Ja, einige Afrikaner dealen hier. Aber jetzt patrouilliert ja ständig Polizei in der Umgebung.“ 

Nie Probleme, aber die Polizei kontrolliert ständig die Gegend? Das scheint nicht zusammenzupassen. Wir sprechen mit weiteren Sigmaringer Bürgern. Und die berichten etwas vollkommen anderes. „Es ist hier in der letzten Zeit wirklich heftig geworden“, erzählt Svenja W. Die 21jährige ist mehrfach „von Schwarzen angequatscht“ worden. „Sie machten mir erst Komplimente und wollten sich mit mir verabreden. Als ich weiterging, kamen sie hinter mir her. Die haben mich regelrecht verfolgt.“ Einmal sei sie auch „begrapscht“ worden. „Aber richtig gewalttätig ist bei mir Gott sei Dank noch keiner geworden.“ 

Doch erst wenige Tage zuvor hat es im Ort eine Vergewaltigung gegeben. 21 aus der Asylunterkunft stammende Mehrfachtäter wurden bereits verhaftet. Einer Polizeistatistik zufolge sind fast 60 Prozent der Straftaten in der Stadt von Asylbewerbern begangen worden. 

 „Besonders vor dem Discounter beim Bahnhof und im Prinzenpark hängen viele Afrikaner ab“, schildert uns Simone B. Die 19jährige bestätigt ebenfalls zunehmende Fälle von Belästigungen und sexuellen Anspielungen. „Ich wurde schon öfter von denen angemacht. Nachts gehe ich an diesen Plätzen nicht mehr vorbei. Vor ein paar Jahren war das noch überhaupt kein Problem.“ 

„Viele von denen sind besonders zum Abend hin alkoholisiert und offenbar auch unter Drogen. Dann wird es auch entsprechend laut und Passanten werden belästigt“, ergänzt ihre 20 Jahre alte Freundin. „Mich hatte eine Gruppe mal bis nach Hause verfolgt. Sie hatten mir hinterhergerufen und gepfiffen, sagten, sie wollen mich heiraten.“ Vor allem am Bahnhof habe es immer wieder Zwischenfälle gegeben, deshalb sei da nun auch ständig Polizei. Und beim Supermarkt sei so viel geklaut worden, daß nun Mitarbeiter eines Sicherheitsunternehmens vor dem Laden stünden.

Besonders der gegenüber dem Bahnhof gelegene Prinzenpark diene zahlreichen Afrikanern als Treffpunkt. Vor dessen Eingang ist ein vielsagendes, recht neu aussehendes Schild aufgestellt: „Lärm ist zu vermeiden. Zelten, Lagern und offenes Feuer sind verboten“, ist darauf unter anderem vermerkt. 

Mehrere Einsatzfahrzeuge der Polizei fahren vorbei. Eines kommt gerade aus dem Park heraus. Wir gehen genau diesen Weg hinein. Stille. Vogelgezwitscher dringt aus den Bäumen. Der Duft von blühendem Flieder liegt in der Luft. Im Zwielicht des Abends erhebt sich hinter dem Park die Silhouette des Sigmaringer Schlosses. Ein verträumtes, romantisches Plätzchen. Doch niemand spaziert durch den Park. 

Plötzlich sind Stimmen zu vernehmen. Schreie. Gejohle. Männer, die sich auf englisch unterhalten. Der Fliederduft weicht stechendem Geruch von Marihuana. Hinter einer Biegung kommt eine Parkbank in Sicht. Vier Afrikaner sitzen dort. Zwischen ihnen eine Deutsche. Sie rauchen, haben Bierdosen in den Händen. Außer ihnen ist niemand hier. Wir kommen näher. Das Gejohle verstummt. Mißtrauische Blicke. 

„Viele haben doch einfach nur Vorurteile gegen Fremde“, sagt die Deutsche, während einer der Afrikaner seinen Arm um sie gelegt hat. „Wir sind dankbar, hier zu sein. Aber wir erwarten auch, daß wir mit Respekt behandelt werden. Daß die Polizei jemanden vor allen Leuten mit Handschellen abführt, war respektlos“, beginnt ein Afrikaner die Attacken der Asylbewerber von Ellwangen zu rechtfertigen. Die anderen nicken. Auch die Deutsche. 

Und die Ladendiebstähle in Sigmaringen? Die Belästigungen junger Frauen? Schweigen. Einer grinst. Zwei andere tuscheln leise Unverständliches miteinander. „Das kann man ja nun nicht alles pauschal den Asylbewerbern in die Schuhe schieben“, schaltet sich die Deutsche ein. „Wenn, dann sind das doch meist Dinge für das tägliche Leben wie Nahrungsmittel, Seife oder Klopapier, die entwendet werden“, meint sie. 

Das wollen wir genauer wissen. Wir legen uns auf der gegenüberliegenden Seite des Bahnhofs auf die Lauer. Dort befindet sich der Discount-Markt. In regelmäßigen Abständen kommen Afrikaner vorbei. Zumeist zu zweit oder zu dritt. Einer durchstöbert die Mülltonnen des Bahnhofs, sammelt Dosen und Flaschen, die er bei der Pfandabgabe des Ladens zu Geld macht. 

Dann nähert sich wieder eine Dreiergruppe. Kräftig gebaute Männer mit schwarzer Hautfarbe und zerzaustem Haar. Sie blicken sich um. Immer wieder. Keine Polizei in Sichtweite. Auch sonst ist fast niemand zu sehen. Außer dem Reporter. Finstere, musternde Blicke. Dann bewegt sich die Gruppe auf den Supermarkt zu. 

Die drei sind in dem Geschäft nicht die einzigen Afrikaner. Ein gutes Dutzend von ihnen durchstöbert die Regale. Doch es sind zumeist gerade nicht die Regale, in denen sich Seife oder Klopapier befindet. Vielmehr machen sie vor den Spirituosen halt, greifen an den Dosenbierpaletten zu. Ein weiterer Afrikaner bleibt ebenfalls vor dem Bier stehen. Unter seinen Arm hat er eine Packung Kaffee geklemmt. Er blickt sich um, zögert, blickt zur Kasse. Dort steht ein stämmiger Security-Mitarbeiter, die Regalreihen fest im Blick. Schließlich geht der Afrikaner. Ohne Alkohol. Er steuert die Kasse an, bezahlt den Kaffee. 

Gegenüber der jungen freiheit will sich der Sicherheitsbedienstete nicht äußern. „Mit den Ladendiebstählen ist es hier wie überall“, läßt er sich lediglich eine nichtssagende Pauschalantwort entlocken. Darf er nicht reden, fragen wir ihn. Ein gequältes Lächeln fährt über sein Gesicht. Eines, das die Frage beantwortet.