© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/18 / 11. Mai 2018

„Keine Humanität oberhalb der Verfassung“
Asylpolitik: Der Verfassungsrechtler und frühere Minister Rupert Scholz (CDU) liest der Bundesregierung die Leviten / Staat muß Kriminalität bekämpfen
Jörg Kürschner

Migration und Obergrenze. Anmerkungen zum deutschen Asylrecht“ hieß es eher arglos in der Einladung der Bibliothek des Konservatismus (BdK), wäre da nicht der hochkarätige Redner Rupert Scholz, der seit Jahrzehnten für pointierten Meinungsstreit in der Rechtspolitik steht. Und so wurden die rund 110 Gäste nicht enttäuscht, die von dem scharfsinnigen Verfassungsrechtler klare Aussagen zum innenpolitischen Thema Nummer eins erwarteten, dem Desaster deutscher Einwanderungspolitik. Die „Anmerkungen“ gerieten zu einem einstündigen Totalverriß der von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu verantwortenden Willkommenspolitik. Juristischer Sachverstand contra moralisierender Belehrungen. Scholz’ Diktum: „Es gibt keine Humanität oberhalb der Verfassung.“ 

„Hier sind Verfassungsbrüche passiert“, warf der frühere Bundesminister und langjährige Bundestagsabgeordnete der Regierung vor, die im September 2015 die Öffnung der Grenzen veranlaßt hatte. Mit katastrophalen Folgen. Etwa 1,5 Millionen Asylanten sind in Deutschland, viele untergetaucht. Noch heute kommen jeden Monat 15.000 Flüchtlinge ins Land. Auf den Schreibtischen der Verwaltungsrichter stapeln sich etwa 400.000 Klagen von Migranten, die trotz rechtskräftiger Gerichtsurteile nur selten abgeschoben werden. Der Staatsrechtler stellte in Frage, ob die Verwaltungsgerichtsbarkeit noch handlungsfähig sei. Eine Katastrophe, die im Bundestag nur von der AfD aufgegriffen werde, wie das langjährige CDU-Mitglied ernüchtert feststellte. Fraktionschef Alexander Gauland hatte sich jüngst hinter die Forderung von Scholz gestellt, das Asylrecht zu ändern. 

Im Grundgesetz heißt es in Artikel 16a: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Angesichts des massenhaften Mißbrauchs dieses Rechts hat der frühere Rechtspolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Formulierung vorgeschlagen: „Politisch Verfolgten wird nach Maßgabe der Gesetze Asyl gewährt.“ So könnte der Bundestag beschließen, daß schwere Gewalttaten automatisch zu einer Verwirkung des Asylrechts mit der Folge der Ausweisung führen. Doch die Chancen, daß der Gesetzgeber dieses subjektive Recht umwandelt in eine institutionelle Garantie sind gering. Selbst bei einer schwarzgelben Koalition, wie der einstige Generalbundesanwalt Alexander von Stahl (FDP) während der lebhaften Diskussion einräumen mußte, der Justizsenator Scholz einst als Staatssekretär diente.

Juristisch scharf,  aber ohne Polemik

Neben Stahl gehörte auch der frühere Chefredakteur des Spiegel und der Tageszeitung Die Welt, Stefan Aust, zu den Gästen der BdK, die an diesem Abend eine kleine Premiere feiern konnte. Sechs Jahre nach ihrer Gründung lud die Denkfabrik erstmals zu einer Kooperationsveranstaltung mit einer von der CDU-Bundespartei anerkannten Untergliederung ein. Der Evangelische Arbeitskreis (EAK) hatte die Initiative ergriffen und der BdK Scholz als Redner vorgeschlagen. Die EAK-Vorsitzende von Charlottenburg-Wilmersdorf, Carola Napieralla, zeigte sich nach der Diskussion zufrieden, die Scholz mit juristischer Schärfe, aber ohne Polemik bestritt. 

Energisch widersprach der Grundgesetzkommentator Merkels Einlassung, 3.000 Kilometer deutsche Grenze könne man nicht schützen. „Ein Staat, der Kriminalität nicht wirksam bekämpft, gibt sich auf.“ Die Kanzlerin habe sich damit über die allgemein gültige Dreielementenlehre hinweggesetzt, wonach ein Staat aus Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt bestehe. Zweifel äußerte Scholz auch an der Integrationsbereitschaft der Muslime, die geprägt seien durch ein theokratisches Staatsverständnis. Ein „unendlich schweres“ Vorhaben gerade aufgrund der Größenordnung von mehreren Millionen Muslimen in Deutschland. In diesem Zusammenhang appellierte der Redner an seine Zuhörer, Innenminister Horst Seehofer (CSU) die übliche Schonfrist von hundert Tagen einzuräumen. Zuvor war vom „Drehhofer“ die Rede, was Scholz eher unwillig zur Kenntnis nahm. Die von der Koalition beschlossene Obergrenze von etwa 200.000 Flüchtlingen, die jährlich aufgenommen werden sollen, sei jedenfalls rechtlich zulässig.