© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/18 / 04. Mai 2018

Deppentum
Proteste gegen Literaturpreis für Henryk M. Broder
Dirk Glaser

Für die DDR-Germanistik zählte das Werk des Homer-Übersetzers Johann Heinrich Voß (1751–1826) zu Recht zum humanistischen Erbe, das angetreten zu haben der SED-Staat zu Unrecht für sich reklamierte. Um den „Kampfesmut des Aufklärers gegen die Feinde der Geistesfreiheit“ zu rühmen, berief man sich gern auf die Autorität Goethes, der ihn schätzte als Streiter „gegen Vernunft verfinsternde, den Verstand beschränkende Satzungen, gegen Hierarchen, Pfaffengezücht und gegen ihren Urahn, den leibhaftigen Teufel“.

Einen solchen Mann zum Namenspatron eines Preises zu wählen ist keine schlechte Idee. Das fanden auch die Stadtväter von Otterndorf an der Niederelbe, als sie im Jahr 2000 beschlossen, an Voß zu erinnern, der von 1778 bis 1782 die örtliche Lateinschule geleitet hatte. Und sich zugleich mit einem Johann-Heinrich-Voß-Preis für Literatur in die Tradition der Aufklärung zu stellen. Seitdem ist der mit 10.000 Euro dotierte Preis alle drei Jahre verliehen worden. Zuletzt 2015 an Wolfgang Schäuble, den Goethe wegen seiner Mitverantwortung für die Masseneinwanderung und wegen seiner sie rechtfertigenden fatalistischen Phrasen („unaufhaltsamer Gang der Geschichte“) sicher den vernunftfeindlichen „Hierarchen“ zugeordnet hätte.

Das zu ehrende Engagement für „Humanismus, Aufklärung, Menschlichkeit und Freiheit“ wird jedenfalls vom diesjährigen Preisträger, dem Publizisten und Buchautor Henryk M. Broder (71), überzeugender verkörpert. Was als Avantgarde des Deppentums die Otterndorfer SPD und Cuxhavener Grüne anders sehen. Sie protestieren gegen den Voß-Preis für Broder, einen der Erstunterzeichner der „Erklärung 2018“ (JF 16/18), weil seine Kritik an der Masseneinwanderung – und nicht etwa der Millionenzustrom selbst – die Gesellschaft spalte.