© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/18 / 04. Mai 2018

„Frieden war nie der Normalzustand“
Bibliothek des Konservatismus: Zu einem Vortrag über den Verlust des Willens zur Selbstbehauptung
Fabian Schmidt-Ahmad

Der Westen ist zum Siegen unfähig geworden. Trotz militärischer und ökonomischer Überlegenheit gelang es diesem – mit Ausnahme Israels – seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr, einen Konflikt gewaltsam für sich zu entscheiden. Das ist die grundlegende These des gemeinsamen Buches „Siegen. Oder vom Verlust der Selbstbehauptung“ von Parviz Amoghli und Alexander Meschnig, das sie am Mittwoch voriger Woche den über hundert Zuhörern in der Berliner Bibliothek des Konservatismus vorstellten. 

Über einen Zeitraum von Jahrtausenden machen die Autoren ähnliche Abläufe nach dem siegreichen Ende kriegerischer Auseinandersetzungen aus. Zum einen feiert sich der Sieger, verherrlicht das Opfer der eigenen Gefallenen, zum anderen erniedrigt er den Feind, zeigt ihm dessen nun angebrochene Ohnmacht auf. Dabei sprechen Amoghli und Meschnig vom fortschreitenden Prozeß einer dreifachen Inbesitznahme: der des Schlachtfeldes, des Territoriums und des Geistes. 

Das Eigentümliche der neueren Zeit ist nun, daß diese Vorstellungen von Sieg und Niederlage in der westlichen Welt verschwinden. Alleine der Begriff des Sieges wird durch den des Gewinns verdrängt. Sieg und Niederlage bedeuten aber eine Zäsur in der Beziehung von Akteuren, die auch Chancen für einen Neuanfang bieten, den Frieden. Ohne diese Zäsur ist jedoch kein konkretes Ende faßbar. Die Autoren erläuterten dies am „Krieg gegen den Terror“, der weder Territorium, Grenze noch Ziel kennt, was früher wesentlich war.

Diese Entgrenzung des Krieges aus Zeit und Raum, die als Ergebnis eine Militarisierung der Außenpolitik zeitigt, wird paradoxerweise im Innern von einer moralischen Haltung konterkariert, die militärisches Handeln eigentlich unmöglich macht. Der Feind hat Anspruch auf unser Mitgefühl. Er braucht keine Waffen mehr, sein Elend ist Waffe genug. „Wir (…) finden praktisch keine Begründung mehr dafür, warum jemand irgend etwas nicht bekommen soll, was er einfordert“, tragen die Autoren aus ihrem Buch vor.

Rasch wurde deutlich, daß diese Unfähigkeit auf ein tiefer liegendes, geistiges Unvermögen hindeutet. Das Unvermögen, oder vielmehr den Unwillen, ein eigenes, kollektives Selbst zu bestimmen, zu bewahren und zu verteidigen, notfalls mit dem eigenen Leben. Die früher selbstverständlichen Kategorien von Sieg und Niederlage, Freund und Feind, eigenes und fremdes Territorium werden vor diesem Hintergrund einer postheroischen Gesellschaft zu absurd klingenden Vokabeln. Eine solche Gesellschaft kennt auch keine Grenze mehr. 

Masseneinwanderung und die nichtvorhandene Politik der Bundeskanzlerin erscheinen damit als konsequente Folge der kollektiven Selbstvergessenheit. „Der letzte Feind“, so die Autoren, „sind die Menschen, die sagen, daß es so etwas wie einen Feind gibt.“ Nebenbei erklären sie die Abneigung, die Israel seitens eines bestimmten, sich fortschrittlich wähnenden Milieus entgegenschlägt. Denn Israel ist ein Nationalstaat mit Behauptungswillen, der sich seiner militärischen Potenz als Freiheitsgarant bewußt ist.

Damit ist Israel zwangsläufig die Gegenthese zu einer entgrenzten Welt, in der es nicht mehr Siege und Niederlagen von schicksalhaft verwobenen Kollektiven, sondern nur noch Gewinnende und Verlierende gibt. Doch so etwas leugnet der Westen. Eine mentale Krise, die im Moment der größten Schwäche mit dem Islam auf einen Gegner trifft, der alles das nicht kennt. Wie diese existentielle Auseinandersetzung, die aber von der einen Seite noch gar als eine solche gesehen wird, ausgeht, lassen die Autoren offen. 

Insbesondere dieser Frage wurde im Gespräch mit dem Publikum nachgegangen. Wie kann der Konflikt gelöst werden? Kann er überhaupt gelöst werden. „Der Frieden“, warnten die Autoren, sei nie „der Normalzustand“ gewesen. Allerdings, bei allem Pessimismus, den die Autoren hier oder dort durchblicken ließen, wiesen sie doch darauf hin, daß sich Geschichte manchmal sehr schnell ändern kann. „Wir sollten die Macht eines Verbündeten nicht unterschätzen. Und das ist die Realität.“

Parviz Amoghli, Alexander Meschnig: Siegen. Oder vom Verlust der Selbstbehauptung. Werkreihe Tumult, Manuscriptum, Berlin/ Lüdinghausen 2018, broschiert, 18,90 Euro