© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/18 / 04. Mai 2018

Pankraz,
M. Grütters und die Wirkung des Geldes

Von der belebenden Wirkung des Geldes“ heißt ein Gedicht des jungen Bert Brecht, und gleich am Anfang stehen dort die berühmten Verse „Niedrig gilt das Geld auf dieser Erden, / und doch ist sie, wenn es mangelt, kalt. / Und sie kann sehr gastlich werden /  Plötzlich durch des Gelds Gewalt …“ 

Daß es auch anders gehen kann, lehrt zur Zeit die Berliner Kulturpolitik. In einem Interview mit der Zeit beklagt die Kulturstaatsministerin Monika Grütters in bewegten Worten das anhaltende Chaos bei der Aufgabenfestlegung und Postenverteilung beim Aufbau des hauptstädtischen Humboldt-Forums. Alles werde dort künstlich „verkompliziert und verlangsamt“. Und dabei, fährt sie fort, habe ihr Ministerium doch so viel Geld für die Arbeit am Forum bereitgestellt, jährlich volle 130 Millionen Euro! Wie könne so etwas passieren?

Ja, wie kann so etwas  passieren? Zu lernen wäre allmählich, daß Geld allein nie ein verläßlicher Führer ist. Seine belebende Wirkung kann sich nur dann entfalten, wenn man es von vornherein in festgelegte Funktionsbahnen einweist und die zur Verfügung stehenden Summen genau nach dem Wertegrad der angepeilten Wirkungen bemißt. Im Falle des Humboldt-Forums wurde (und wird weiterhin) genau das Gegenteil getan. Für ein völlig diffuses, seine Absichten von Quartal zu Quartal änderndes Staatsunternehmen wurden ohne die geringsten Vorgaben Millionen satt bereitgestellt, Man wundert sich.


Es war doch absehbar: Ein solches Arrangement würde eine Menge Quatschköpfe und Phrasendrescher, also Verlangsamer und Verkomplizierer anziehen. Vielleicht hat es die Große Koalition selbst von vornherein darauf angelegt? Daß sie beim Geldausgeben beziehungsweise Geldnichtausgeben auch anders kann, hat sie ja in den letzten Jahren etwa bei der finanziellen Austrocknung des „Ostdeutschen Kulturrats“ und anderer bis dato staatlich unterstützter Institutionen zur Erinnerung an ostdeutsches Literatur- und Kulturleben auf deprimierendste Weise demonstriert. 

Alle diese Stiftungen oder gemeinnützigen Vereine, sei es das Kulturwerk Schlesien in Würzburg, sei es das einst von Bundespräsident Richard von Weizsäcker eingeweihte Pommernzentrum in Lübeck-Travemünde, waren abhängig von staatlichen Zuwendungen, die auch jahrelang ordentlich erbracht wurden – bis die Groko an die Macht kam. Ab da wurden die Zahlungen immer weiter reduziert und schließlich ganz eingestellt.

Der Ostdeutsche Kulturrat, dessen Präsident und leidenschaftlicher Förderer von 1982 bis 1998 Herbert Hupka (SPD) war, konnte sich dank privater Stifter noch bis 2016 halten, mußte die Zahl seiner Mitarbeiter aber auf ganze zwei reduzieren und wegen der hohen Miete seine privilegierte Adresse in der Bonner Kaiserstraße quittieren und sich in irgendeinen Hinterhof in Königswinter verkriechen. Wenn die beiden verbliebenen Mitarbeiter das Rentenalter  erreicht haben, wird der Ostdeutsche Kulturrat – so der Plan der Groko in Berlin – vom neugegründeten „Deutschen Kulturforum Östliches Europa“ geschluckt werden.

Auch die vom Kulturrat gegründete Zeitschrift Kulturpolitische Korrespondenz, welche achtzehn Jahre lang von dem trefflichen Journalisten Jörg Bilke geleitet wurde, ist inzwischen eingestellt, zum bitteren Leidwesen seiner treuen Leser. Die Korrespondenz war ein Blatt, das sich ganz bewußt aus jederlei Politik heraushielt, soweit das nur möglich war. Ihr „einziges“ Anliegen war die Erinnerung an die deutsche Literatur, Philosophie, Wissenschaft und Kunst, die jahrhundertelang in Schlesien, Ostpreußen, Ostbrandenburg, Böhmen geblüht hatten, ihre subtile Erforschung, Interpretation und Verbildlichung.


Nicht die kleinste Spur von Chauvinismus findet sich in den Spalten der Korrespondenz, wohl aber Freude angesichts all der großen kulturellen Gestalten, die einem da entgegentreten, von  Immanuel Kant bis Joseph von Eichendorff. Ein angestrengtes Bemühen durchweg erstklassiger Fachleute, neue Funde zu machen, Epochenstimmungen einzufangen, die Quellen ganzer Geistesströmungen freizulegen. Freilich war es aber wohl gerade dieser bewußt kulturbezogene Eifer, der es den staatlichen Berliner Geldgebern erleichtert hat, sich hier einmal als Geldverweigerer aufzuplustern. 

Zitat Jörg Bilke: „Die Tendenz, Ostdeutschland im Geschichtsloch verschwinden zu lassen, findet man zunehmend auch in der Kulturpolitik angesehener Verlage wie des Insel-Verlags in Frankfurt am Main, der 2007 ein umfangreiches Lexikon der deutschen Literatur auf den Markt brachte, das den Begriff ‘deutsche Literatur’ auf das Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland einengte (…) Bei Gerhart Hauptmann verfährt man so: Seine in Berlin-Erkner entstandenen Dramen wie ‘Der Biberpelz’ dürfen genannt werden, das in Schlesien entstandene Werk ‘Magnus Garbe’ aber nicht. Hier kann man nur noch den Kopf schütteln.“

Den Kopf schütteln inzwischen auch polnische, tschechische oder slowakische Germanisten über viele ihrer deutschen Kollegen, weil diese nicht einmal mehr in der Lage sind, von einer zusammenhängenden, historisch gewachsenen deutschen Literatur zu sprechen und es offenbar kaum noch erwarten können, daß endlich nicht nur Johann Gottfried Herder und

E. T. A. Hoffmann, sondern auch Siegfried Lenz oder Günter Grass als kaschubische Randerscheinungen der „europäischen Literatur“ vor sich  hinbrabbeln und deshalb eigentlich gar nicht richtig ernst genommen werden müssen. 

Pankraz fände eine solche Sichtweise – bei allen eventuellen Einwänden gegen Lenz oder Grass – ziemlich bedauerlich, ja geradezu katastrophal. Aber Frau Grütters und anderen Berliner Ministern käme sie zweifellos sehr zupaß. Sie könnten  dann weiter ungestört und in verstärktem Maße Millionen ihres Haushalts blindlings ins Chaos hineinwerfen und sich gleichzeitig darüber verwundern, daß dadurch alles nur verkompliziert und verlangsamt wird.