© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/18 / 04. Mai 2018

Nicht nur Friede und Freude
Korea: Den historischen Schritten folgen Debatten über die Wiedervereinigung
Marc Zoellner

Unmißverständlich waren die Forderungen, die die Demonstranten von Paju den anwesenden Medienvertretern präsentierten: „Kein Friedensabkommen, wie es bereits Vietnam zu Fall brachte“, skandierten vergangenes Wochenende Hunderte aufgebrachte Bürger im Imjingak-Park der südkoreanischen Grenzmetropole, die sich nur wenige Reiseminuten von der demilitarisierten Zone zu Nordkorea entfernt befindet. „Stoppt den nordkoreanischen Genozid!“ stand auf den Plakaten der zumeist älteren Frauen und Männer auf englisch zu lesen, und – als deutliche Botschaft an die Vereinigten Staaten: „Es ist Zeit, Nordkorea zu bombardieren! Nordkorea muß bedingungslos kapitulieren!“

Bewußt waren Ort und Zeitpunkt der Demonstration gewählt worden. Denn keine neun Kilometer entfernt hatten sich zur selben Zeit die Staatschefs der beiden Koreas zum historischen Händeschütteln in der Militärsiedlung von Panmunjeom getroffen. 

Mit Kim Jong-un überschritt dabei erstmals seit dem Waffenstillstand vom Juli 1953 ein nordkoreanischer Machthaber die Grenze nach Süden; mit Moon Jae-in folgte diesem Beispiel ebenso erstmalig ein südkoreanischer Präsident in Richtung Norden. Das Treffen selbst dauerte lediglich einen halben Vormittag. Die Vorplanung allerdings hatte beide Seiten Wochen an diplomatischer Schwerstarbeit gekostet.

Immerhin hatte gerade für Südkorea vieles auf dem Spiel gestanden: Nordkoreas Atomprogramm beispielsweise, welches der „Oberste Führer“, so Kims offizieller Titel, nicht nur einzustellen, sondern dessen Rückbau er auch unter die Obhut internationaler Kontrollinstanzen zu übergeben versprach. „Der Norden und der Süden bestätigen ihr gemeinsames Ziel, die koreanische Halbinsel durch die vollständige Denuklearisierung in eine atomwaffenfreie Zone umzuwandeln“, bestätigten beide Seiten in ihrer am Wochenende ausgehandelten „Erklärung von Panmunjeom über den Frieden, den Wohlstand und die Wiedervereinigung der Halbinsel Korea“.

Südkoreas Präsident will Kritik nicht gelten lassen

Seit Jahresbeginn herrscht politisches Tauwetter zwischen Pjöngjang und Seoul. Davon zeugt neben der gemeinsamen Anstrengung beider Nationen zu den Olympischen Winterspielen im Februar in Pyeongchang nun auch der am Freitag ausgehandelte, Dutzende ehemals strittige Punkte umfassende Friedensfahrplan: Tatsächlich hatte Nordkorea neben der ab August geplanten Zusammenführung getrennter Familien auch zugesagt, „sämtliche feindlichen Handlungen komplett zu stoppen“, wenn Südkorea im Gegenzug seine „Lautsprecherdurchsagen und Flugblattverteilungen in der Gegend der demilitarisierten Zone“ beendet. „Der Norden und der Süden“, ließen die Staatschefs verlauten, „vereinbaren, noch dieses Jahr, zum 65. Jahrestag des Waffenstillstands, den Krieg als beendet zu erklären“, sowie multilaterale Gespräche mit den Vereinigten Staaten und – eventuell, wie die Erklärung ausdrücklich offenläßt – auch China einzuberaumen.

Was Nordkorea dazu veranlaßt hat, nach mehreren provokativen Atomtests wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren, darüber wird derzeit vielfältig spekuliert. Die Behauptung eines bautechnischen Versagens, das zum Zusammenbruch von Teilen der Nukleartestanlagen Pjöngjangs geführt haben soll, wies Nordkoreas staatliche Nachrichtenagentur KCNA vergangene Woche mit der Begründung zurück, die entsprechenden Tunnel stünden sowieso bald für Besuche internationaler Inspektoren offen. Für die unzähligen Demonstranten, die dieser Tage nicht nur in Paju, sondern auch in Südkoreas Hauptstadt Seoul auf die Straße gehen, um im Flaggenmeer südkoreanischer, US-amerikanischer und israelischer Hoheitssymbole mit „Moon muß weg!“-Rufen den Rücktritt ihres Präsidenten einzufordern, scheinen die Motive Pjöngjangs weitaus simpler: „Nordkorea braucht nur wieder Geld“, erklärte einer der Protestler dem russischen Nachrichtensender Sputnik.

„Die Fragen, welche die Wiedervereinigungspläne aufwerfen, sind existentiell für Südkoreas Überleben als liberale Demokratie“, zeigt sich auch Joshua Stanton überzeugt. Der Washingtoner Völkerrechtler, der selbst mehrere Jahre als Soldat auf der Halbinsel stationiert war und seit 2004 auf freekorea.us über die politische Entwicklung beider Staaten bloggt, warnte am Wochenende erneut vor den gravierenden finanziellen Belastungen einer gemeinsamen koreanischen Wirtschaftszone – sowie einer möglichen Dominanz Nordkoreas bei künftigen Verhandlungen. „Eine neue Wirtschaftsgemeinschaft würde notwendigerweise gewaltige Steuererhöhungen und Süd-nach-Nord-Zuschüsse einschließen, sowie eine Ein-Land-zwei-Systeme-Föderation mit dem tyrannischsten Regierungssystem der Welt.“ Einem Regierungssystem, mahnt Stanton, das bereits in der Vergangenheit bewiesen habe, seine Zugeständnisse jederzeit willkürlich zu widerrufen, um sich damit bessere Verhandlungspositionen zu sichern.

Mit den massiven Protesten der Anhänger der konservativen Freiheitspartei gegen die Ausgleichspolitik mag sich Südkoreas Regierung unter dem linksliberalen Präsidenten Moon Jae-in inhaltlich nicht konfrontiert sehen. Seine Wählerklientel schwörte der 65jährige ein, auf die Unruhen mit Gegenprotesten zu reagieren: So wie in der zentralen Provinz Seongju, wo gut zweihundert Anwohner Ende April das Zugangstor einer Kaserne blockierten, um die Errichtung einer neuen Raketenabwehrstation zu verhindern. „Hier wird ein Friedensvertrag ausgehandelt“, erklärten die Protestler ihre Sitzblockade. „Eine nordkoreanische Nuklearbedrohung existiert nicht mehr als Ausrede für die Stationierung solcher Waffensysteme.“