© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/18 / 27. April 2018

Zwei Königinnen, eine Krone
Ein vielfach behindertes Meisterwerk: Donizettis „Maria Stuarda“ am Opernhaus Zürich
Sebastian Hennig

Wenige Jahre nach seiner „Anna Bolena“ komponiert Gaetano Donizetti 1834 für das Teatro San Carlo in Neapel mit „Maria Stuarda“ einen weiteren Tudor-Stoff. Abgesehen von den Vorgaben der Schillerschen Dichtung und der englischen Historie erfüllt sich die Dramatik dieses Werkes unmittelbar im Wettstreit zweier Belcanto-Soprane, zwischen denen der Tenor allenfalls vorsichtig zu vermitteln versuchen darf.

Weibliche Reizbarkeit steht nicht nur im Mittelpunkt der Handlung, sie dramatisierte und verunmöglichte die Uraufführung. Obwohl die Entstehung bereits von der Zensur begleitet war, erging nach der Kostümprobe ein Aufführungsverbot. Die anwesende Witwe des im Vorjahr verstorbenen Königs von Neapel zeigte sich von der Drastik erschüttert. Die Enthauptung der katholischen Königin von Schottland auf der Bühne ließ es der anwesenden Königin Christina schwarz vor Augen werden.

Aufführungen wurden von der Zensur verstümmelt

Donizettis Oper wird trotz allem pünktlich aufgeführt, aber nicht als „Maria Stuarda“, sondern als „Buondelmonte“. Statt Tudor und Stuart in London agieren die Ghibellinen und Guelfen in Florenz. Eine nachgeholte Uraufführung der „Maria Stuarda“ zum Jahreswechsel 1735 an der Mailänder Scala wäre durch Maria Malibran ein Erfolg geworden, hätte die große Sängerin nicht einen schlechten Tag gehabt. Weitere Aufführungen wurden dann wieder von Zensur verstümmelt. Der Austausch von Grobheiten zwischen edlen Frauen sollte auf der Bühne nicht stattfinden.

Wie das Schicksal der Königin von  Schottland stand auch Donizettis Tragedia lirica von Anfang an unter keinem guten Stern. Erst war sein Erfolgs-Librettist („L’elisir d’amore“, „Anna Bolena“ und „Lucrezia Borgia“), Felice Romani, nicht mehr zu bewegen, einen weiteren Operntext zu schreiben, und ein 18jähriger Jura-Student hatte nun aus Schillers Tragödie singbare Phrasen zu ziehen. (Als Polizeipräfekt von Neapel wird jener Giuseppe Bardari im Risorgimento später selbst eine historische Rolle spielen.)

Schließlich artete die Probenarbeit in Handgreiflichkeiten aus: Zwei Donnas fochten um den Primat der Handlung. Donizetti vernahm zufällig, wie die Sängerin der Maria, Giuseppina Ronzi de Begnis, sich beschwerte, er protegiere die Hure von del Serre, die Sängerin der Elisabetta. Prompt erwiderte er: „Ich protegierte keine von ihnen beiden, aber Huren waren beide Frauen, und Sie sind es ebenfalls.“ Als Anna del Serre von ihrer Kontrahentin vorschriftsmäßig als unreine Tochter und schändlicher Bastard besungen wird, reißt ihr Geduldsfaden. Sie wird übergriffig, unterliegt aber letztlich der robusteren Ronzi. Geschlagen und gebissen wird auf den Brettern, die die Welt bedeuten. 

Lange ist es her, daß man sich Kunst und Geschichte derart zu Herzen genommen hat. An der Zürcher Oper brodeln die Gefühle im sängerischen Wettbewerb von Serena Farnocchia als Elisabeth und Diana Damrau als Maria im Rahmen bemessener Kunstfertigkeit. Dabei steht als Marias Bewacher Giorgio Talbot auch noch Damraus Ehemann Nicolaus Testé auf der Bühne. Die Explosion der Leidenschaft wird von der Schönheit und Sicherheit der Stimmen gemäßigt. Eine Belcanto-Oper ist ein akustisch-artifizielles Geschmeide. Das Orchester gibt den funkelnden Facetten des Gesangs die goldene Fassung. In diesem Sinne läßt Enrique Mazzola die Philharmonie Zürich mit verhaltener Kraft agieren.

Simplifizierung durch Regie und Bühnenbild

Bald nach Donizettis Tod im Jahr 1848 verschwand „Maria Stuarda“ von den Spielplänen, um erst hundert Jahre später wieder aufzutauchen. Eine kritische Neuausgabe zeigte, daß Donizetti die Oper im Gegensatz zu der bis dahin verbreiteten Dreiteilung in zwei Akten anlegte. Der erste Akt ist ein Wettkampf, dessen unverrückbares Ergebnis den zweiten Teil überschattet und in meditative Todesnähe taucht. Der Streit der Königinnen ist kein Duett, sondern ein explosives Arioso.

Zu Beginn umrunden Maria und Elisabeth noch in langen Schleppkleidern die Krone. Zwischen den Rivalinnen stehen die Männer. Leicester (Pavol Breslik) ist der Schottin verfallen und konspiriert zu ihrer Befreiung mit Talbot. Während Lord Cecil (Andrzej Filonczyk) von Anfang an Elisabeth bedrängt, sich der lästigen Rivalin zu entledigen.

Außer der Farnocchia sind alle Sänger in Zürich im Rollendebüt zu erleben. Donizetti hat die Figuren von Schillers Drama operngemäß vereinfachen lassen. Der wankende Leicester wird zum bekennenden Liebhaber und Talbot ist zugleich ein verkappter Papist und Beichtvater Marias im Gefängnis.

Bedauerlich ist die Simplifizierung durch Regie und Bühnenbild. Einerseits verleihen die majestätischen Kleider den Damen große Würde. Diese wird aber durch albernen Mummenschanz durchkreuzt. Die Jäger treten gleich Aktaion als Hirsche auf, bei der Verkündung des Todesurteils fällt ein Gerippe von der Decke, eine Doppelgängerin der Maria sitzt mit blutverschmiertem Gesicht auf dem Sofa. Dem überaus feinen Abgleich von Orchester, Gesang und Chor steht diese visuelle Aufdringlichkeit entgegen. Nach zweihundert Jahren werden die katholischen Empfindlichkeiten der Uraufführungszeit durch puritanische Rechthaberei ersetzt.

David Alden widmet seine Regiearbeit einem verspäteten Wahlkampf für Hillary Clinton: „Daß sie die Wahl verloren hat, zeigt für mich, daß wir anhand dieser Stoffe heute über solche Fragen nachdenken sollten – auch wenn Donizetti selbst nicht so darüber gedacht hat“, äußert er im Programmheft. Darin assistiert von der Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen: „Ich stehe immer noch unter dem Schock, daß Hillary Clinton nicht als amerikanische Präsidentin gewählt wurde ...“ Gegen Schiller, Donizetti und die autonome Kunst überhaupt soll die Oper zur kulturellen Vorbereitung politischer Veränderungen in Dienst gestellt werden. Glücklicherweise vermögen allein Musik und Gesang die Fuhre aus diesem tagespolitischen Morast herauszureißen.

Die nächsten Vorstellungen von „Maria Stuarda“ am Opernhaus Zürich, Falkenstr. 1,  finden statt am 29. April sowie am 2., 5., 9. und 12. Mai 2018 

 www.opernhaus.ch