© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/18 / 27. April 2018

Erst bei Ebbe zeigt sich, wer bei Flut nackt baden gegangen ist
EZB-Geldpolitik: Der Risikomanager Markus Krall analysiert die Folgen des unvermeidlichen „Draghi-Crashs“ / Europäischer Treuhandfonds als Ausweg?
Ludwig Witzani

Gegen den Markt kann man politisch durchaus regieren – „aber nicht endlos“, warnte Nobelpreisträger Milton Friedman. Seit bald zehn Jahren manipuliert nun die Europäische Zentralbank (EZB) entscheidende Marktparameter im Euroraum. Angefangen hat der Franzose Jean-Claude Trichet, mit dem Italiener Mario Draghi gibt es seit 2011 in der Geldpolitik keine Tabus mehr. Der damit drohende „Draghi-Crash“ ist das Thema von Markus Krall.

Der Ökonom beginnt mit der Vorstellung des „Übeltäters“: der EZB. Als Staat im Staat kontrolliert sie nicht nur die Geldmenge, sondern auch 126 kleine und 8.000 größere Banken. Ihr Stabilitätsmandat hat die EZB verlassen, als Draghi begann, die „Bazooka“ auszupacken und den Markt mit Euro-Billionen zu fluten. „What ever it takes“, sollte für die überschuldeten Euro-Länder Zeit für die Sanierung ihrer Haushalte gekauft werden. In Wahrheit erlaubt das billige Geld ein Weiter-so.

Der Frankfurter Risikomanager fragt aber nicht nur nach den Auswirkungen auf Inflation, Staatsetats und Altersvorsorge, sondern nach den Deformationen, die eine Nullzinspolitik in der Realwirtschaft bewirkt. Während ein marktgerechter Preis für Geld die Verwendung volkswirtschaftlicher Ressourcen besser steuert als jede Behörde, treibe ein Regulierer, der den Zins durch „finanzielle Repression“ auf null drückt, das System in den Ruin. Zuerst trifft es die Banken.

Da das klassische Zinsmargengeschäft zusammenbricht, sind die Banken gezwungen, ihre überschüssige Liquidität „mit Halali in den Sumpf schlechter Kredite“ zu pumpen. Davon profitieren Firmen, die sich unter normalen Refinanzierungsbedingungen nicht am Markt halten könnten. Die Risikovorsorgesysteme der Banken sind unter den Bedingungen krasser Marktverzerrung außerstande, solche „Zombie-Unternehmungen“ zu identifizieren.

Erst bei Ebbe erkennt man, wer bei Flut nackt baden gegangen ist, warnt der US-Investor Warren Buffett. Die Milliarden zweifelhafter Kredite verwandeln die Kreditinstitute in „Zombie-Banken“, die bei einer realistischen Bewertung pleite wären. Die Banken-Streßtests würden diese Zustände nur verschleiern. Die Nullzinsen sind auch makroökonomisch fatal: Trotz der Digitalisierung bleibe das Wachstum „anämisch, weil die unproduktiven Unternehmungen am Leben bleiben und Ressourcen, also Arbeit und Kapital, an einer unproduktiven Verwendung festketten“. Der unterbewertete Euro täusche eine Wettbewerbsfähigkeit vor, die nicht existiert.

Nun sitzt die EZB in ihrer eigenen Falle. Ein Ende der Tiefzinspolitik würde den Zusammenbruch des Eurosystems bedeuten. Aber: „Je länger die Zinswende auf sich warten läßt, desto größer wird diese Bugwelle und desto verheerender wird der Schock“, so Krall. Im ersten Crash-Szenario prognostiziert er ein ungeordnetes Auseinanderbrechen des Euro im Zuge einer Bankenkrise oder einer Frankreich-Krise. Deutschland, nach Krall „der größte Hedgefonds der Welt“, hat seine riskante „Euro-Wette“ verloren und geht aller seiner Euro-Außenstände verlustig. Staaten, Banken, Firmen und die Versicherer gehen in die Insolvenz. Jedes Land versucht sich durch die Neuausgabe eigener Währungen zu retten.

Im zweiten Szenario verstaatlicht die EZB nach einem Zusammenbruch alle Banken des Euroraums, um eine neue, wertreduzierte Währung auszugeben. Beide Szenarien wären mit extremen Vermögenseinbußen für die Bürger verbunden. Ob die westlichen Demokratien diese Krise überleben würden, erscheint dem Autor, der schon bei Roland Berger, Boston Consulting und McKinsey im Risikomanagement aktiv war, mehr als fraglich.

Gibt es keinen Ausweg? Doch, antwortet Krall, auch wenn er nicht glaubt, daß die Politik diesen Weg beschreiten wird. Er schlägt die Einrichtung eines europäischen Treuhandfonds vor, in den alle Staatsschulden über der Marke von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts überführt und schrittweise privatisiert werden sollen. Dieser Treuhandfonds soll privatwirtschaftlich geleitet und mir weitgehenden Rechten ausgestattet werden, die auch eine radikale Neugestaltung des Bankensystems erlauben würden. Am Ende stünde eine völlige Reorganisation der Euro-Gouvernance inklusive einer Stimmrechtsreform bei der EZB und wirksamer automatischer Sanktionen gegen Schuldensünder.

 Ob die Banken wirklich nur „Opfer“ der Regulierer und nicht auch Krisenverursacher sind, ist allerdings einer eigenen Betrachtung wert.

Markus Krall: Der Draghi-Crash. Finanzbuch Verlag, München 2017, gebunden,  208 Seiten, 17,99 Euro