© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/18 / 27. April 2018

Der lange Arm des Herrn Erdogan
Kurden-Konflikt: Nach Kritik türkischstämmiger Mitglieder rudert die Gewerkschaft IG Metall zurück
Christian Vollradt

Kaum war die Nachricht von der um anderthalb Jahre vorgezogenen Wahl in der Türkei in der Welt, meldeten sich erste Politiker in Berlin zu Wort mit der Forderung: kein Erdogan-Wahlkampf in Deutschland. „Wir wollen in unseren Städten keine innertürkischen Konflikte, die unser Zusammenleben belasten“, äußerte etwa CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. Das dürfte allerdings Wunschdenken bleiben. 

„Jetzt könnt ihr wieder     Mitglied werden“

Denn welchen Einfluß erdogantreue Türken in deutschen Organisationen innehaben, zeigt eine Begebenheit in der Gewerkschaft IG Metall. Dort hatte vor kurzem eine ursprünglich lokale Petitesse für bundesweite Aufregung gesorgt. Im Januar hatte der Ortsmigrantenausschuß der IG Metall im niedersächsischen Industrierevier Salzgitter die Linkspartei-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen zu Gast. Die zum linken Flügel ihrer Partei zählende Politikerin, die schon öfter Sympathien für linksradikale kurdische Organisationen offenbart hatte, referierte auf Einladung der Gewerkschafter über eine „Neuausrichtung der deutschen Türkei-Politik“. 

Daraufhin schlug der Gewerkschaft ein Proteststurm von national-türkischer Seite entgegen. Bundesweit drohten türkischstämmige Gewerkschafter mit ihrem Austritt. Da die meisten Mails und Schreiben gleichlautend waren, konnte man von einer konzertierten Aktion ausgehen. Besonders angefacht hatte die Welle der Entrüstung die Allianz Deutscher Demokraten (AD Demokraten). Die Kleinpartei – bundesweites Wahlergebnis im September 2017: 0,1 Prozent – steht der AKP des türkischen Präsidenten Reccep Erdogan nahe. Die AD Demokraten witterten in Salzgitter „Terrorpropaganda im Gewerkschaftshaus“. „Wir gehen davon aus“, so die Partei in ihrem Protestschreiben, daß Dagdelens Auftritte „in erster Linie eine Botschaft an die konservative Arbeiterschaft übermitteln soll, und zwar des Inhalts: ‘Arbeitet, zahlt pünktlich eure Beiträge, aber haltet zu Türkeithemen den Mund.’“

Daraufhin wandte sich die Bundesspitze der Gewerkschaft mit einem Brandbrief an die Kollegen in Salzgitter. Denen habe das politische Fingerspitzengefühl gefehlt, heißt es in dem Rüffel aus der Frankfurter Zentrale: „Eure offensichtlich völlige Fehleinschätzung ist für uns nicht nachvollziehbar. Ihr laßt in diesem Fall jede politische Sensibilität vermissen.“

Das habe dazu geführt, daß unter den 90.000 türkischstämmigen Mitgliedern der IG Metall Austritte angedroht werden oder bereits Austritte verzeichnet wurden. Mittlerweile würden in zahlreichen Geschäftsstellen Austritte vorliegen, und viele Betriebsräte hätten signalisiert, daß viele Kündigungsschreiben vorliegen würden. Ohne tagelange Krisenkommunikation, beschwerte sich die Bundesspitze, wäre die Lage für die Gewerkschaft angesichts der massenhaften Anfeindungen „noch verheerender“ ausgefallen. Die Salzgitteraner Metaller traten daraufhin den Gang nach Canossa an. Es habe der Eindruck politischer Einseitigkeit entstehen können, dies sei jedoch nicht beabsichtigt gewesen, ließ der 1. Bevollmächtigte der IG Metall Salzgitter-Peine, Wolfgang Räschke, durch eine Sprecherin ausrichten. Austritte, so heißt es, habe es vor Ort indes nur wenige gegeben. 

Die AD Demokraten werten ihre Aktion als vollen Erfolg. Man habe mit wirtschaftlichem Druck die Verantwortlichen in die Knie gezwungen. „Jetzt könnt ihr wieder Mitglied werden“, forderte Mitbegründer Ramazan Akbas seine Gefolgsleute auf. Für die Linken-Abgeordnete Dagdelen ist das Ganze dagegen ein Zeichen dafür, wie das „Erdogan-Netzwerk“ in Deutschland auf „Polarisierung und Spaltung“ setze.

Wie spannungsgeladen die Atmosphäre zwischen Türken und Kurden (nicht nur) in Salzgitter ist, zeigte auch ein Vorfall Anfang Februar. Am Rande eines Demonstrationszuges kurdischer Initiativen gegen den Einmarsch des türkischen Militärs in Nordsyrien hatten Demonstranten mit Fahnenstangen auf ein langsam vorbeifahrendes Auto geprügelt. Dabei zerschlugen sie eine Scheibe und verbeulten die Karosserie des VW. Zuvor soll der Fahrer, ein 40jähriger Deutsch-Türke, die Kurden provoziert haben, was er jedoch bestritt. Eine Woche später war der Zwischenfall Anlaß, daß rund 2.000 Türken vor dem Rathaus in Salzgitter-Lebenstedt „gegen den Terror der PKK“ demonstrierten. Weil zunächst auch linksgerichtete kurdische Organisationen zu einer Gegendemonstration aufgerufen hatten, rechnete die Polizei mit gewaltsamen Auseinandersetzungen und war mit einem Großaufgebot in der Stadt. Nicht zuletzt weil die Gegendemo abgesagt worden war, blieb es letztlich friedlich. Doch obwohl der Anmelder der türkischen Kundgebung öffentlich beteuerte, kein Erdogan-Anhänger zu sein, sprach das Meer aus roten Fahnen mit Halbmond und Stern auf dem Rathausvorplatz für sich.

Vor gut 50 Jahren waren die ersten Arbeitskräfte aus der Türkei in das Industriegebiet im Osten Niedersachsens gekommen. Viele waren und sind bei der Salzgitter Flachstahl beschäftigt. Tatsächlich ist der Ort ein Schwerpunkt auch der kurdischen Gemeinschaft. Die verbotene Terrororganisation PKK, die laut Verfassungsschutz in Niedersachsen über die drittgrößte Mitgliederzahl (etwa 1.600 Personen) in ganz Deutschland verfügen soll, hat hier einen von drei Stützpunkten im Bundesland. Der Ortsmigrantenausschuß der IG Metall in Salzgitter, der offensichtlich von Kurden dominiert wird, soll vor der Bundestagswahl für die Linkspartei geworben haben. 

Am vergangenen Wochenende hatte sich die Lage für die IG Metall Salzgitter indes wieder normalisiert dargestellt. Da waren die Gewerkschafter geschlossen „gegen Rechts“ auf der Straße. Grund: eine Demonstration der örtlichen AfD.