© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/18 / 27. April 2018

Gegen Brüssel hilft kein Brüllen
Asyl II: Ausgerechnet der für seine markigen Sprüche bekannte Bayer Horst Seehofer muß nun als Innenminister in Berlin das EU-Umsiedlungsprogramm umsetzen
Paul Rosen

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit nimmt Deutschland Ausländer aus dem Nahen Osten und Nordafrika als Neuansiedler auf – „Resettlement“ heißt das Stichwort. Diese Menschen kommen nicht als Flüchtlinge oder Asylsuchende, sondern ganz offiziell, um sich hier niederzulassen und dauerhaft zu bleiben. In diesem und im nächsten Jahr sollen es insgesamt 10.200 Personen sein. Innenminister Horst Seehofer (CSU), Hüter von im Koalitionsvertrag nicht besonders klar definierten Obergrenzen, findet das „angemessen“; um eiligst hinterherzuschieben, bereits sein Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) habe die Zustimmung zum EU-Resettlement-Programm gegeben.  

Freiwillig erfolgte die Bestätigung der Zahl durch die Bundesregierung nicht. Bei seinem Besuch in Berlin plauderte EU-Innenkommissar Dimitros Avramo­poulos, der in seiner Heimat gerade im Zentrum eines großen Schmiergeldskandals steht, die Zahl in einem Interview mit dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ aus. „Die deutsche Regierung ist erneut zur Stelle, wenn es um internationale Solidarität geht“, lobte der Grieche. 

Koalitionspartner              bestreitet Obergrenze

Seehofer muß das vorgekommen sein wie ein vergiftetes Lob. Entsprechend einsilbig fiel seine Bestätigung aus, denn sein selbst zusammengebasteltes Bild vom harten Innenminister, der kaum noch jemanden reinläßt und verstärkt abschiebt, hat einen ersten Riß bekommen. Mit Anflügen von Verzweiflung versuchte das CSU-Parteiblatt Bayernkurier der offenbar sprachlosen eigenen Anhängerschaft das Ansiedlungsprogramm als soziale Großtat zu präsentieren. Diese 10.200 besonders Schutzbedürftigen würden auf die im Koalitionsvertrag vereinbarte Zuwanderungsspanne von 180.000 bis 220.000 Personen angerechnet werden. Seehofers Problem dabei ist, daß nur er und die CSU die Zahl 220.000 als Obergrenze ansehen – vom Koalitionspartner SPD wird dies sogar vehement bestritten. 

Laut Bayernkurier richtet sich das EU-Resettlement-Programm ausschließlich an besonders Schutzbedürftige, also Schwangere, Gefolterte, Alleinerziehende, Minderjährige, Kranke und Alte. „Sie stammen großteils aus Syrien, dem Irak und Afghanistan und sind meistens in Lagern in Libyen gestrandet“, so das Parteiblatt. In allen anderen Veröffentlichungen deutscher Medien wird die Herkunft aber mit Nordafrika, Arabien und schließlich auch Syrien angegeben. Neu sind diese Ansiedlungsprogramme nicht. Schon 2017 wurden fast 24.000 Menschen in EU-Staaten umgesiedelt, davon angeblich nur 3.000 nach Deutschland. Die Bundesrepublik und die deutschen Länder nahmen allerdings im Rahmen eigener Ansiedlungsprogramme seit 2013 rund 47.000 „Schutzsuchende“ auf. 

Die Hoffnung der CSU und von Seehofer richtet sich darauf, daß die unter ominösen Umständen von einer eventuell gar nicht dazu befugten geschäftsführenden Bundesregierung im Oktober 2017 nach der Bundestagswahl gegebene Zusage Modell einer größeren Lösung sein könnte. Denn insgesamt geht es um 50.000 „Schutzsuchende“, die bis 2019 offenbar dauerhaft in der EU angesiedelt werden sollen. Davon nimmt angeblich Frankreich auch 10.200 Personen auf, Schweden 8.750, Großbritannien 7.800, die Niederlande 3.000, Spanien 2.250 und Belgien 2.200. Selbst Slowenien nimmt 40 und Malta 20. Polen, Ungarn und die Slowakei beteiligen sich nicht an dem Umsiedlungsprogramm. Auch Avramopoulos’ Heimatland Griechenland gehört nicht zu den Ländern, die Schutzbedürftige aufnehmen wollen. Daß Migranten aus Griechenland möglichst problemlos nach Deutschland weiterreisen können, dafür sorgt jetzt ausgerechnet Seehofer, der auf die derzeit noch durchgeführten Kontrollen von aus Griechenland ankommenden Flugpassagieren plötzlich verzichtet. 

Wenn auch in Zukunft nur ein Fünftel der „in die EU einreisenden Flüchtlinge“ nach Deutschland komme, wäre dies ein tragbarer Zustand, schreibt der Bayernkurier. Diese Hoffnung dürfte nicht aufgehen, denn von den im vergangenen Jahr in der EU angekommenen 540.000 Asylbewerbern kamen 60 Prozent nach Deutschland.