© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/18 / 27. April 2018

Murx und das Opium des Volkes
Jubiläum: Kritiklos feiert Rheinland-Pfalz den 200. Geburtstag von Karl Marx / Opferverbände protestieren
Paul Leonhard

Die Verehrung und Verklärung von Karl Marx in Nordrhein-Westfalen hat Tradition. Schon nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches zierte 1947 sein Kopf auf einer dunkelvioletten 15-Pfennig-Marke die erste Briefmarkenserie des Landes, in der Sowjetzone kam man erst ein Jahr später auf diese Idee.

An der Heiligenverehrung der in Trier geborenen kommunistischen Ikone sollte auch anläßlich seines 200. Geburtstages am 5. Mai nicht gerüttelt werden. Marx zähle zu den „wichtigsten Denkern Deutschlands“, weil er der Frage nachgegangen sei, „warum einige Menschen ganz viel Geld besitzen und warum manche, trotz harter Arbeit, kaum etwas zu essen haben“, heißt es in einer Pressemitteilung der Karl-Marx-Ausstellungsgesellschaft. Da „die ideologische Vereinnahmung der Vergangenheit eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit Marx erschwert“ habe, so deren Geschäftsführer Rainer Auts, wolle man sich auf den Jubiliar und sein Werk in seiner Zeit beschränken und seine Rezeption im 20. Jahrhundert ausklammern. 

Badeentchen mit       Rauschebart

Als ob das angesichts der Leichenberge, die der Kommunismus in Europa und Asien hinterlassen hat, möglich wäre. Daß die „wissenschaftliche Weltanschauung“ noch immer ausreichend Jünger findet, wird am 5. Mai eine gemeinsam von den SED-Nachfolgern der Linkspartei, Sozialistischer Deutscher Arbeiterjugend (SDAJ), Deutscher Kommunistischer Partei (DKP), Linksjugend (Solid) und Linksfraktion im Trierer Stadtrat organisierte „antikapitalistische“ Demonstration verdeutlichen. Die Linkssektierer wollen ein Zeichen setzen, daß es „nicht reicht, den Kapitalismus nur zu kritisieren oder gar an der Perfektionierung seiner notwendigerweise beschränkten demokratischen Hülle zu werkeln“, sondern auf eine „grundlegende Umwälzung der Produktionsverhältnisse“ hingearbeitet werden muß.

Während Staats- und Stadtregierung in ihrer ab 5. Mai zu sehenden Landesausstellung „Karl Marx 1818–1883. Leben. Werk. Zeit“, die Augen vor den Folgen der Marxschen Lehre fest verschließen, bekennt die in einem Marx-Bündnis anlaßbezogen vereinte Linke offen, es seien Marx und Friedrich Engels gewesen, „die uns mit dem wissenschaftlichen Sozialismus das Werkzeug in die Hand gaben, um unsere gegenwärtigen Verhältnisse so zu analysieren und zu begreifen, daß wir daraus eine fortschrittliche und damit zwangsläufig revolutionäre Praxis entwickeln können.“ Die Teilnehmer der Demonstration werden aufgerufen, „dieses Werkzeug in die Hand zu nehmen“.

Widerspruch kommt allein von der Alternative für Deutschland und der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft. Beide haben frühzeitig darauf aufmerksam gemacht, daß die im Namen des Marxismus begangenen Verbrechen bei den Jubelveranstaltungen in Trier völlig ausgeklammert werden. In diese Verklärung paßt die Aufstellung einer 2,3 Tonnen schweren Marx-Statue, die das für seiner Menschenrechtsverletzungen bekannte sozialistische China der Stadt Trier spendiert hat. 

Während die Linksextremisten mit geplanten 500 Teilnehmern für den Sturz des „kapitalistischen Systems“ mobilisieren, organisiert die AfD gemeinsam mit ihrer Jugendorganisation Junge Alternative ein Aktionswochenende unter dem Motto „Kommunismus-Opfer nicht vergessen – Marx vom Sockel holen“. Erwartet würden all jene, die „ein ungutes Gefühl beschleicht, wenn der Vater des Kommunismus unreflektiert auf einen Sockel gehoben wird und den Opfern des Kommunismus demonstrativ durch Ausklammerung der Wirkungsgeschichte eine angemessene Würdigung verwehrt bleibt“, sagt Martin Louis Schmidt, kulturpolitischer Sprecher der AfD-Landtagsfraktion.

Höhepunkte der AfD-Veranstaltungen sind am 4. Mai ein Auftritt des früheren tschechischen Staatspräsidenten Vaclav Klaus sowie am 5. Mai ein Schweigemarsch für die im Namen des Kommunismus ermordeten Millionen Menschen. Die in China verbotene buddhistische Gemeinschaft Falun Gong plant eine Kundgebung, und die SPD wird an diesem Tag einen Bundeskongreß in Trier abhalten, um daran zu erinnern, daß Willy Brandt vor 50 Jahren im Trierer Theater eine Rede zur damaligen Wiedereröffnung des Karl-Marx-Museums gehalten hat.

Die Marketingexperten der Stadt Trier und viele Händler wollen dagegen bis zum 21. Oktober, dem Tag, an dem die Landesausstellung schließt, möglichst viel Kapital aus Karl Marx schlagen. Sie zelebrieren Marx als eine Ikone der Popkultur und warten mit jeder Menge Kitsch auf: So ließ die städtische Tourismus und Marketing GmbH „Null-Euro-Scheine“ mit dem Porträt des Philosophen drucken, die für jeweils drei Euro verkauft wurden. Auch gibt es ein quietschgelbes Badeentchen mit grauem Rauschebart und eine Karl-Marx-Armbanduhr.

Daß die Nachricht, der Rat von Trier habe eine Umbenennung in „Karl-Marx-Stadt“ beschlossen, ein Aprilscherz war, überrascht angesichts des kommunalen Engagements für Marx.