© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/18 / 20. April 2018

Der Flaneur
Gibt es nicht mal was Neues?
Gil Barkei

Nach kurzem, aber radikalem Umbau ist die örtliche Filiale der Bücherladenkette wieder geöffnet – von drei auf eine Etage geschrumpft. Die früher direkt am Eingang gelegene Abteilung für Promotion- und Sonderangebote ist einer Apple-Store-ähnlichen Fläche gewichen mit Ständern mit eBook-Readern und passendem Zubehör. Nur noch auf einem großen Grabbeltisch liegen die für den „Sale“ aussortierten Bücher mit ihren neonorangenen Preisschildern. Die Einzelkassen wurden zu einem langen Tresen in der Raummitte zusammengelegt. An einem mit diesen Flughafenkordeln eingezäunten Wartepunkt steht eine Schlange, als der Vorderste von einer der studentenjungen Kassiererinnen an einen frei gewordenen Platz gerufen wird.

Das Buch über die Frau im Nationalsozialismus scheint die Dame nicht zu begeistern.

Vor der Bestsellerwand stehen zwei kleine Tische: Thriller und historische Romane, verraten die Cover. Eine ältere Frau, kurze Grauhaarfrisur, bunter Batikschal, nur ein großer noch farbenfroherer Ohrring, prüft mit heruntergeschobener grellroter Brille die Buchdeckel. Ein Verkäufer, schwarzer Rollkragenpulli über dem hageren Oberkörper, tritt heran: „Kann ich Ihnen helfen?“ Die Frau schaut ihn musternd an: „Können Sie denn ein Buch empfehlen?“ „Mmh, wie wäre es mit diesem?“ fragt die Steve-Jobs-Kopie und zeigt auf einen schwarz-weiß gehaltenen Band. „Es handelt von einer Frau im Nationalsozialismus, die sich hin- und her gerissen zwischen der Loyalität zu ihren Verwandten und ihren schrecklichen Beobachtungen zunehmend von ihrer Familie distanziert ...“

Die Reaktion überrascht. „Ach bitte“, stöhnt die Dame, worauf der Verkäufer kurz die Körperspannung verliert. „Immer das gleiche. Ich habe Geschichte studiert und wirklich alles an Protest und Erinnerung mitgemacht. Aber irgendwann wird’s langweilig. Gibt es nicht mal was anderes?“ Aus den durchs Grinsen verknappten Augenwinkeln ist beim Gehen noch zu beobachten, wie der Verkäufer verunsichert überlegt.