© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/18 / 20. April 2018

Dorn im Auge
Christian Dorn

Illusion“ – den elegischen Popsong aus dem Café des Westsektors noch im Ohr, Besuch des Basketball-Bundesligaspiels Alba Berlin vs. s.Oliver Würzburg in der Mercedes-Benz Arena, einst als „O2 World“ firmierend und von der Berliner Zeitung seit je als „Mehrzweckhalle am Ostbahnhof“ verspottet. Diese konsequente Verweigerung gegenüber dem Markenfetischismus findet auch mein Gehör sympathisch oder jedenfalls pragmatisch, das nur „Deutschland, Deutschland“-Rufe heraushört (tatsächlich sind es „Alba“-Rufe) und aus dem gegnerischen Halbrund manchmal den Chorus „Sieg Heil!“ – zumindest sind es die einzigen akustischen Referenzgrößen für das ungeübte Ohr.


Geübt dagegen ist es bei dem so sportlich wie sexy aufgemachten Girl in Hotpants, das mir entgegenkommt und sich, wiederholt umdrehend, mit einem adrett wirkenden jungen Mann türkischer oder arabischer Herkunft ein Wortgefecht liefert, der dem Mädchen im Vorbeigehen „Schlampe“ hintergerufen hatte. Dieses läßt das nicht auf sich sitzen, provoziert ihrerseits den „feigen Hurensohn“, der „keine Eier“ habe, ihr in die Augen zu sehen. Sie läuft ihm hinterher und verpaßt dem Kerl, der anderthalb Köpfe größer ist, links und rechts Backpfeifen, die richtig schön klatschen – als wäre es eine Szene aus dem kommenden Film „Bad Girls Avenue“ von Klaus Lemke. Wie sich bei Nachfrage von dritter Seite herausstellt, kennen sich beide. Für Footage-Material fehlte jetzt nur noch ein Kameraschwenk auf die Hauswand auf Höhe der Szenerie, wo unter einem Fensterbrett in Großbuchstaben steht: „Entweder tut / Liebe weh oder / Sie läßt nach ...“


Im wirklichen Kino dagegen ist es so spannend, daß ich nicht ein einziges Mal zur überteuerten Bierflasche greife, im Unterschied zu Stalins volltrunkenem Sohn in der schwarzen Komödie „The Death of Stalin“. Dort erinnert mich die Stalin-Tochter Svetlana mit ihren permanent entgleitenden Gesichtszügen unvermittelt an die beiden derzeit bekanntesten AfD-Politikerinnen. Daß nicht nur dieser wunderbar sarkastische Film den Tatbestand „antirussische Hetzkampagne“ erfüllt, demonstriert der Café-Besitzer im russischen Sektor, der sich ungeheuer provoziert fühlt, da ich ihn auf einen FAZ-Bericht hinweise, der nüchtern die chronologische Historie des Nervengiftes Nowitschok auflistet. Eine andere Art der Groteske bietet die zur Selbstbefriedigung auffordernde legendäre Schwulen- und Lesbenbar nebenan, wo auf der Tür fett „FUCK AfD“ steht, direkt darunter: „Selbstbedienung“.