© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/18 / 20. April 2018

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Umzug nach Schilda
Paul Rosen

Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages haben einen weit über die deutschen Grenzen hinaus reichenden guten Ruf. Abgeordnete können dort Studien in Auftrag geben, um sich besser in ein Thema einzuarbeiten. Immer wieder sorgen Untersuchungen der Dienste für Aufsehen: Zuletzt war das eine Ausarbeitung, welche die Souveränität des Bundestages verletzt sieht, falls die Brüsseler EU-Kommission die Verfügungsgewalt über den Euro-Rettungsfonds ESM und den von Frankreich propagierten Europäischen Währungsfonds (EWF) bekommen würde. Damit sind die Wissenschaftler auch ein Stützpfeiler der Parlamentssouveränität, denn der Bundestag wäre andernfalls den zumeist beschwichtigenden Erklärungen der Bundesregierung ausgeliefert. Neben den teilweise sehr umfangreichen Ausarbeitungen erstellen die rund 90 Mitarbeiter auch Kurzinformationen zu aktuellen Begriffen und Dossiers wie zuletzt zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. 

Die Arbeit der Wissenschaftlichen Dienste ist in den vergangenen Jahren noch wichtiger geworden. Zum einen wird die Politik immer komplexer. Da ist es schon wichtig, jemanden zu haben, der Informationen recherchiert und analysiert und „die enorme Informationsflut auf das Wesentliche reduziert“, wie es auf der Bundestags-Seite heißt. Zum anderen ist die Zahl der Abgeordneten auf den Rekordwert von 708 gestiegen – in nicht mehr vier, sondern sechs Fraktionen. Das alles erhöht den Arbeitsaufwand und die Arbeitsbelastung

Untergebracht sind die Mitarbeiter von „WD“, so die gebräuchliche Abkürzung, im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus in unmittelbarer Nähe des Reichstags. Das soll sich ändern. Die Leitung der Bundestagsverwaltung will die Dienste umziehen lassen – raus aus dem Bundestagsviertel in den Berliner Stadtteil Moabit in das frühere Bundesinnenministerium. Seit dem Auszug des Innenministeriums in einen Neubau stand der Bürokomplex leer und wird jetzt Zug um Zug mit Bundestagsbeschäftigten gefüllt – zuerst mit Mitarbeitern des Petitionsausschusses und bald mit denen der Wissenschaftlichen Dienste. 

Das klingt nach einem normalen Behördenumzug, wie er öfters vorkommt. Doch weit gefehlt. Die Wissenschaftler sind die besten Kunden der Bundestags-Bibliothek. Die Bibliothek ist mit 1,5 Millionen Bänden eine der größten ihrer Art weltweit. Sie befindet sich ebenfalls im Lüders-Haus, so daß die WD-Mitarbeiter bisher über einige Treppen schnell bei den Büchern waren.  Das ändert sich jetzt. Wer in die Bibliothek will, muß drei Kilometer zu Fuß laufen, mit dem Rad fahren oder die S-Bahn nehmen. 

Der Anteil der Bibliotheks-Nutzer aus den Wissenschaftlichen Diensten dürfte bei etwa einem Drittel liegen. Damit fällt der Umzug, der dazu dienen soll, eine andere Verwaltungseinheit im Lüders-Haus unterzubringen, die genauso gut hätte in das frühere Innenministerium ziehen können, in die Kategorie Schildbürgerstreich. Aus den Regierungsfraktionen ist bereits die Frage zu hören, wer für diesen Streich verantwortlich zeichnet.