© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/18 / 20. April 2018

Ohne jegliches Konzept
Syrien: Der Militärschlag gegen Assad offenbart die Marginalisierung des Westens
Michael Wiesberg

Die westlichen Luftschläge Ende vergangener Woche gegen Syrien waren, was ihren Effekt angeht, eher symbolischer Natur. Ihre magere Bilanz steht im auffälligen Gegensatz zu den Einschätzungen westlicher Politiker, die unisono einen „Erfolg“ herbeizureden versuchten. Anlaß der Angriffe waren einmal mehr unbelegte Giftgasattacken, die auf das Konto Assads gehen sollen. Es ist mittlerweile das x-te Mal, daß der syrischen Armee in westlichen Medien und von westlichen Politikern sowie von NGOs derartige Angriffe vorgeworfen werden, ohne daß belastbare Beweise vorgelegt werden. Bezeichnenderweise fand der Angriff eine Nacht vor dem Beginn einer Mission der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) statt, deren Experten am Wochenende mit der Untersuchung gegen die Regierung Assad beginnen sollten. 

Auslöser der Vorwürfe gegen Assad waren diesmal die „Weißhelme“, die behaupten, daß von einem Helikopter über dem umkämpften Gebiet von Duma eine „Chemie-Bombe“ abgeworfen worden wäre, die Dutzende Opfer forderte, darunter Frauen und Kinder. Beweise für ihre Anschuldigungen haben sie nicht vorgelegt. Gerade die „Weißhelme“ sollten indes Anlaß zu kritischer Distanz geben, handelt es sich hier doch um eine private syrische Zivilschutzorganisation, die ihren Sitz in Großbritannien hat und vor allem vom Westen finanziert wird. Rußland und die syrische Regierung sehen die Rolle der „Weißhelme“ naheliegenderweise kritisch. Ihnen wird vorgeworfen, Propagandainstrument der syrischen Opposition zu sein. Die „Weißhelme“ haben im übrigen ganz eigene Gründe, Giftgasalarm zu schlagen. Ihr Budget für 2018 ist laut MDR nämlich drastisch gesunken. Jetzt sind sie wieder in aller Munde, was sich möglicherweise wohltuend auf die Schließung unliebsamer Lücken in ihrem Etat auswirken könnte.

Zu den wenigen Stimmen in Deutschland, die den Mut hatten, sich zu den neuerlichen Giftgasvorwürfen gegen Assad differenziert zu äußern, gehört der Politologe Götz Aly, der in einem Kommentar auf mögliche Motive hinwies. Auf seiten der „siegreichen Regierungstruppen“ scheine es „kein Motiv zu geben“. Anders verhalte es sich bei den Aufständischen: Angesichts ihrer Niederlage hätten „sie Gründe, gestellte Bildsequenzen zu verbreiten“.  Gründe, die im Westen nicht interessieren, will man hier doch bereits handfeste „Beweise“ für den Einsatz von Chemiewaffen durch die syrische Regierung in Händen halten, wie zum Beispiel Frankreichs Präsident Macron behauptet. Offengelegt hat er diese Beweise bisher nicht. 

Das dürfte ihm auch schwerfallen, erklärte doch US-Verteidigungsminister James Mattis noch letzte Woche, nach den „tatsächlichen Beweisen“ werde noch gesucht. Bundeskanzlerin Merkel will dessenungeachtet sogar „viele Hinweise“ darauf haben, daß das syrische Regime diese Waffen eingesetzt hat. Woher sie diese „Hinweise“ hat und welcher Art sie sind, hat sie für sich behalten. Deutschlands Rolle in dieser trüben Angelegenheit hat überdies einen besonderen Hautgout, beeilte sich Merkel doch, darauf hinzuweisen, daß das „gesamte Spektrum an Maßnahmen in Betracht“ gezogen werden müsse, um im gleichen Atemzug zu erklären, daß sich Deutschland „an eventuellen militärischen Aktionen nicht beteiligen“ werde. Die Kanzlerin stellte noch nicht einmal, wie sonst in diesen Fällen üblich, „logistische Hilfe“ in Aussicht, forderte aber trotzdem von den westlichen Partnern Deutschlands das „gesamte Spektrum an Maßnahmen“. 

Das diese Chuzpe mehr oder weniger hingenommen wurde, macht deutlich, daß es hier im Kern vorrangig weder um den Einsatz von Giftgas noch darum geht, das „Monster“ Assad (so Trump) loszuwerden. Vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden Sieges Assads und der zu erwartenden Verhandlungen über die Zukunft Syriens meldet sich der Westen, der Rußland, die Regionalmacht Iran sowie Assad seit Monaten gewähren läßt, mit diesen Angriffen vielmehr als Machtfaktor zurück, um wenigstens noch eine nennenswerte Rolle am Verhandlungstisch zu spielen. Bei Trump,  der im Wahlkampf außenpolitischen Abenteuern à la Irak oder Afghanistan eigentlich eine Absage erteilt hatte, dürfte überdies noch dessen eher durchwachsene innenpolitische Bilanz eine Rolle spielen. Sollte seine Handels- und Zollpolitik nämlich nicht die gewünschten Effekte zeitigen, bleibt noch das moralische Plus, Assad in Syrien in den Arm gefallen zu sein – im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger Obama, den er nach früheren Giftgasgerüchten dafür angriff, es versäumt zu haben, die Assad-Regierung zu lehren, von den USA gesetzte „rote Linien“ zu respektieren. Rußland, dessen Position in Syrien durch die westlichen Angriffe in keiner Weise geschwächt worden ist, wird sich auf eine scharfe Rhetorik beschränken und ansonsten zur Tagesordnung übergehen.

Damit wird deutlich, wie marginal die Position des Westens im Syrienkonflikt geworden ist. Wolfgang Ischinger, der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, sieht sogar einen „Scherbenhaufen westlicher“ und damit auch „europäischer und deutscher Syrien-Politik“. Nachdem man jahrelang getönt hat, Assad müsse weg, erlebe man jetzt, daß Assad nicht nur im Amt bleibe, sondern von wesentlichen Machtfaktoren wie dem Iran oder Rußland unterstützt werde. Über kurz oder lang wird der Westen nicht darum herumkommen, mit allen Machtfaktoren des Syrienkrieges, darunter auch Assad, zu reden, will man im Spiel bleiben. Vor diesem Hintergrund hat der völkerrechtswidrige Militärschlag gegen Syrien die westliche Position eher geschwächt als gestärkt. Gestärkt hingegen wurde durch den Angriff der, den man als ausgemachten „Menschenfeind“ unbedingt loswerden will: Assad.