© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/18 / 13. April 2018

Der Flaneur
Brand ohne Feuer
Bernd Rademacher

Ah, das Abendessen war lecker. Aber was geht da vorm Küchenfenster vor sich? Ein Einsatzzug der Berufsfeuerwehr hält mit Blaulicht vor dem Reihenhaus der Nachbarn. Feuerwehrleute mit schwerem Atemgerät springen aus dem Fahrzeug und rollen dicke Schläuche aus. Da brennt’s! Die Ärmsten, denke ich. Die sind doch gerade erst am Rundumrenovieren. Jetzt sieht man auch dicken weißen Qualm um die Hausecke wehen. Ob man irgendwie helfen kann? Ab in die Schuhe und auf die Straße.

Die Nachbarin steht im Rauch am offenen Fenster und ruft: „Mein Baby, mein Baby!“

Um Himmels Willen, die Nachbarin steht im Obergeschoß am offenen Fenster, eingehüllt in Rauchschwaden. Aber da stimmt was nicht: Kein Brandgeruch, keine Hektik, und sie steht lachend mit einem großen Plüschtier im Arm dort oben und ruft „Mein Baby, mein Baby!“

Die Auflösung: Es ist eine Übung. Ihr Mann ist bei der Feuerwehr und hat das leergeräumte Haus für eine Trainingseinheit zur Verfügung gestellt. Die Kollegen waren eingeweiht. Der „Rauch“ kommt aus einer Disco-Nebelmaschine. 

Der Zugführer schimpft, weil das Verlegen der Schläuche nicht schnell genug klappt. Ein Trupp bricht imaginär das Gartentor auf und stürmt die Terrasse. 

Lageberichte, Funksprüche und Anweisungen schwirren hin und her. Die Leiter kommt. Zwei Mann mit Sauerstoffgerät klettern hoch und retten die Nachbarin samt Plüschtier. Dann die Ansage: „Im Obergeschoß befindet sich noch eine weitere Person!“ Die beiden mit den Sauerstoffflaschen müssen nun am Boden kriechen und die versteckte Schaufensterpuppe finden und bergen.

Zwei Stunden dauert die Aktion. Längst hat sich die ganze Straße eingefunden und macht Handyfotos. Ich sage zum Zugführer: „Um das Ganze noch realistischer zu machen, müßten wir jetzt eigentlich einen Gaffer-Mob bilden und Sie behindern.“ Er lakonisch: „Lassen Se mal. Kenn’ wa leider schon.“