© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/18 / 13. April 2018

Die Nation war kein blinder Fleck
Der Publizist Rolf Stolz, SDS-Aktivist und späterer Mitbegründer der Grünen, über Reflexionen zur deutschen Frage in der 68er-Zeit
Werner Olles

Mit „Aussichten, Auswege. Politische Essays III“, in dem er Aufsätze vom Beginn der achtziger Jahre bis zur jüngsten Vergangenheit versammelt, setzt der Publizist Rolf Stolz die drei Vorgänger-Bücher „Machtbestreitung. Politische Essays I“, „Auf Nachfrage. Kolumnen und Artikel“ und „Wenn es eine Zukunft gibt. Politische Essays II“ fort. 

Der Beitrag „Innenansichten des SDS in den 68er Jahren“, 2012 erstmals erschienen, erinnert an die Querelen innerhalb des SDS in Köln, Marburg und Bonn, in dem sogenannte „Traditionalisten“, die sich zur neu begründeten Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) bekannten und gegen die „Antiautoritären“, die in Frankfurt am Main und Berlin die Mehrheit stellten, teils sogar handgreiflich wurden. Stolz spielt damit auf die Reisen des SDS-Bundesvorstandes zu den 9. Weltfestspielen der Jugend und Studenten in Sofia Ende Juli bis Anfang August 1968 an, wo es zu Ausschreitungen gegen den Bundesvorsitzenden K.D. Wolff durch die bulgarische Geheimpolizei kam, an denen sich auch die sogenannten „Traditionalisten“ beteiligten. 

Sie gründeten 1971 den „Marxistischen Studentenbund Spartakus“ als Studentenorganisation der DKP. Bestätigen kann der Rezensent auch die „leise, leichte Nationalallergie“ der beiden Wolff-Brüder, ein schwachsinniger „Antifaschismus“, wie er sich heute zeigt, hatte im SDS jedoch nie eine Mehrheit und wurde als „blinder Aktionismus“ verurteilt, wenngleich man natürlich die NPD nicht mit Sympathie betrachtete. Vor allem das ehrliche Geständnis des Autors zur damaligen Gewaltbereitschaft ist ihm hoch anzurechnen. 

Einer der interessantesten Beiträge ist „Aufstand für die Freiheit – Rudi Dutschkes Strategie gegen die Besatzungsmächte. Ein vergessenes Kapitel der Deutschen Linken“. Am Beispiel der Besatzungsmächte USA im Irak oder China in Tibet, die „gezielt das kulturelle Gedächtnis und geschichtliche Selbstbewußsein eines Volkes zerstören“, zeigt der Autor, wie Dutschke die nationale Frage als Problem der deutschen Wiedervereinigung reflektierte, indem er einerseits jenen Chauvinismus bekämpfte, der die eigene Nation gegen und über andere stellt, andererseits sein Leben lang „die nationale Frage als Glied des Internationalismus“ betrachtete. Dies gipfelte schließlich in seiner Forderung, bei den Grünen all jene von links bis rechts zu organisieren, die sich einerseits vom Gulag und andererseits von Auschwitz distanzieren. 

Ein wichtiger Beitrag ist der Essay „Deutschland und Rußland verzahnen! Eine Friedensutopie“, in dem der Autor ein konföderiertes Europa der Nationen und Völker, ein Gesamteuropa der Vaterländer und souveränen Staaten unter Einschluß Rußlands von Griechenland bis Spanien, von Reykjavik bis Tiflis und bis Wladiwostock vordenkt. Daß er dabei nicht vergißt, daß gerade Polen eine Bewältigung seiner kriegerisch-aggressiven Zwischenkriegsvergangenheit noch vor sich hat und erst jetzt sehr zögernd und inkonsequent die Vertreibungsverbrechen der Nachkriegszeit aufarbeitet, gehört mit zum Besten dieses Buches.

Rolf Stolz: Aussichten, Auswege. Politische Essays III. Lindenbaum Verlag, Beltheim-Schnellbach 2018, gebunden, 198 Seiten, 14,80 Euro