© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/18 / 13. April 2018

Retter in Not
Proteste: Berlins Feuerwehrleute beklagen katastrophale Arbeitsbedingungen
Björn Harms

Seit Wochen spitzt sich die Krise in der Berliner Feuerwehr zu – personelle Engpässe, unzureichendes Material und immer wieder tätliche Angriffe bei Rettungseinsätzen. „Das verfügbare Personal reicht nicht mehr aus, um Fahrzeuge und Funktionen auch nur annähernd vollständig besetzen zu können“, warnt die Behördenleitung in ihrer neuesten Mitarbeiterinformation. An beinahe jedem dritten Tag müsse der Ausnahmezustand ausgerufen werden.

Mittlerweile haben die Beamten der Berliner Feuerwehr genug. Um auf die katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Hauptstadt aufmerksam zu machen, starteten sie kurzerhand eine öffentlichkeitswirksame Protestaktion. Unter dem Motto „Berlin brennt“ demonstrieren sie nun bereits in der dritten Woche mit einer Mahnwache vor dem Roten Rathaus, Sitz des Regierenden Bürgermeisters und des Berliner Senats. 

Rund um die Uhr stehen sie im freiwilligen Schichtsystem um eine brennende Feuertonne herum und informieren die vorbeilaufenden Passanten über ihr Anliegen. So mußte auch der Senat reagieren und lud die Vertreter der Organisation zu Gesprächen ein. „Wir machen so lange weiter, bis etwas passiert“, versichert einer der Feuerwehrleute der JUNGEN FREIHEIT. Denn „daß wir einen wunden Punkt getroffen haben, wird doch an der Solidarität aus anderen Behörden ganz deutlich“, sagt er und zeigt auf die vereinzelten Polizisten, die sich in ihrer Uniform auf der Mahnwache eingefunden haben. Einige von ihnen sollen sich sogar in die Schichtpläne eingetragen haben – ehrenamtlich, versteht sich.

Ihre Forderungen haben die Organisatoren in einer Petition präzisiert. „Die Gesundheit der Berliner Feuerwehrleute und vor allem die Sicherheit der Bürger in Berlin ist akut gefährdet“, heißt es dort. „Die jahrelangen Sparzwänge des Berliner Senats förderten immer mehr Mißstände, die endlich abgestellt werden müssen“. Deshalb seien „gut ausgebildete Fachkräfte, funktionsfähige technische Ausrüstung und eine angemessene Vergütung“ vonnöten. „Was meinen Sie, wie viele Überstunden anhängig sind“, fügt der angesprochene Feuerwehrmann hinzu. „Es ist katastrophal, die Familien leiden.“

Doch schuld an den steigenden Einsatzzahlen in Berlin ist nicht etwa die Zunahme von Bränden – vielmehr häuft sich in den vergangenen Jahren der Mißbrauch des Notrufs. Die Probleme heißen: „Schluckauf“, oder „Schranke auf dem Lidl-Parkplatz zu“. Die Behörden zählten 2017 ganze 53.000 Fehleinsätze oder Erkundungsfahrten, ein satter Anstieg um 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Alle Feuerwachen in Berlin sind personell unterbesetzt

Bereits im März mußte der Berliner Senat kleinlaut zugeben, daß „mit den seit Jahren steigenden Einsatzzahlen über einen langen Zeitraum kein angemessener Ressourcenzuwachs einherging“. Alle 35 Feuerwachen in Berlin seien „personell unterbesetzt“, so die Antwort der Berliner Regierung auf eine Anfrage der CDU-Abgeordneten Gottfried Ludewig und Stephan Lenz. Und weiter: „Seit Jahresbeginn sind an jedem Tag Rettungswagen der Berliner Feuerwehr wegen nicht ausreichend anwesendem Personal außer Dienst genommen worden.“

Der Senat begründet dies mit „einer hohen Anzahl von dauerkranken Mitarbeitern“, verspricht aber den Personalengpaß auch langfristig zu beheben. Neben einer „optimierten Dienstplanung“, und einer „priorisierten Funktionsbesetzung“ sollen 354 zusätzliche Stellen helfen, die im derzeitigen Haushalt fest eingeplant sind – für die Organisatoren von „Berlin brennt“ nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. „Es fehlen 1.100 Kollegen, die durch die schlechten Rahmenbedingungen kaum zu finden sind“, schreiben sie.

Denn auch die aus der Not heraus bereitgestellten Ausbildungsplätze werden kaum für einen Qualitätssprung in der Behörde sorgen. „Es wäre deutlich hilfreicher gewesen, die Personalnot langfristig und Schritt für Schritt zu bekämpfen“, sagt der Beamte im Gespräch mit der JF. Die Deutsche Feuerwehrgewerkschaft habe seit Jahren vor der Personalnot gewarnt. Durch die urplötzliche Erhöhung aber hätten sich die Ausbildungsklassen mehr als verdoppelt – ein kompetenter Unterricht sei nicht möglich. Die Ausbilder würden verzweifeln.

Auch die schlechte Bezahlung der Beamten fügt ihr Übriges zur Einstellungsproblematik hinzu. Während das Einstiegsgehalt im Bundesdurchschnitt bei rund 2.100 Euro liegt, sind es in Berlin lediglich 1.790 Euro. Bereits 2011 hatten deshalb 300 Feuerwehrleute vor dem Amtssitz des damaligen Innensenators Ehrhart Körting (SPD) für eine Angleichung der Besoldung demonstriert. Passiert ist seitdem nichts.

Kaum sichtbar auf der Mahnwache ist hingegen die Problematik der immer häufigeren Angriffe auf die Rettungskräfte. Offiziell heißt es dazu von seiten der Innenverwaltung: „Attacken auf Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr und auf die Retter selbst haben in den letzten Jahren massiv zugenommen.“ Und tatsächlich: Wurden 2013 noch 174 Rettungskräfte, darunter 84 Feuerwehrleute, im Einsatz Opfer einer Straftat, waren es drei Jahre später bereits 218 Rettungskräfte, unter ihnen 95 Feuerwehrleute. So verliert die Berufswahl zunehmend an Attraktivität. Derzeit wird sogar über eine mögliche Anschaffung von Schutzwesten, Pfefferspraygeräten oder Elektroschockern für die Feuerwehr diskutiert.

Doch die ausbleibenden Forderungen hierzu auf der Mahnwache haben einen Grund. „Vom Gesetz her ist das Thema durch, ein direktes Anliegen können wir nicht formulieren“, erklärt ein Beamter. „Die Neufassung des Paragraph 115 Strafgesetzbuch hat den rechtlichen Rahmen bereits festgelegt.“ Gemeint ist eine im Mai 2017 beschlossene Änderung des Gesetzestextes, nach der künftig auch Störungen der Arbeit von Polizisten, Rettungskräften und Feuerwehrleuten bestraft werden. Zuvor griff das Gesetz lediglich bei tätlichen Angriffen während „Vollstreckungshandlungen“. Die protestierenden Feuerwehrmänner wollen das Thema aber weiterhin in die Öffentlichkeit und vor allem in die Gespräche mit dem Senat treiben. Die verlaufen derweil schleppend. Konkrete Ankündigungen für Verbesserungen gibt es bislang nicht. Eines jedoch steht fest: Der Protest vor dem Roten Rathaus wird fortgesetzt.